Sagen des klassischen Altertums: Odysseus - Anthologie.
Publié le 17/06/2013
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Sagen des klassischen Altertums: Odysseus - Anthologie. Der deutsche Schriftsteller Gustav Schwab, Mitglied des spätromantischen Schwäbischen Dichterkreises um Ludwig Uhland und Justinus Kerner, war vorwiegend als Lyriker produktiv. Doch während sein literarisches Schaffen weitgehend in Vergessenheit geraten ist, fanden seine Nacherzählungen klassischer antiker Sagen weite Verbreitung und werden weiterhin gedruckt. Schwabs Nachdichtungen mythologischer Stoffe wurden in drei Bänden (1838-1840) unter dem Titel Die schönsten Sagen des klassischen Altertums publiziert. Der Quellentext bietet Schwabs Darstellung einer Episode aus den Irrfahrten des Odysseus, des Königs von Ithaka. Der griechische Held entscheidet nach zehnjähriger vergeblicher Belagerung durch eine List den Trojanischen Krieg zugunsten der Griechen. Nach einer Reihe gefährlicher Abenteuer und siebenjähriger Gefangenschaft bei der Nymphe Kalypso, die sich in ihn verliebt hat, verlässt er deren Insel, um nach einem weiteren Aufenthalt bei den Phäaken schließlich zehn Jahre nach dem Fall Trojas zu seiner Frau Penelope zurückzukehren. Sagen des klassischen Altertums: Odysseus Der Bote des Zeus, Hermes, schwang sich aus dem Äther ins Meer, eilte wie eine Möwe durch die Wogen und kam, wie in der Götterversammlung beschlossen worden war, auf Ogygia, der Insel Kalypsos, an. Auch fand er die schöngelockte Nymphe wirklich zu Haus. Auf dem Herd brannte eine lodernde Flamme, und der Duft des gespaltenen, brennenden Zedernholzes wallte würzig über das Eiland hin. Kalypso aber sang mit klangreicher Stimme in der Kammer und wirkte dazu mit goldener Spule ein herrliches Gewebe. Die Grotte, in welcher ihre Gemächer waren, beschattete ein grünender Hain mit Erlen, Pappeln und Zypressen, in welchen bunte Vögel nisteten, Habichte, Eulen und Krähen. Auch ein Weinstock breitete sich über das Felsengewölbe aus, voll reifender Trauben, die aus dichtem Laube hervorblickten. Vier Quellen entsprangen in der Nähe und schlängelten sich nachbarlich dahin und dorthin; von ihnen bewässert grünten schwellende Wiesen mit Veilchen, Eppich und anderen Kräutern und Blumen durchsät. Der Götterbote bewunderte die herrliche Lage der Nymphenwohnung, dann wandelte er in die geräumige Kluft. Kalypso erblickte den Nahenden und erkannte ihn auch alsbald, denn so fern sie auch voneinander wohnen mögen, so sind sich doch die ewigen Götter von Gestalt nicht unbekannt. Den Odysseus fand jedoch Hermes nicht zu Haus. Er saß, wie er gewohnt war, jammernd am Gestade und schaute mit Tränen in den Augen auf das öde Meer sehnsüchtig hinaus. Als Kalypso die Botschaft des Gottes vernahm, ward sie traurig in ihrem Herzen. Schließlich aber sprach sie: ,,Gegen den Rat des Zeus vermag keine Ausflucht etwas - so mag er denn wieder hinausfahren auf das unendliche Meer! Nur mutet mir nicht zu, daß ich ihn selbst fortschicke; fehlt es doch meinen Schiffen an Bemannung und an Rudern! Doch soll es ihm an meinem guten Rat nicht fehlen, daß er ganz unversehrt das Ufer seines Heimatlandes erreiche." Hermes war mit dieser Antwort wohl zufrieden und enteilte wieder zum Olymp. Kalypso ging selbst an den Meeresstrand, wo der trauernde Odysseus saß, trat nahe zu ihm und sprach: ,,Armer Freund, dein Leben darf dir nicht fürder in Schwermut dahinschwinden! Ich entlasse dich. Auf, mächtige Balken gehauen, mit Erz zum Floß gefügt, und mit hohen Brettern umsäumt! Allerlei Labsal, Wasser, Wein und Speise lege ich dir selbst hinein, versehe dich mit Gewanden und sende günstigen Wind vom Land; mögen dich die Götter glücklich in die Heimat geleiten!" Mißtrauisch blickte Odysseus die Göttin an und sprach: ,,Gewiß, du sinnest auf etwas anderes, schöne Nymphe! Nimmermehr besteige ich ein Floß, wenn du mir nicht den großen Göttereid schwörest, daß du mir nicht irgendein Übel zum Schaden ausgedacht hast!" Aber Kalypso lächelte, und sanft mit der Hand ihn