Soziale Schicht - Soziologie.
Publié le 15/06/2013
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Soziale Schicht - Soziologie. Soziale Schicht, soziologischer Grundbegriff, der eine große Gruppe von Angehörigen einer Gesellschaft bezeichnet, die über bestimmte gemeinsame Merkmale verfügen. Der Schichtbegriff wurde 1932 von Theodor Geiger in seinem Buch Die soziale Schichtung des deutschen Volkes in die Soziologie eingebracht. Er dient der Soziologie dazu, komplexe Gesellschaften zu stratifizieren, d. h. in verschiedene Großgruppen einzuteilen. Dabei richtet sich die Soziologie an den in der Gesellschaft bereits geltenden Schichtungsregeln aus bzw. erforscht sie. In der Soziologie existieren mehrere Schichtungsmodelle, dementsprechend können die jeweils als schichtspezifisch geltenden Merkmale unterschiedlich sein: Stellung im Berufsleben, Einkommen, Vermögen, Lebensstandard (Wohnung, Ernährung, soziale Absicherung) und Ansehen bzw. Sozialprestige. Untersuchungen zur Struktur und Veränderung der gesellschaftlichen Schichtung stellen ein Mittel zur Erforschung des - in modernen Gesellschaften immer schneller voranschreitenden - sozialen Wandels dar; in dessen Verlauf zeigen sich innerhalb der Schichten Wandlungen bezüglich der für sie typischen Eigenheiten, wie sie sich z. B. in Werten, Normen, Einstellungen, Erziehungszielen, Konsumverhalten und Freizeitgestaltung verkörpern. Mit der Existenz sozialer Schichten wird in einer Gesellschaft die soziale Ungleichheit - die nicht gleichbedeutend sein muss mit politischer oder juristischer Ungleichheit - strukturiert. Schichten können je nach Gesellschaftssystem mehr oder weniger stark organisiert sein, d. h. über rein soziale Unterschiede hinausreichen und auch verschiedene Rechte, Vorschriften und Verhaltenspflichten umfassen, wie es etwa bei Ständen, Zünften oder (religiösen) Kasten der Fall ist. In modernen Gesellschaften allerdings zeigen sich hierarchische Schichtungen der Gesellschaft vorwiegend durch Unterschiede im sozialen Status und den damit verbundenen sozialen Privilegien und nicht durch strenge Abgrenzungen in der Sozialstruktur. Anders als in einer mittelalterlichen Ständegesellschaft oder gar einer Kastengesellschaft ist hier soziale Mobilität möglich: Individuen und Familien können im Lauf ihres Lebens durch den Erwerb der Eigenschaften einer anderen Schicht in diese aufsteigen - oder absteigen. Im Gegensatz zu traditionellen Gesellschaften, in denen objektive Merkmale wie die Herkunftsfamilie die allein entscheidende Rolle spielen, sind Schichtzuordnungen in modernen Gesellschaften veränderlich, weniger dauerhaft und nur ungenau abgegrenzt. Die Schichtzugehörigkeit einer Person bestimmt sich in solchen Gesellschaften vor allem durch die Merkmale der (Aus-)Bildung, des Einkommens und des Berufs bzw. der beruflichen Position, wobei dem Beruf die größte Bedeutung zukommt. Innerhalb einer Gesellschaft existiert eine gewisse Rangfolge von Berufen, nach der die Personen den Schichten zugeordnet werden; zumeist ist allerdings eine genaue Schichtgrenze zwischen Berufen nicht exakt auszumachen. Der Soziologe Karl Martin Bolte wählte als Vergleich für die soziale Schichtung das Bild des Farbspektrums, bei dem sich die einzelnen Farben zwar deutlich unterscheiden lassen, die genaue Trennlinie zwischen ihnen aber nur schwer erkennbar ist. Die Zuordnung zu einer Schicht hängt stark vom jeweiligen theoretischen Standpunkt und den untersuchten Merkmalen ab. Dazu existieren verschiedene Modelle: Das funktionalistische Modell trifft eine Zuordnung nach beruflicher Funktion und unterscheidet beispielsweise zwischen Arbeitern, Angestellten und Managern. Rangordnungsmodelle ordnen Personen nach Merkmalen wie Bildung, Einkommen und Wohnverhältnissen bestimmten Schichten zu. Das dichotome Modell der marxistischen Klassengesellschaft unterscheidet dagegen Klassen, die einander unversöhnlich gegenüberstehen, weil sich eine der Klassen aufgrund ihrer gesellschaftlichen Herrschaftsposition den Wert der Arbeitskraft der anderen anzueignen vermag. Entscheidend für die Zugehörigkeit zur