Klassik - Musik. 1 EINLEITUNG Klassik, allgemein die Bezeichnung der so genannten ,,Ernsten Musik" (E-Musik) im Gegensatz zur ,,Unterhaltungsmusik" (U-Musik). Im engeren Sinn wird damit die musikalische Epoche von Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven bezeichnet, deren Musik durch eine einzigartige Ausgewogenheit von Form und Inhalt charakterisiert ist. Der Begriff ,,klassisch" wurde bereits Ende des 18. Jahrhunderts für die Musik dieser drei Komponisten verwendet und umfasst die Zeitspanne etwa zwischen 1780 (Haydns Streichquartette op. 33 ,,nach neuer Art", 1781) und 1827 (Beethovens Todesjahr). Die Bezeichnung Wiener Klassik bezog sich - in Anlehnung an die so genannte Weimarer Klassik in der Literatur (Goethe, Schiller), die dem Geist der antiken griechisch-römischen Klassik nahe stand - auf das Zentrum des künstlerischen Schaffens ihrer Hauptvertreter. Die Zugehörigkeit zur Wiener Klassik kann einerseits durch satztechnische Analysen (Sonatensatzform) beschrieben werden, andererseits definierte der Münchner Musikwissenschaftler Thrasybulos Georgiades das Spezifische dieser Musik als das ,,Diskontinuierliche" in ihrem Verlauf,,,die Haltung des Hier-und-Jetzt". Der oberste formale und inhaltliche Anspruch der Wiener Klassiker an ihre Werke war die Forderung nach Klarheit, Identität, Ausgewogenheit und vor allem Einfachheit der Kunst. Darüber hinaus wurde ein Humanitätsideal angestrebt, wie es am deutlichsten in Haydns Oratorien Die Schöpfung (1798) und Die Jahreszeiten (1801) sowie in Beethovens Oper Fidelio (1805), in seiner Missa solemnis (1819-1823) und in seiner 9. Sinfonie (1822-1824) realisiert ist. Bei Beethoven, dem es erstmals in der Musikgeschichte gelang, sich in Wien als freier Künstler ohne Abhängigkeit von fürstlicher oder kirchlicher Stelle zu etablieren, wird die Musik, die über das Individuelle hinaus Anspruch auf Allgemeingültigkeit besitzt, selbst zum Träger humanitärer Ideen. Diese Einstellung spiegelte den Aufstieg des Bürgertums zur einflussreichen öffentlichen Kraft im Zeitalter der Aufklärung wider. Analog zu Philosophie, Wissenschaft, Literatur und Bildender Kunst, die sich verstärkt in einer klaren Sprache der Allgemeinheit anstatt der sozialen Oberschicht zuwandten, galt auch die Aufmerksamkeit der Komponisten nunmehr einer neuen musikalisch interessierten Öffentlichkeit. Carl Philipp Emanuel Bach nannte im Titel seiner Sechs Sammlungen von Sonaten, Freien Fantasien und Rondos ausdrücklich ,,Kenner und Liebhaber" als Zielgruppe. Hinzu kamen die sich ergänzenden Qualitäten des ,,Wissens" und des ,,Geschmacks", die Haydn in einem berühmten Brief an Mozarts Vater Leopold Mozart explizit einforderte. 2 VORKLASSIK In der Vorklassik bzw. in der Zeit des Rokoko (etwa 1720-1760), der Übergangsphase vom Spät-Barock zur Wiener Klassik, erfolgte mit der deutlichen Absage an die kunstvolle, strenge Regelhaftigkeit der älteren Musizierpraxis die Hinwendung zu einem gefühlsbetonteren Stil (galanter Stil, empfindsamer Stil) mit einfacheren Mitteln. Dazu kam die emotionale Komponente der Musik, deren Ziel es war, die Herzen der Zuhörer zu rühren und Empfindungen zu erregen. Diese Veränderungen waren freilich nicht national beschränkt, sondern Ausdruck eines über ganz Europa verteilten neuen ästhetischen und politischen Freiheitswillens. Beim Übergang vom Ancien Régime zur modernen bürgerlichen Gesellschaft entstand erstmals auch die Idee eines freien Künstlertums und eines hoch entwickelten, auch vom Bürgertum getragenen öffentlichen Musiklebens in den großen europäischen Zentren, wie Paris, London, Wien, Mannheim, Mailand und Neapel. Der Stilwandel vollzog sich gleichzeitig in Frankreich, Italien und Deutschland. Einen bedeutenden Beitrag dazu leisteten Komponisten wie Domenico Scarlatti, Giuseppe Tartini, Giovanni Battista Sammartini, Giovanni Battista Pergolesi, Jean-Marie Leclair, Georg Philipp Telemann, Johann Joachim Quantz, Johann Adolf Hasse, Carl Philipp Emmanuel Bach, Georg Christoph Wagenseil und Johann Stamitz. Im Bereich der Tasteninstrumente vollzog sich in der Klassik ein grundlegender Wandel: Die Continuo (Generalbass)-Funktion dieser Instrumente verlor schrittweise an Bedeutung. Dementsprechend kam es zu einem Niedergang der Triosonate, einer der wichtigsten Formen barocker Instrumentalmusik. Sie wurde vom Streichquartett verdrängt, dessen formale Entwicklung zu den größten Errungenschaften Joseph Haydns zählt. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde die Cembalosonate zu einer der Hauptgattungen der Epoche. Der bedeutendste Vertreter dieses Genres war der italienische Komponist Domenico Scarlatti, dessen virtuose Sonaten einen frühen Höhepunkt dieser neuen instrumentalen Gattung darstellen. 