streichelnd, antwortete sie: ,,Ängstige dich nicht mit solchen eiteln Gedanken! Die Erde, der Himmel und der Styx seien meine Zeugen, daß ich nichts Böses mit dir vorhabe! Ich rate dir das, was ich mir selbst in der Not ausdenken würde!" Freudig ging Odysseus sogleich an die Arbeit; bald war das Floß gezimmert, und am fünften Tag schwoll das Segel des Odysseus im Winde. Er selbst saß am Ruder und steuerte kunsterfahren durch die Flut. Kein Schlaf kam ihm über die Augen, beständig blickte er nach den Himmelsgestirnen und richtete sich nach den Zeichen, die ihm Kalypso beim Scheiden angegeben hatte. So fuhr er siebzehn Tage durch das Meer. Am achtzehnten erschienen ihm endlich die dunklen Gebirge des phäakischen Landes, das sich ihm entgegenstreckte und trübe dalag, wie ein Schild im dunklen Meer. Jetzt aber ward ihn Poseidon gewahr, der eben von den Äthiopen heimkehrte. Er hatte der letzten Ratsversammlung der Götter nicht beigewohnt und merkte, daß diese eine Entfernung benutzt hatten, den Odysseus aus der Schlinge zu ziehen. ,,Nun", sprach er bei sich selbst, ,,er soll mir doch noch Jammers genug erfahren!" Und jetzt versammelte er die Wolken, regte das Meer mit dem Dreizack auf und rief die Orkane herbei, so daß Meer und Erde ganz in Dunkel gehüllt wurden. Das Floß zerbarst in Stücke; und, wie eine Distel im Wind, trieb Odysseus auf dem zerrissenen Floß dahin. Da erblickte ihn die Meeresgöttin Leukothea, und es erbarmte sie des armen Dulders. Wie ein Wasserhuhn flog sie aus dem Strudel empor, setzte sich auf das Gebälk und sprach zu ihm: ,,Laß dir raten, Odysseus! Zieh dein Gewand aus, überlaß das Floß dem Sturm; schnell, umgürte dich hier mit meinem Schleier unter der Brust, und dann - verachte schwimmend alle Schrecken des Meeres!" Odysseus nahm den Schleier; die Göttin verschwand, und, obgleich er der Erscheinung mißtraute, so gehorchte er dem Rate doch. Während Poseidon ihm die wildeste Woge sandte, daß das Bruchstück des Floßes ganz auseinanderging, setzte er sich, wie ein Reiter, auf einen einzelnen Balken, zog das lange beschwerende Gewand, das Kalypso ihm geschenkt hatte, aus, und sprang mit dem Schleier umgürtet in die Flut. Poseidon schüttelte ernsthaft das Haupt, als er den entschlossenen Mann den Sprung wagen sah und sprach: ,,So irre denn durch die Meeresflut, von Jammer umringt! Gewiß, du sollst des Elends noch übergenug erfahren!" Mit diesen Worten verließ der Gott die See und zog sich nach seinem Palast zurück. Odysseus trieb nun noch zwei Tage und Nächte auf der See umher; endlich fand er ein bequemes, seichtes Ufer und eine sichere Bucht, wo ein kleiner Fluß sich ins Meer ergoß. Hier flehte er zum Gott dieses Stromes, der ihn hörte, das Wasser besänftigte und es ihm möglich machte, schwimmend das Land zu erreichen. Ohne Stimme und Atem sank er auf den Boden, aus Mund und Nase strömte ihm das Meerwasser, und erstarrt von der fürchterlichen Anstrengung sank er in eine Ohnmacht. Als er wieder aufzuatmen anfing und das Bewußtsein ihm zurückkehrte, löste er sich den Schleier der Göttin Leukothea dankbar ab und warf ihn in die Wellen zurück, daß ihn die Geberin wieder erfassen konnte; dann warf er sich unter die Binsen nieder und küßte die wiedergewonnene Erde. Den nackten Mann fror, und die Nachtluft wehte schneidend vom Morgen her. Er beschloß, den Hügel hinanzugehen und sich in die nahe Waldung zu bergen. Hier fand er eine Ruhestatt unter zwei verschlungenen dichten Olivenbäumen, einem wilden und einem zahmen, die so dick belaubt waren, daß kein Wind, kein Regen und kein Sonnenstrahl sie je durchdrang. Dort häufte sich Odysseus von der Menge gefallener Baumblätter ein Lager, legte sich mitten hinein und deckte sich wieder mit Blättern zu. Ein erquickender Schlaf ergoß sich bald über seine Augenlider und ließ ihn alles überstandene und bevorstehende Leid vergessen. Gustav Schwab: Sagen des klassischen Altertums. Erlangen 1997, S. 406ff. Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.
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