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Mythologie - Philosophie.

Publié le 17/06/2013

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Mythologie - Philosophie. 1 EINLEITUNG Mythologie, die Gesamtheit der überlieferten Mythen einer bestimmten Kultur sowie deren wissenschaftliche Darstellung und Erforschung. Der Mythos ist eine Erzählung mit einem religös-weltanschaulichen Gehalt, im Allgemeinen eine Legende, die den Ursprung der grundlegenden Umstände und Voraussetzungen einer Kultur allegorisch beschreibt und schildert. So kann eine mythische Erzählung vom Anfang der Welt, von der Schöpfung der Menschen und Tiere und der Entstehung bestimmter Bräuche, Gebärden oder Formen menschlicher Aktivitäten handeln. Fast alle Kulturen besitzen oder besaßen Mythen und erklären ihre Welt u. a. in mythischen Kategorien. Mythen unterscheiden sich von Märchen (siehe Volksdichtung) darin, dass sie ,,in einer Zeit vor der Zeit" angesiedelt sind, d. h. vor der Entstehung der Welt. Auch der Ort ihrer Handlung ist deshalb ein anderer als die uns bekannte Welt, er ist ,,die Welt vor der Welt". Weil in Mythen die handelnden Personen Götter sowie andere übernatürliche Geschöpfe sind, wird der Mythos gewöhnlich als Aspekt der Religion betrachtet. Doch er ist weit mehr - aufgrund seines allumfassenden Charakters kann er viele Aspekte im Leben des Einzelnen und einer Gesellschaft erhellen. 2 BEDEUTUNG UND INTERPRETATION Seit den frühen Tagen der Philosophie ist die Bedeutung des Mythos Gegenstand ausgesprochen kontroverser Interpretationen. Philosophen lesen bis in die heutige Zeit Mythen als Ausdruck anderer Wahrheiten. 2.1 Mythos, Geschichte und Vernunft Das Verhältnis zwischen dem Mythos (oder der Mythe) und der Vernunft (oder dem Logos) ist seit jeher gespannt. So priesen schon die griechischen Philosophen Xenophanes, Platon und Aristoteles die Vernunft und übten scharfe Kritik an dem Mythos, der als Methode, die Wirklichkeit zu erkennen, ungeeignet sei. In der jüdisch-christlichen Tradition wurde der Mythos mit dem Begriff der Geschichte konfrontiert. Als komplizierend erwies sich jedoch dabei, dass der Gott der Juden und der Christen sich den Menschen in ihrer Geschichte und Gesellschaft offenbart hatte, trotz seiner Existenz außerhalb der gewöhnlichen Zeit und des gewöhnlichen Raumes. Die Unterscheidung zwischen Vernunft und Mythos sowie zwischen Mythos und Geschichte war zwar grundlegend, aber niemals absolut. Aristoteles war der Auffassung, dass sich in einigen der frühgriechischen Schöpfungsmythen Logos und Mythos überschneiden. Platon verwendete Mythen als Allegorie und auch als literarischen Kunstgriff bei der Ausarbeitung eines Arguments. Mythos, Logos und Geschichte greifen auch in der Einleitung zum Johannesevangelium im Neuen Testament ineinander; hier wird Jesus Christus als Verkörperung des Logos dargestellt, der aus der Ewigkeit in die historische Zeit eintritt. Frühchristliche Theologen disputierten in ihren Deutungsversuchen der christlichen Offenbarung über die Rollen von Mythos und Geschichte in der biblischen Darstellung. 