Bourgeoisie oder zum Proletariat ist dabei die Verfügung über die Produktionsmittel, der kleinbürgerliche Mittelstand wird mit der Zeit zwischen diesen beiden Klassen zerrieben. Für marxistisch orientierte Soziologen stellt die Schichtentheorie eine ideologische Verharmlosung der realen kapitalistischen Klassengesellschaft dar. Umgekehrt setzte sich Helmut Schelsky in seinen schichtungstheoretischen Arbeiten kritisch mit marxistischen Klassenanalysen auseinander. Schichten sind Statusebenen, die Personen ,,enthalten", welche sich bezüglich ihres Ranges und sozialen Prestiges, ihres Lebensstandards, ihrer Lebenschancen und -risiken, und ihrer sozialen Vor- und Nachteile in etwa in der gleichen Situation befinden. Da sie somit in der Regel über ähnliche Bildung und Interessen verfügen, stellen Schichten als Landschaften sozialer Herkunft häufig auch einen gewissen ,,Bewusstseinsrahmen" dar und entwickeln Schichtpersönlichkeiten und Schichtmentalitäten. Diese zeigen sich vor allem beim so genannten Schichtkern z. B. in der vom Habitus definierten ,,sozialen Distinktion" gegenüber anderen Schichten in einer (je postmoderner desto weniger) einheitlichen ,,philosophischen" Weltanschauung, politischen Überzeugung, persönlichen Identitätsvorstellung, alltäglichen Verhaltensweise in Bezug auf Konsum und Freizeit und einer sozialen Selbsteinschätzung. Die Selbsteinschätzung ist allerdings häufig vom Wunsch nach sozialem Aufstieg verzerrt, der dazu führen kann, sich subjektiv in eine höhere Schicht einzuordnen als dies objektiv zutreffend ist: Objektive und subjektive Schichtzugehörigkeit stimmen nicht überein; insbesondere wenn sie sich in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sehen, versuchen Angehörige einer Schicht, sich gegen untere Schichten abzugrenzen und sich gleichzeitig Aufstiegsmöglichkeiten in eine höhere Schicht offenzuhalten. Da der Aufstieg in eine höhere Schicht nur einer Minderheit gelingen kann, erzeugt ein starkes Bestreben nach sozialem Aufstieg in einer Schicht oft steigende Konkurrenz und abnehmende Solidarität - entgegen dem etwas idealisierenden Bild der Schichtzugehörigkeit, die zur Solidarisierung und zur Abgrenzung gegen andere Schichten führt; Beispiel für Letzteres sind die klassischen Arbeiterparteien, Arbeitervereine und revolutionären Arbeiterbewegungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Typisch für die deutsche Schichtengesellschaft vor der Wiedervereinigung ist das so genannte ,,Zwiebel-Modell" von Karl Martin Bolte: In einem Schnitt durch die Gesellschaft von oben nach unten zeigt sich ein schmales, spitzes Oberstück, ein dicker ,,Bauch" der Mittelschichten und eine wiederum kleine Basis der absoluten Unterschicht. Dabei unterscheidet Bolte folgende Schichten und ihre - stets etwas wechselnde - prozentuale Verteilung: Oberschicht: 2 Prozent - obere Mittelschicht: 5 Prozent - mittlere Mittelschicht: 14 Prozent - untere Mittelschicht: 29 Prozent - unterste Mittelschicht bzw. oberste Unterschicht: 29 Prozent - Unterschicht: 17 Prozent - sozial Verachtete (zur damaligen Zeit noch z. B. Prostituierte): 4 Prozent. Diese ausgeprägte ,,Versammlung" in der Gesellschaftsmitte lässt die von Schelsky diagnostizierte ,,nivellierte Mittelstandsgesellschaft" plausibel erscheinen. Gegenwärtig wird in den westlichen Industrieländern diskutiert, ob durch Verknappung der Arbeit und sinkende Realeinkommen wieder eine deutlichere Abgrenzung von Schichten entsteht: In der so genannten Zweidrittelgesellschaft stehen den Erwerbstätigen mit relativ gesichertem Wohlstand (zwei Drittel) die aufgrund von Arbeitslosigkeit, unzureichender Ausbildung etc. sozial Benachteiligten und wirtschaftlich Bedrohten (ein Drittel) gegenüber. Es wird befürchtet, dass durch den Wandel von der Industrie- zur Informations- oder Dienstleistungsgesellschaft die gering Gebildeten zu einer schlecht informierten und in ungeschützten, kurzzeitigen Arbeitsverhältnissen lebenden Randgruppe werden. Bearbeitet von: Friedhelm Lövenich Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.
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