Sturm und Drang (Sprache & Litteratur).
Publié le 13/06/2013
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Sturm und Drang (Sprache & Litteratur). 1 EINLEITUNG Sturm und Drang, auch Geniezeit oder Genieperiode, geistige Strömung in der deutschen Literatur von etwa 1765 bis 1790, deren junge Vertreter die Autonomie und Freiheit der Phantasie und die Leidenschaft des Einzelnen im schöpferischen Schreiben höher bewerteten als die traditionelle, als überkommen betrachtete Regelpoetik. Die Inspiration des ,,Genies" setzt sich über die überlieferte Ordnung hinweg. Die Bezeichnung ,,Sturm und Drang" geht auf ein gleichnamiges Drama Friedrich Maximilian Klingers von 1776 zurück, das ursprünglich Wirrwarr heißen sollte. Philosophisch grenzte sich der Sturm und Drang gegen das rationale Erkenntnisprinzip der Aufklärung ab und war dabei beeinflusst vom pietistisch-religiös geprägten Umfeld Johann Georg Hamanns. Gesellschaftspolitisch richtete er sich - orientiert an der Gesellschaftstheorie Jean-Jacques Rousseaus und ihrer Idee eines ,,natürlichen" und guten Urzustands der Menschheit - gegen die herrschende Ständeordnung und die erstarrten sozialen Konventionen. Vor allem bei der Betonung von Gefühl und Ausdruck wurden Tendenzen der Empfindsamkeit fortgeführt; Vorbild war zudem Friedrich Gottlieb Klopstock, der in der stark nach Regeln ausgerichteten Lyrik den Weg hin zu freien Rhythmen und Versen bahnte. Maßgeblichen Einfluss hatten die Geschichts- und Sprachtheorien Johann Gottfried Herders, die eine Beziehung zwischen Sprache und menschlicher Natur herzuleiten suchen und Sprache als entscheidendes Charakteristikum zur kulturellen Identität einer Nation begreifen. Die Kritik an den gesellschaftlichen und politischen Ideen einer Generation der Väter ging einher mit der Suche nach neuen Möglichkeiten in der Literatur. 2 GESCHICHTE Als entscheidender Ausgangspunkt des Sturm und Drang als literarische Bewegung gilt ein Treffen zwischen Herder und Johann Wolfgang von Goethe in Straßburg im September 1770. Goethe übernahm in der Folge wichtige Gedanken von Herders auf Individualität und Sprachlichkeit ausgerichteter Philosophie, die sich gegen die Vernunftidee des Rationalismus abzugrenzen suchte. Die Begegnung mit Herder und dessen Philosophie schlug sich etwa in Goethes sprachlich radikalem Drama Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand (1773) nieder, in dem sich der berühmte Ausspruch ,,Er aber, sag's ihm, er kann mich im Arsche lecken!" findet, und in dem ebenfalls als skandalös empfundenen Briefroman Die Leiden des jungen Werthers (1774), in dem der Titelheld an seinen Gefühlen für eine schon vergebene Frau verzweifelt und in den Selbstmord getrieben wird. Auch Goethes Lyrik dieser Zeit, etwa die Sesenheimer Lieder (1771) und die Frankfurter Hymnen (1772/73), spiegelt Herders Einfluss. Der Werther-Roman wiederum wirkte auf Friedrich Heinrich Jacobis Briefromane Woldemar (1779) und Eduard Allwills Papiere (1781), die sich ebenfalls gegen die Vernunftkultur der Aufklärung richten. Vor allem in theoretischen Schriften trug Jacobi die Ideen des Sturm und Drang unter den Schriftstellern seiner Generation weiter. Poetologisch wandte sich die Bewegung des Sturm und Drang von nun an gegen die Regelpoetik etwa des französischen Klassizismus und etablierte stattdessen ein Schreibmodell, das sich an der intuitiven Schöpferkraft des Individuums orientierte. (Diese Idee dichterischer Freiheit wurde später in der Romantik und im Expressionismus wieder aufgegriffen.) Die Bewegung gipfelte in der Vorstellung eines Originalgenies, wie sie in der englischen Literatur bereits u. a. von Edward Young in seinem Werk Conjectures on Original Composition (1759; Gedanken über die Originalwerke) formuliert worden war; als Prototypen des Originalgenies galten den Stürmern und Drängern u. a. William Shakespeare, Homer und Pindar. Einfluss hatte auch die größtenteils