2.2 Mythen als kulturelles Erbe und Gegenstand der Forschung Zum Erbe der westlichen Kultur gehört seit ihren frühesten Überlieferungen neben ihren vielgestaltigen Mythen auch die Auseinandersetzung darüber, ob der Mythos, die Vernunft oder die Geschichte die Bedeutung der Wirklichkeit von Göttern, Menschen und Natur am besten zum Ausdruck bringe. Aus dem reichhaltigen mythologischen Fundus der westlichen Kulturen haben die Mythen der Griechen eine herausragende Bedeutung. Sie inspirierten nicht zuletzt durch die Adaptionen der Römer (siehe römische Mythologie) Künstler und Philosophen späterer Epochen wie Renaissance und Romantik zu immer neuen Werken über die mythischen Stoffe. Auch von den heidnischen Kulturen aus dem Norden Europas ist eine sehr reichhaltige Mythenwelt überliefert, die vielfach verfremdet in den folkloristischen Elementen der Kulturen fortlebt. Die romantische Bewegung wandte sich den älteren indogermanischen Mythen zu. Romantische Gelehrte sahen im Mythos eine nicht zu hinterfragende essentielle Form des menschlichen Ausdrucks: Für sie besaß der Mythos als Denk- und Wahrnehmungsweise eine Geltung, die dem rationalen Verständnis der Wirklichkeit gleichwertig oder manchmal sogar überlegen war. Im Westen gehörten Mythen schon immer zur klassischen und theologischen Bildung, aber in und nach der Aufklärung wuchs das Interesse an einer wissenschaftlichen Erkundung des Mythos vor allem in Ethnologie, Geschichte, Psychologie, Religionsgeschichte und in den Politikwissenschaften. 3 FORMEN DES MYTHOS Mythen können nach ihren Inhalten, ihren thematischen Schwerpunkten eingeteilt werden. Allerdings besteht dabei die Gefahr, der je historisch konkreten Entstehungsgeschichte eines Mythos' nicht genügend Bedeutung zuzumessen, Mythen, im Bestreben sie in ein universelles, weltumspannendes Muster einzupassen, fehlzuinterpretieren. 3.1 Kosmogonien und Eschatologien Gewöhnlich der wichtigste Mythos in einer Kultur, der zum vorbildhaften Muster für alle weiteren Mythen wird, ist die Kosmogonie; sie schildert die Entstehung der Welt. In einigen Darstellungen, wie im ersten Kapitel der Genesis, wird die Welt aus dem Nichts erschaffen (creatio ex nihilo). Auch ägyptische, australische und griechische Mythen sowie die Mythen der Maya berichten von einer Schöpfung aus dem Nichts. In den meisten Fällen ist die Gottheit in diesen Mythen allmächtig. Häufig wird sie zum Zentrum des religiösen Lebens, wie bei den Juden, oder sie kann sich zurückziehen und im Hintergrund verharren, wie in den Mythen der Aborigines, der Griechen und der Maya. Andere Kosmogonien beschreiben die Schöpfung der Erde als einen Aufstieg aus Unterwelten. Bei den Navajo und Hopi z. B. ist die Schöpfung das Ergebnis einer nach oben führenden Fortbewegung aus den Unterwelten, und das Auftauchen aus der letzten Unterwelt ist auch die letzte Fortbewegung in die Welt der Menschen. Ein polynesischer Mythos verlegt die verschiedenen Stufen des Auftauchens in eine Kokosnussschale. In der Form ähnlich sind Mythen, die von einem Weltenei handeln. Solche Mythen sind aus Afrika, China, Indien, Griechenland, Japan und im Südpazifik bekannt. In diesen Mythen wird die Schöpfung sinnbildlich durch die Teilung eines fruchtbaren Eis dargestellt. Das Ei enthält im Keim alles Leben. In dem Mythos der westafrikanischen Dogon wird es als die ,,Plazenta der Welt" bezeichnet. Eine andere Form der Kosmogonie ist der Welteltern-Mythos. In der babylonischen Schöpfungsgeschichte Enuma elish erzeugen die Welteltern Apsu und Tiamat Kinder, die sich später ihren Eltern widersetzen und sie in einer Schlacht besiegen; aus dem geopferten Leib der Tiamat wird die Welt erschaffen. In anderen Welteltern-Mythen der Ägypter, Zuñi und Polynesier verharren die Eltern nach der Zeugung in einer engen Umarmung, so dass die Kinder in Finsternis leben; in ihrem Wunsch nach Licht trennen sie die Eltern gewaltsam und schaffen so Raum für