M. Stirner
Publié le 22/02/2012
Extrait du document

M. Stirner (1806-1856)
Man hat Stirners Buch »Der Einzige und sein Eigentum« zumeist als
das anarchische Produkt eines Sonderlings aufgefaßt, es ist aber vielmehr
eine letzte Konsequenz aus Hegels weltgeschichtlicher Konstruktion,
die es — allegorisch entstellt — genau wiederholt. Stirner selbst
bekennt diese Abkunft von Hegel in seiner Besprechung von Bauers
»Posaune«. Habe doch Hegel selbst am Schluß seiner Geschichte der
Philosophie dazu aufgefordert, den Geist der Zeit zu ergreifen und
seine Verschlossenheit an den Tag zu ziehen - jeder an seinem Ort.
Auch Marx hat Stirners Buch als eine Geschichtskonstruktion nach
dem Muster von Hegel begriffen und dafür im einzelnen den Nachweis
erbracht.290 Stirners Hegelianismus wird aber dadurch verdeckt,
daß er den Hegelschen Kategorien populäre und darum konkreter
wirkende Namen gibt, womit er sich über die Geschichte des »Geistes«
erhaben wähnt.291
Der »Einzige und sein Eigentum« lebt von der Meinung, der Anfang
einer neuen Epoche zu sein, in der das je einzige Ich zum Eigner seiner
je eigenen Welt wird. Zum Zweck dieser Revolution kehrt Stirner in
das »schöpferische Nichts« zurück. Von ihm aus entwirft er die Geschichte
der »alten« und »neuen« Welt des Heidentums und des Christentums
in einem endgeschichtlichen Horizont, und der neue Anfang
bin »Ich«. Den Alten war die Welt eine sinnliche Wahrheit, hinter
welche das Christentum kam; den Neuen wurde der Geist zur übersinnlichen
Wahrheit, hinter die Stirner in der Konsequenz von Feuer-
119
bach kam. Der letzte Ausläufer der »Geistes«-Geschichte des Christentums
ist der politische, soziale und humane »Liberalismus« der
Linkshegelianer, den Stirner mit seinem »Verein von Egoisten« übertrumpft.
Radikal, d. h. wurzellos wie er ist, hat er sowohl die »Welt-
Weisheit« der Griechen wie die »Gottesgelahrtheit« der Christen und
auch die »theologischen Insurrektionen« der neuesten Atheisten schon
hinter sich.
Seit 2000 Jahren arbeitet man daran, den ursprünglich heilig gewesenen
Geist zu entweihen. Seine letzte und höchste Gestalt hat der
christliche Glaube an den Geist, der lebendig macht, in Hegel erreicht.
Die Entwicklung, die nach dem katholischen Mittelalter begann, hat
sich in ihm vollendet. Luther hat alles weltliche Sein im Glauben geheiligt,
Descartes durch die Begründung im Denken und Hegel in der
spekulativen Vernunft. »Daher gelang auch dem Lutheraner Hegel. . .
die vollständige Durchführung des Begriffs durch Alles. In Allem ist
Vernunft, d. h. Heiliger Geist.«292 Gemessen an der von Stirner erreichten
»vollkommenen Lumperei« ist aber der Unterschied zwischen
Luther, Descartes und Hegel verschwindend. Sie alle glaubten an
etwas Göttliches im Menschen, sie kannten noch nicht den ganz gemeinen,
nackten Menschen, der sein je eigenes Ich ist. Zuletzt schien
der humanitäre »Mensch« noch eine göttliche Wahrheit zu sein, aber
er ist nur eine »inhaltsvolle Phrase«, die Stirner mit seiner »absoluten
Phrase« vom Einzigen als dem Ende aller Phrasen überholt. Sein
Ausgangspunkt ist darum weder der Geist noch der Mensch, sondern
ausschließlich er selbst. Am äußersten Rand eines verlorenen Glaubens
an den christlichen Geist und die heidnische Welt schöpft Stirners »Ich«
aus dem Nichts seine Welt. Und es zeigt sich, daß der Mensch überhaupt
keine allgemeine »Bestimmung« und »Aufgabe« hat,293 denn
der Sinn des Einzigen liegt einzig und allein in seiner je eigenen Aneignungskraft.