von James Macpherson im 18. Jahrhundert verfasste Dichtung Ossians, die zu dieser Zeit, etwa im Werther, für ein authentisches Werk eines schottisch-gälischen Barden aus dem 3. Jahrhundert gehalten wurde. Darüber hinaus galt bereits hier die unmittelbare literarische Äußerung des Volkes und der Volksdichtung als beispielhaft. Wie stark dies alles ineinandergriff, illustriert Herders Aufsatz Auszug aus einem Briefwechsel über Ossian und die Lieder alter Völker (1773). Im Mittelpunkt der Sturm-und-Drang-Poetik standen das ,,Gefühl" und die ,,Unmittelbarkeit" des dichterischen Ausdrucks; Herders Begriff der ,,Urpoesie" als Vorbild aller weiteren Gedichte war hierbei stilbildend. Wichtige Dichter waren außerdem Gottfried August Bürger, Christian Friedrich Daniel Schubart, Matthias Claudius sowie Ludwig Christoph Heinrich Hölty und Johann Heinrich Voß, beide Mitbegründer des Dichterkreises Göttinger Hain. Sie alle nutzten die Lied- und Balladenform als Mittel einer sinnlichen Dichtung sowie zur Darstellung eines dezidiert subjektiv geprägten, am Pantheismus einer göttlich durchwirkten Welt orientierten Naturgefühls. Im Bereich der Prosa war Wilhelm Heinses Roman Ardinghello und die glückseligen Inseln (1787) beispielgebend. Das Buch gilt als erster Künstlerroman der deutschen Literatur mit großem Einfluss auf nachfolgende Generationen. Mit seinem dionysisch-amoralischen Griechenlandbild, das die vermeintliche Lebenslust der Antike gegen die erstarrte Gesellschaft der eigenen Epoche stellte, wirkte das Buch auf Friedrich Hölderlin, Ludwig Tieck, Clemens Brentano und Friedrich Nietzsche gleichermaßen. Auch wenn Roman und Lyrik im Sturm und Drang wichtig waren, so stand doch das Drama im Mittelpunkt der Literaturproduktion, wobei der Aufbau dem seit Aristoteles als verbindlich geltenden Gattungsschema (Einheit von Ort, Zeit und Handlung etc.) bewusst zuwiderlief. Bevorzugte Themen waren etwa der tragische Konflikt eines herausragenden, individuell starken Helden mit der Gesellschaft oder dem Geschichtsverlauf sowie der Zusammenprall von Gefühl und Ehrenkodex. Hier taten sich vor allem Jakob Michael Reinhold Lenz und Heinrich Wilhelm von Gerstenberg - Letzterer mit seinem düsteren Trauerspiel Ugolino (1768) - hervor. Mit antiaristotelischen Dramen wie Der Hofmeister oder Vortheile der Privaterziehung (1774) und Die Soldaten (1776) verlieh Lenz dem bürgerlichen Trauerspiel einen sozialpolitischen Impuls; mit seiner unmittelbaren Sprache wirkte er auf ,,moderne" Dramatiker wie Georg Büchner, Christian Dietrich Grabbe und Frank Wedekind. Der Hofmeister ist zudem die erste Tragikomödie deutscher Sprache. Bedeutend für die Dramatik der Zeit war auch das Bruderzwistdrama Julius von Tarent (1776) von Johann Anton Leisewitz (1752-1806) sowie das Drama Die Kindermörderin (1776) von Heinrich Leopold Wagner (1747-1779), das ebenso wie die Texte von Lenz deutlich auch Sozialkritik an den bestehenden Verhältnissen mit einbezog. Das Drama Die Räuber (1781), das gegen den Autoritätsglauben seiner Epoche opponiert und einen absoluten Freiheitswillen verteidigt, machte seinen Verfasser Friedrich Schiller zu einem zentralen Vertreter des Sturm und Drang (,,Mein Geist dürstet nach Taten, mein Atem nach Freiheit"). Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war die Zeit des Sturm und Drang zu Ende. Ein wichtiger Kritiker der Bewegung war Georg Christoph Lichtenberg, der sich gegen den Geniekult seiner Zeit richtete. Karl Philipp Moritz gab in seinem negativen Bildungsroman Anton Reiser (1785-1790, 4 Bde.) dem nicht zuletzt am Widerspruch zwischen Kunst und Leben scheiternden Titelhelden deutliche Züge einer Sturm-und-Drang-Gestalt und verband mit diesem Scheitern ebenfalls Kritik an der Vorstellung einer genialen Schöpferkraft. Verfasst von: Thomas Köster Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.
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