die Götter, um eine Welt der Menschen zu gestalten. In weit verbreiteten Mythen bei den sibirisch-altaischen Völkern, in Rumänien und Indien, geschieht die Schöpfung mit Hilfe eines irdischen Tauchers; ein Tier (Schildkröte oder Vogel) taucht in das Urmeer und bringt etwas Schlamm nach oben, aus dem später die Welt hervorgeht. Ein Motiv, das in verschiedenen Kosmogonien wiederkehrt, ist der Akt des Opfers. Wie im babylonischen Mythos aus Tiamats geopfertem Körper die Erde entsteht, geht in einem hinduistischen Mythos, von dem die Rigveda berichtet, die Welt aus einem Opfer durch die Götter hervor. So wie die Kosmogonien vom Anfang der Welt künden, handeln die Eschatologien vom Weltenende. Sie haben die Schöpfung der Welt durch ein moralisches göttliches Wesen zur Voraussetzung, welches schließlich die Welt zerstört. Zu der Zeit werden die Menschen gerichtet und auf eine paradiesische Existenz oder aber ewige Qualen vorbereitet. Solche Mythen sind bei den Juden, Christen, Muslimen und Zoroastriern zu finden. Ein Weltenbrand und die letzte Schlacht der Götter sind Teil der indogermanischen Mythologie. In der aztekischen Mythologie erschaffen und vernichten die Götter mehrere Welten, bevor sie die Welt der Menschen einrichten. Auch der Ursprung des Todes ist Gegenstand zahlreicher Mythen. In diesen Mythen war die Welt lange Zeit ohne Tod. Erst als die Botschaft der Götter in Vergessenheit gerät, tritt er in die Welt. In der Genesis zieht der Tod in die Welt ein, als die Menschen die ihnen von Gott gezogenen Grenzen ihres Wissens überschreiten. 3.2 Mythen von Kulturheroen Andere Mythen erzählen von den Taten und vom Charakter der Wesen, denen die Entdeckung eines bestimmten kulturellen Artefakts oder eine entscheidende technologische Errungenschaft zugeschrieben wird. Dies sind Mythen von Kulturheroen. In der griechischen Mythologie ist Prometheus, der den Göttern das Feuer stahl, ein Prototyp des Kulturheros. In der Dogon-Kultur weist der Schmied, der für die menschliche Gemeinschaft Samen aus der Kornkammer der Götter stiehlt, Ähnlichkeit mit Prometheus auf. 3.3 Mythen von Geburt und Wiedergeburt Gewöhnlich mit Initiationsriten verwandt, erzählen Mythen von Geburt und Wiedergeburt, wie man das Leben erneuern, die Zeit ändern oder Menschen in neue Geschöpfe verwandeln kann. In Mythen von der Heraufkunft einer idealen Gesellschaft (chiliastische Mythen) oder eines Erlösers (Soteriologien) werden eschatologische Themen mit Themen der Wiedergeburt und Erneuerung vereint. Chiliastische und soteriologische Mythen sind sowohl in den traditionellen Kulturen Afrikas, Südamerikas und Melanesiens als auch in den drei großen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam zu finden. 3.4 Gründungsmythen Seit den Anfängen der Städte zwischen dem 4. oder 3. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung berichten verschiedene Mythen von Stadtgründungen. Städte wurden bei zeremoniellen Zentren errichtet, die als Manifestationen einer geheiligten Kraft galten ( siehe Delphi). Die Manifestation ermöglichte die Äußerung dieser Kraft an einem bestimmten Ort, wobei der Wert der Sesshaftigkeit hervorgehoben wurde. Das babylonische Gilgamesch-Epos und die römische Legende von Romulus und Remus sind solche Gründungsmythen. 4 ERFORSCHUNG DES MYTHOS Die Mythologie hat das Interesse der Gelehrten aus den verschiedensten Fachrichtungen auf sich gezogen. Manche untersuchen Mythen mit Hilfe von Material aus der Geschichte, Archäologie, Ethnologie und anderen Disziplinen. Andere benutzen die Mythen selbst als Material für ihre Forschungen, wie die Linguistik und die Psychologie. 