3 SINFONIE Die Entwicklung der Sinfonie aus der Ouvertüre (sinfonia) der Opera seria fand in Italien um 1730 statt. Zu den frühen italienischen Komponisten von Sinfonien gehörten Giuseppe Tartini und Giovanni Battista Sammartini. Schon bald zeigte sich jedoch die führende Rolle der deutschen Komponisten bei der Entwicklung klassischer Musik. Eine herausragende Rolle spielte hier die Mannheimer Schule, eine am Hof des pfälzischen Kurfürsten Karl Theodor wirkende Musiker- und Komponistengruppe, die einen entscheidenden Beitrag zur Ausbildung des klassischen Instrumentalstiles leistete. Das Mannheimer Orchester unter Johann Stamitz war berühmt für seine einzigartige Orchesterdisziplin und bedeutende spieltechnische Neuerungen, wie das so genannte ,,Mannheimer Crescendo". Die Entstehung des klassischen Orchesters verdanken wir u. a. Komponisten wie Georg Mathias Monn und Georg Christoph Wagenseil. Die mannigfaltig belegten Unterschiede zwischen den einzelnen nationalen Stilen Mitte jenes Jahrhunderts wichen einer internationalen Sichtweise in der Epoche von Haydn und Mozart. So übte z. B. Johann Sebastian Bachs jüngster Sohn Johann Christian Bach, der in Deutschland und Italien studierte und seine Laufbahn als Komponist und Musiker in London fortsetzte, durch die Anmut und Eleganz seiner musikalischen Sprache und seine Experimente in Melodik und Instrumentation einen unmittelbaren Einfluss auf die Werke des jungen Mozart aus. 4 OPER Während sich die Instrumentalmusik im 18. Jahrhundert mehr und mehr von den traditionellen Formen der Barockmusik entfernte, hielt die Vokalmusik noch lang daran fest. Erst der Einzug der Komödie brachte die traditionellen Formen in der Oper in Bewegung: In komischen Intermezzi (Unterhaltungsstücke zwischen den Akten der Opera seria) traten jetzt bekannte Operntypen in gewöhnlichen Lebenssituationen auf. Damit erlangte die Opera buffa schon bald einen Status als eigenständiges Genre, z. B. mit Werken wie La serva padrona (1733) von Giovanni Battista Pergolesi. Aber erst in Wolfgang Amadeus Mozarts vollendeten Opern Le Nozze di Figaro (1786), Don Giovanni (1787), Così fan Tutte (1790; Libretto jeweils von Lorenzo da Ponte) und Die Zauberflöte (1791) wurden die nationalen Ausformungen in einem allgemein psychologisierenden und einem aufklärerischen Humanitätsideal verpflichteten Sinn umgeformt. In der Opera seria versuchte Christoph Willibald Gluck, seine rationale Opernästhetik zu realisieren. Gegen Ende des Jahrhunderts nahm der Einfluss der italienischen Opera seria jedoch deutlich ab, die mit Komponisten wie Johann Adolf Hasse und Niccolò Jommelli ihre letzten bedeutenden Vertreter fand. 5 SONATENSATZFORM Die grundlegende musikalische Bauform der Wiener Klassik ist die Sonaten(hauptsatz)form. Diese Bezeichnung wird für die Musik nach der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Formmodell vor allem des ersten Satzes von Sonaten, Sinfonien und Kammermusikwerken verwendet, das in Exposition, Durchführung, Reprise (und eventuell Koda) untergliedert wird. Es wurde in vollendeter Form zum ersten Mal in den sechs Streichquartetten op. 33 von Joseph Haydn realisiert. Dessen zwölf Londoner Sinfonien (Nr. 93-104, 1791-1795) veranschaulichen wirkungsvoll die Bandbreite seines meisterhaften und reifen orchestralen Stiles. Wolfgang Amadeus Mozart verband darüber hinaus die musikalische Formensprache seiner Zeit mit traditionellen Bauformen, indem er beispielsweise die komplexen harmonischen Verfahrensweisen Johann Sebastian Bachs in die Formen der Wiener Klassik integrierte. So fand z. B. der Kontrapunkt nicht nur in seine Sinfonien (wie in der Jupiter-Sinfonie KV 551, 1788) Eingang, sondern auch in Gattungen wie dem Klavierkonzert. Die musikalische Sprache Mozarts versöhnte zahlreiche gegensätzliche Einflüsse miteinander. Seine intuitive Nebeneinanderstellung italienischer und Wiener Elemente spiegelt sich besonders in seinen überragenden Neuerungen im Bereich der Opera seria, der Opera buffa und des deutschen Singspieles. Der Einfluss der Rhetorik auf die Musik der Klassik ist evident. Gemäß ihrer Forderungen nach gesteigertem Ausdruck und der Bewegung der Gemüter wurden formale Regeln in zahlreichen musiktheoretischen Werken der Epoche zusammengestellt. Eine Vorstellung von den darin formulierten Vorschriften und ihren Parallelen zur Redekunst vermitteln u. a. die Abhandlungen von Johann Joachim Quantz (1752; Versuch einer Anweisung, die Flöte traversiere zu spielen), Leopold Mozart (1756; Versuch einer gründlichen Violinschule), Carl Philipp Emanuel Bach (1753 und 1762; Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen) und Daniel Gottlob Türk (1789; Clavierschule). Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.