Fragt man dagegen nach einer allgemeinen Bestimmung des Menschen,
so bewegt man sich noch im »christlichen Zauberkreis« und innerhalb
der Spannung des allgemeinen (göttlichen) »Wesens« und der einzelnen
(irdischen) »Existenz«. Das Christentum, dem es ebenso wie dem
Altertum noch um Göttliches ging, hat es zu keiner eindeutigen Weltgeschichte
gebracht. Dem Christen schwebte die Erlösung der Welt als
das »Ende der Tage« vor, dem Menschen als »Ziel der Geschichte«:
beide setzten die Geschichte nicht in den jeweiligen »Augenblick«,294
welcher der zeitliche Punkt des »Ich« ist. Erst der als Ich entzauberte
Mensch, der weder ein Teilhaber am christlichen Gottesreich, noch ein
120
Geschäftsträger in Hegels geistigem Weltreich ist, ist für sich selbst
schon die Weltgeschichte - »und das geht über das Christliche!« Der
Einzige ist unbesorgt um die ganze übrige Welt, die sein verbrauchbares
Eigentum ist. »Stell' ich auf Mich, den Einzigen, meine Sache,
dann steht sie auf dem vergänglichen, dem sterblichen Schöpfer seiner,
der sich selbst verzehrt, und Ich darf sagen: Ich hab' mein Sach' auf
Nichts gestellt.« Mit dieser extremen Verendlichung und Verzeitlichung,
die nicht mehr das allgemeine »Gattungswesen« des Menschen
betrifft (Marx), sondern nur noch das Ich, beschließt Stirner seine
durch Hegels Vollendung bedingte Konstruktion der Geschichte.
Vom Standpunkt der materialistischen Geschichtsauffassung aus hat
Marx diese Konstruktion in seiner Kritik: »Sankt Max« als eine zur
»Gespenstergeschichte« gewordene Geister-Geschichte heruntergemacht.
Stirner verwechsle das »Berliner Lokalresultat«, daß die ganze Welt
in der Hegelschen Philosophie »alle jeworden sei«, mit seinem je
»eigenen« Weltreich. »Bei einem lokalisierten Berliner Schulmeister
oder Schriftsteller ..., dessen Tätigkeit sich auf saure Arbeit einerseits
und Denkgenuß andererseits beschränkt, dessen Welt von Moabit bis
Köpenick geht und hinter dem Hamburger Tor mit Brettern zugenagelt
ist, dessen Beziehungen zu dieser Welt durch eine miserable Lebensstellung
auf ein Minimum reduziert werden, bei einem solchen Individuum
ist es allerdings nicht zu vermeiden, wenn es Denkbedürfnis
besitzt, daß das Denken ebenso abstrakt wird, wie dies Individuum
und sein Leben selbst.« 295 Ein solcher Denker mußte die Philosophie
damit verenden lassen, »daß er seine Gedankenlosigkeit als das Ende
der Philosophie und damit als den triumphierenden Eingang in das
leibhaftige Leben proklamierte«, während er in Wirklichkeit nur »eine
Kreiselbewegung auf dem spekulativen Absatz« ausführte.
Positiv will Marx nachweisen, daß Stirner nur der radikalste Ideologe
der zerfallenen bürgerlichen Gesellschaft als einer Gesellschaft von
»vereinzelten Einzelnen« ist. Wovon sich Stirner befreit, das sind
keine wirklichen Daseinsverhältnisse, sondern bloße Bewußtseinsverhältnisse,
die er nicht selber durchschaut, weil er im privaten Egoismus
der bürgerlichen Gesellschaft befangen ist. Er verabsolutiert daher den
Privatmenschen und das Privateigentum zur »Kategorie« des Einzigen
und des Eigentums. Im Gegensatz zu dieser These vom Eigentum des
je »Einzigen« hat Marx eine Enteignung gefordert, um dem Menschen
als »Gattungswesen« die Welt als die seine zu eigen zu geben. Stirner
und Marx philosophieren einander entgegen in derselben Wüste der
Freiheit: der sich selbst entfremdete Mensch von Marx muß das Ganze
121
der bestehenden Welt durch eine Revolution verändern, um im Anderssein
bei sich selbst sein zu können; das los und ledig gewordene
Ich von Stirner weiß umgekehrt nichts anders zu tun, als in sein Nichts
zurückzukehren, um die Welt, so wie sie ist, zu verbrauchen, soweit
sie ihm brauchbar ist.
Liens utiles
- « Pour moi, il n'y a rien au-dessus de Moi » de Max Stirner
- UNIQUE ET SA PROPRIÉTÉ (L’), Max Stirner (résumé & analyse)
- L'Unique cl sa propriété de Stirner (résumé et analyse)
- UNIQUE ET SA PROPRIÉTÉ (L’) (Résumé et analyse) de Max Stirner
- Stirner (Johann Kaspar Schmidt.