4.1 Mythos und Sprache Der berühmteste Verfechter des Mythos als Beispiel für die historische Sprachentwicklung ist Friedrich Max Müller. In seinen wichtigsten Studien beschäftigte er sich mit der Religion und den Mythen Indiens. Müller war der Auffassung, dass die Götter und ihre Taten in den vedischen Schriften des alten Indiens keine wirklichen Wesen oder Geschehnisse darstellen sollen, sondern als Ausdruck des Versuches verstanden werden müssten, den Naturerscheinungen (wie Donner oder Blitz) bildhaft Ausdruck zu verleihen. Neueren Datums ist das strukturalistisch-linguistische Modell, das auf dem Werk der Linguisten Ferdinand de Saussure und Roman Jakobson, sowie des amerikanischen Volkskundlers S. Thompson aufbaut. Strukturalistische Linguisten konzentrieren sich auf die Gesamtbedeutung der Sprache als einem internen logischen System. Insbesondere untersuchen sie die Beziehung von zwei Sprachebenen: die tatsächlich gesprochenen Wörter und ihr Inhalt sowie die zugrunde liegende systematische Struktur (Grammatik, Syntax und andere Sprachregeln). Der bedeutendste Mythenforscher auf diesem Gebiet ist der französische Ethnologe Claude Lévi-Strauss. Für ihn stellen Mythen einen Sonderfall des Sprachgebrauchs dar, eine dritte Ebene außer der narrativ vermittelten Oberflächen- und der zugrunde liegenden Tiefenstruktur. In Mythen entdeckte er bestimmte Gruppen von Beziehungen, die, obwohl sie im erzählenden und dramatischen Inhalt ausgedrückt waren, der systematischen Ordnung der Sprachstruktur folgten. Daraus folgerte er, dass allen Sprachen und Kulturen dieselbe logische Form gemeinsam ist, in wissenschaftlichen Werken und traditionellen Mythen gleichermaßen. Siehe Semantik. 4.2 Mythos und Wissen Theorien, die anführen, dass der Mythos eine Form und Weise von Wissen darstellt, sind so alt wie die Mythendeutungen selbst. Die Überschneidung von mythischen und rationalen Methoden wurde bereits von den klassischen griechischen Philosophen herausgearbeitet; und auch der Kirchenvater Origenes aus dem 3. Jahrhundert betonte, dass die göttliche Offenbarung in Jesus am besten in mythischen Kategorien verstanden werden könne. In Darstellungen über die Beziehung von Mythos und Wissen sind zwei Hauptrichtungen auszumachen. Zum einen wird der Mythos in intellektueller und logischer Hinsicht untersucht und zum anderen in seiner phantasiereichen, intuitiven Bedeutung als Wahrnehmungsform, die entweder von dem in rationalen, logischen Kategorien zu fassenden Wissen unterscheidbar ist oder diesem in der Evolution des Geistes vorausging. Der britische Ethnologe Edward Burnett Tylor vertrat die Auffassung, dass Mythen in ,,archaischen Kulturen" auf einer psychologischen Täuschung und irrigen logischen Schlussfolgerung basieren - auf einer Verwechslung der subjektiven und objektiven Wirklichkeit, des Realen und des Idealen. Der französische Linguist Maurice Leenhardt erklärte den Mythos in erster Linie als eine Ausdrucksform der Lebenserfahrung der Gemeinschaft. Leenhardt, der einen großen Teil seines Lebens bei den Melanesiern verbrachte, beobachtete, dass diese auf die Gegebenheiten ihrer Umwelt passiv reagierten. Sie strebten nicht danach, ihre Umwelt begrifflich oder technologisch zu dominieren, sondern versuchten, sich in sie einzufügen. Für diese Haltung prägte er den Begriff kosmographisch und führte die Mythen der Melanesier auf ihre kosmographische Erfahrung von der Welt zurück. Nach Ansicht des französischen Philosophen Lucien Lévy-Bruhl erfahren die Menschen in archaischen Kulturen die Welt ohne den Nutzen logischer Kategorien, sie gewinnen ihr Weltwissen durch mystische Teilnahme an der Wirklichkeit und verleihen ihm Ausdruck im Mythos. Der schottische Geisteswissenschaftler Andrew Lang und der deutsche Ethnologe Pater Wilhelm Schmidt aus dem 19. Jahrhundert stellten in der ethnographischen Literatur das häufige Auftreten eines ,,Hochgottes" fest; diese Gottheit schuf die Welt und distanzierte sich dann von ihr. Sie stellten einen Unterschied in den Mythen zwischen dieser Art Gottheit und den anderen Gottheiten und Geistern fest. Daraus folgerten sie, dass diese Vorstellung von einem Schöpfer ihren Ursprung in einer metaphysischen und intellektuellen Betrachtungsweise hat und nicht in einer geistigen Evolution vom Prälogischen zum Rationalen. Eine umfassende Deutung des Mythos als gleichzeitig rational-logisch und intuitiv-phantasiereich lieferte der in Rumänien geborene Religionshistoriker Mircea Eliade. Nach Eliade offenbart der Mythos eine primitive Ontologie, eine Erklärung für das Wesen des Seins. Der Mythos drückt durch Symbole ein vollständiges und zusammenhängendes Wissen aus; obwohl Mythen im Laufe der Jahrhunderte möglicherweise bagatellisiert und verfälscht wurden, kann der Mensch mit ihrer Hilfe zum Anfang der Zeit zurückkehren, sein eigenes Wesen wieder entdecken und neu erleben. 4.3 Mythos und Gesellschaft Ein philosophisches und spekulatives Verständnis des Mythos, wie es der italienische Philosoph Giovanni Battista Vico zeigte, warf die Frage der Wechselbeziehung von Mythos und Gesellschaft auf. In Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker (1725; endgültige Ausgabe, 1744) formulierte Vico eine Vierstufentheorie der Entwicklung des Mythos und der Religion in Griechenland. Auf der ersten Stufe wurde die Natur vergöttlicht: Aus Donner und Himmel wurde Zeus und aus dem Meer Poseidon. Auf der zweiten Stufe traten Götter auf, die in Verbindung mit der Zähmung und Beherrschung der Natur standen: der Feuergott Hephäst (Hephästus), die Getreidegöttin Demeter. In der dritten Stufe verkörperten die Götter bürgerliche Einrichtungen und Parteien: Hera zum Beispiel ist die Einrichtung der Ehe. Die vierte Stufe drückt sich durch die völlige Vermenschlichung der Götter aus, wie in der Darstellung Homers. Der französische Soziologe Émile Durkheim bezog sich bei seinen Untersuchungen über die Beziehung von Mythos und Gesellschaft auf Unterlagen über die Kulturen der Aborigines. Durkheim verwarf die Vorstellung, dass der Mythos aus außergewöhnlichen Naturerscheinungen hervorgeht. Die Natur war für ihn ein Modell der Ordnung und folglich voraussagbar wie alles Gewöhnliche. Er kam zu dem Schluss, dass Mythen als Reaktion des Menschen auf seine gesellschaftliche Existenz entstehen. Sie drücken die Weise aus, in der die Gesellschaft die Menschen und die Welt repräsentiert, und sie bilden ein moralisches System, eine Kosmologie sowie eine Geschichte. Mythen und die Rituale, welche aus ihnen entstehen, erhalten und erneuern die moralischen und anderen Überzeugungen, bewahren sie vor dem Vergessen und stärken die Menschen in ihrem gesellschaftlichen Wesen. Der britische, in Polen geborene Ethnologe Bronislaw Malinowski entwickelte diese soziologische Mythosvorstellung weiter. Für Malinowski erfüllt der Mythos in traditionellen Gesellschaften eine unerlässliche Funktion: Er drückt den Glauben aus, stärkt und kodifiziert ihn. Er setzt und schützt moralische Prinzipien und enthält praktische Regeln zur Orientierung des Einzelnen in diesen Kulturen. Die soziologische Bedeutung des Mythos ist unter Ethnologen unbestritten. Dies impliziert jedoch nicht, dass der Mythos als eine Funktion der menschlichen Gesellschaft verstanden wird. Vielmehr bestehen Mythos und Gesellschaft nebeneinander; die soziopolitische Ordnung kann als eine ungenaue Widerspiegelung der gesellschaftlichen oder kosmischen Ordnung gesehen werden, wie sie in Mythen zu finden ist, und die Mythen erklären die gesellschaftliche Ordnung für legitim. Der französische Linguist Georges Dumézil, der umfassende Forschungen über indogermanische Mythen in Kulturen wie der indischen, griechischen, römischen, germanischen und skandinavischen betrieb, stellte in diesen Mythen eine gemeinsame kosmosoziologische Struktur fest. In allen Formen des indogermanischen Mythos fand er eine dreiteilige hierarchische Struktur; diese bestand aus einem Priester oder Herrscher an der Spitze, Kriegern in der Mitte und Bauern, Hirten und Handwerkern als Basis. Diese Klassen entsprechen kosmischen Gottheiten; und in der erzählenden Form des Epos werden die Wechselbeziehungen, Feindschaften und Konflikte unter den drei Klassen dramatisiert. Dumézil behauptet nicht, dass alle indogermanischen Gesellschaften diese Gesellschaftsstruktur wirklich besitzen, sondern vielmehr, dass diese Struktur als archetypische Sprache für die Darstellung von idealen Bedeutungen innerhalb der indogermanischen Kulturen wirksam sei. Der deutsche Philosoph Ernst Cassirer führte die Vorstellung von den geistig-logischen und intuitiv-phantasievollen Aspekten des Mythos in seiner Darstellung der Bedeutung des Mythos und der gesellschaftlichen Gruppe weiter. Er schloss sich der Meinung an, dass der Mythos aus den Emotionen hervorgeht. Aber er hob hervor, dass der Mythos mit der Emotion, aus der er entsteht, nicht identisch ist, sondern der Ausdruck (die Objektivierung) der Emotion. In diesem Ausdruck oder dieser Objektivierung erhalten die Identität und die grundlegenden Werte der Gruppe eine absolute Bedeutung. Cassirer vertrat die Auffassung, dass der Mythos und die mythischen Denkarten eine mächtige Grundlage in den wissenschaftlichen, technologischen Kulturen des Westens bilden. 4.4 Mythos und Psychologie Mythen sind ein unerschöpflicher Fundus für die (tiefen)psychologische Forschung. So veranschaulicht etwa Sigmund Freud an Beispielen aus der mythologischen Überlieferung seine Konflikt- und Triebtheorie, in deren Zentrum der Ödipus- bzw. Elektrakomplex steht. Auch Carl Gustav Jung entwickelte seine Theorie von einem ,,kollektiven Unbewussten" aus der Untersuchung einer Vielzahl von Mythen. Jung wie auch Freud zufolge äußern sich im Traum, der eine Vielzahl struktureller Gemeinsamkeiten mit mythischen Erzählungen aufweist, die Triebkräfte des Unbewussten. Eine sehr umfassende Untersuchung des Mythos aus Sicht der Jung'schen Tiefenpsychologie unternahm Joseph Campbell, der in Die Masken Gottes (4 Bde., 1959-1967) versucht, eine allgemeine Theorie über den Ursprung, die Entwicklung und die Einheitlichkeit aller menschlichen Kulturen zu formulieren. Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.
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Solche Mythen sind bei den Juden, Christen, Muslimen und Zoroastriern zu finden. Ein Weltenbrand und die letzte Schlacht der Götter sind Teil der indogermanischen Mythologie.

In der aztekischen Mythologie erschaffen und vernichten die Götter mehrereWelten, bevor sie die Welt der Menschen einrichten. Auch der Ursprung des Todes ist Gegenstand zahlreicher Mythen.

In diesen Mythen war die Welt lange Zeit ohne Tod.

Erst als die Botschaft der Götter in Vergessenheitgerät, tritt er in die Welt.

In der Genesis zieht der Tod in die Welt ein, als die Menschen die ihnen von Gott gezogenen Grenzen ihres Wissens überschreiten. 3.2 Mythen von Kulturheroen Andere Mythen erzählen von den Taten und vom Charakter der Wesen, denen die Entdeckung eines bestimmten kulturellen Artefakts oder eine entscheidendetechnologische Errungenschaft zugeschrieben wird.

Dies sind Mythen von Kulturheroen.

In der griechischen Mythologie ist Prometheus, der den Göttern das Feuer stahl, einPrototyp des Kulturheros.

In der Dogon-Kultur weist der Schmied, der für die menschliche Gemeinschaft Samen aus der Kornkammer der Götter stiehlt, Ähnlichkeit mitPrometheus auf. 3.3 Mythen von Geburt und Wiedergeburt Gewöhnlich mit Initiationsriten verwandt, erzählen Mythen von Geburt und Wiedergeburt, wie man das Leben erneuern, die Zeit ändern oder Menschen in neue Geschöpfeverwandeln kann. In Mythen von der Heraufkunft einer idealen Gesellschaft (chiliastische Mythen) oder eines Erlösers (Soteriologien) werden eschatologische Themen mit Themen derWiedergeburt und Erneuerung vereint.

Chiliastische und soteriologische Mythen sind sowohl in den traditionellen Kulturen Afrikas, Südamerikas und Melanesiens als auch inden drei großen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam zu finden. 3.4 Gründungsmythen Seit den Anfängen der Städte zwischen dem 4.

oder 3.

Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung berichten verschiedene Mythen von Stadtgründungen.

Städte wurden beizeremoniellen Zentren errichtet, die als Manifestationen einer geheiligten Kraft galten ( siehe Delphi).

Die Manifestation ermöglichte die Äußerung dieser Kraft an einem bestimmten Ort, wobei der Wert der Sesshaftigkeit hervorgehoben wurde.

Das babylonische Gilgamesch-Epos und die römische Legende von Romulus und Remus sindsolche Gründungsmythen. 4 ERFORSCHUNG DES MYTHOS Die Mythologie hat das Interesse der Gelehrten aus den verschiedensten Fachrichtungen auf sich gezogen.

Manche untersuchen Mythen mit Hilfe von Material aus derGeschichte, Archäologie, Ethnologie und anderen Disziplinen.

Andere benutzen die Mythen selbst als Material für ihre Forschungen, wie die Linguistik und die Psychologie. 4.1 Mythos und Sprache Der berühmteste Verfechter des Mythos als Beispiel für die historische Sprachentwicklung ist Friedrich Max Müller.

In seinen wichtigsten Studien beschäftigte er sich mit derReligion und den Mythen Indiens.

Müller war der Auffassung, dass die Götter und ihre Taten in den vedischen Schriften des alten Indiens keine wirklichen Wesen oderGeschehnisse darstellen sollen, sondern als Ausdruck des Versuches verstanden werden müssten, den Naturerscheinungen (wie Donner oder Blitz) bildhaft Ausdruck zuverleihen. Neueren Datums ist das strukturalistisch-linguistische Modell, das auf dem Werk der Linguisten Ferdinand de Saussure und Roman Jakobson, sowie des amerikanischenVolkskundlers S.

Thompson aufbaut.

Strukturalistische Linguisten konzentrieren sich auf die Gesamtbedeutung der Sprache als einem internen logischen System.Insbesondere untersuchen sie die Beziehung von zwei Sprachebenen: die tatsächlich gesprochenen Wörter und ihr Inhalt sowie die zugrunde liegende systematischeStruktur (Grammatik, Syntax und andere Sprachregeln). Der bedeutendste Mythenforscher auf diesem Gebiet ist der französische Ethnologe Claude Lévi-Strauss.

Für ihn stellen Mythen einen Sonderfall des Sprachgebrauchs dar,eine dritte Ebene außer der narrativ vermittelten Oberflächen- und der zugrunde liegenden Tiefenstruktur.

In Mythen entdeckte er bestimmte Gruppen von Beziehungen,die, obwohl sie im erzählenden und dramatischen Inhalt ausgedrückt waren, der systematischen Ordnung der Sprachstruktur folgten.

Daraus folgerte er, dass allenSprachen und Kulturen dieselbe logische Form gemeinsam ist, in wissenschaftlichen Werken und traditionellen Mythen gleichermaßen.

Siehe Semantik. 4.2 Mythos und Wissen Theorien, die anführen, dass der Mythos eine Form und Weise von Wissen darstellt, sind so alt wie die Mythendeutungen selbst.

Die Überschneidung von mythischen undrationalen Methoden wurde bereits von den klassischen griechischen Philosophen herausgearbeitet; und auch der Kirchenvater Origenes aus dem 3.

Jahrhundert betonte,dass die göttliche Offenbarung in Jesus am besten in mythischen Kategorien verstanden werden könne. In Darstellungen über die Beziehung von Mythos und Wissen sind zwei Hauptrichtungen auszumachen.

Zum einen wird der Mythos in intellektueller und logischer Hinsichtuntersucht und zum anderen in seiner phantasiereichen, intuitiven Bedeutung als Wahrnehmungsform, die entweder von dem in rationalen, logischen Kategorien zufassenden Wissen unterscheidbar ist oder diesem in der Evolution des Geistes vorausging. Der britische Ethnologe Edward Burnett Tylor vertrat die Auffassung, dass Mythen in „archaischen Kulturen” auf einer psychologischen Täuschung und irrigen logischenSchlussfolgerung basieren – auf einer Verwechslung der subjektiven und objektiven Wirklichkeit, des Realen und des Idealen. Der französische Linguist Maurice Leenhardt erklärte den Mythos in erster Linie als eine Ausdrucksform der Lebenserfahrung der Gemeinschaft.

Leenhardt, der einen großenTeil seines Lebens bei den Melanesiern verbrachte, beobachtete, dass diese auf die Gegebenheiten ihrer Umwelt passiv reagierten.

Sie strebten nicht danach, ihre Umweltbegrifflich oder technologisch zu dominieren, sondern versuchten, sich in sie einzufügen.

Für diese Haltung prägte er den Begriff kosmographisch und führte die Mythen der Melanesier auf ihre kosmographische Erfahrung von der Welt zurück. Nach Ansicht des französischen Philosophen Lucien Lévy-Bruhl erfahren die Menschen in archaischen Kulturen die Welt ohne den Nutzen logischer Kategorien, sie gewinnenihr Weltwissen durch mystische Teilnahme an der Wirklichkeit und verleihen ihm Ausdruck im Mythos. Der schottische Geisteswissenschaftler Andrew Lang und der deutsche Ethnologe Pater Wilhelm Schmidt aus dem 19.

Jahrhundert stellten in der ethnographischen Literaturdas häufige Auftreten eines „Hochgottes” fest; diese Gottheit schuf die Welt und distanzierte sich dann von ihr.

Sie stellten einen Unterschied in den Mythen zwischen dieserArt Gottheit und den anderen Gottheiten und Geistern fest.

Daraus folgerten sie, dass diese Vorstellung von einem Schöpfer ihren Ursprung in einer metaphysischen undintellektuellen Betrachtungsweise hat und nicht in einer geistigen Evolution vom Prälogischen zum Rationalen. Eine umfassende Deutung des Mythos als gleichzeitig rational-logisch und intuitiv-phantasiereich lieferte der in Rumänien geborene Religionshistoriker Mircea Eliade.

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