Italienische Literatur (Sprache & Litteratur). 1 EINLEITUNG Italienische Literatur, die in italienischer Sprache verfasste Literatur. Bedingt durch die Vorrangstellung der lateinischen Sprache gegenüber den mannigfachen italienischen Dialekten bildete sich eine eigenständige italienische Literatur im Vergleich zu den anderen romanischen Literaraturen erst relativ spät heraus. 2 DAS MITTELALTER Bis zum 13. Jahrhundert war Latein die Literatursprache Italiens. In dieser Zeit wurden vor allem Chroniken, Heldengedichte, Legenden, Heiligenviten (Hagiographien) und religiöse Gedichte sowie didaktisch-erbauliche und wissenschaftliche Werke verfasst. Daneben gab es einige frühitalienische Dichter, die in Französisch oder Provenzalisch schrieben und die meisten ihrer literarischen Stoffe und Darstellungsmittel aus ausländischen Quellen schöpften. Eine der bedeutendsten Gedichtformen der Zeit war das provenzalische Kanzone. Literarische Themen stellten etwa die Taten der Helden des Altertums, der Ritter der Tafelrunde (siehe Artussage) sowie von Karl dem Großen und seinen Paladinen dar. Die Karlsgeste, die dem französischen Chanson de Geste entlehnten Epen aus dem Karolingischen Zyklus über Karl den Großen, erschienen zuerst in frankovenetischer Mundart und wurden später in der Toskana ins Italienische übertragen, wobei das höfische Element zugunsten eines mehr urban-intellektuellen zurückgenommen wurde (Berta da li pe grandi, Karletto). Diese Erzählungen gelangten in Italien zu andauernder Beliebtheit und boten zudem Themen für spätere italienische Dichter. Erste Dokumente einer Verwendung italienischer Dialekte finden sich in der Spielmannslyrik Ritmo laurenziano des Troubadours Raimbaut de Vaqueiras aus dem späten 12. Jahrhundert (siehe Spielmannsdichtung). 2.1 Das 13. und beginnende 14. Jahrhundert Im 13. Jahrhundert avancierte Sizilien zu einem der wichtigsten kulturellen Zentren Europas. Dementsprechend waren die frühesten in italienischer Sprache verfassten Gedichte die der sizilianischen Dichterschule, die mit dem Hof Kaiser Friedrichs II. und seines Sohnes Manfred in Verbindung stand. Hierbei handelte es sich vor allem um höfische Liebesgedichte, die sich stark an die provenzalischen Vorbilder anlehnten. Die wichtigsten Dichter dieser Schule waren Giacomino Pugliese und Rinaldo d'Aquino sowie Pier della Vigna und Giacomo da Lentini. Letzterer gilt als Schöpfer des ersten Sonetts. Die sizilianische Dichterschule trug wesentlich dazu bei, das Provenzalische als Literatursprache Italiens zu etablieren, eine Entwicklung, die durch die Dichtungen Raimbauts de Vaqueiras' und Sordellos in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts bereits mit vorbereitet worden war. Jedoch bevorzugten die mittelalterlichen Dichter auch weiterhin das Lateinische und Altfranzösische, so etwa Brunetto Latini, der um 1265 im französischen Exil seine Enzyklopädie Li livres dou trésor für den Laienstand fertig stellte. Nach dem Niedergang des Hauses der Hohenstaufer 1254 verlagerte sich das Zentrum italienischer Dichtkunst in die Städte Arezzo, wo der Musiktheoretiker und Schriftsteller Guido von Arezzo tätig war, und Bologna, wo Guido Guinizelli erneuernd wirkte. Guido von Arezzo und seine Anhänger - darunter der Florentiner C. Davanzati - schufen wenig eigenständige Dichtungen. Guinizelli hingegen war der Schöpfer des Dolce stil nuovo, wie Dante Alighieri in seiner Göttlichen Komödie die bereinigte Sprache beschrieb, die verwendet wurde, um über die ästhetisch überhöhte Liebe zu schreiben. In diesem Stil überließ sich der Dichter nicht der weltlich-profanen Art der Beschreibung, wie sie in der provenzalischen und sizilianischen Liebeslyrik vorherrschte, sondern besang platonische Liebesbeziehungen, in denen der Liebhaber durch die Schönheit und Reinheit der angebeteten Frau vergeistigt wird und seine Seele sich zum Verständnis göttlicher Schönheit erhebt. Der bedeutendste Dichter Italiens, Dante Alighieri, der Guinizelli sehr schätzte, verfasste sein erstes Werk, La vita nuova (entstanden zwischen 1292 und 1295, gedruckt 1576; Das neue Leben), in diesem neuen Stil. In von lyrischen Passagen durchsetzter Prosa beschrieb er in idealisiertem und idealisierendem Pathos die Liebe zu der von ihm angebeteten Beatrice, die bereits frühzeitig verstorben war. Dante und weitere Dichter, darunter Guido Cavalcanti, D. Frescobaldi und Cino de Pistoia, machten den Dolce stil nuovo zu einem der bedeutendsten Ausdrucksmittel italienischer Dichtkunst. Ironisiert wurde er zuerst von C. Angiolieri, der sich damit teils höhnisch, teils satirisch von dem im Mittelalter beliebten Ideal der hohen Minne abzusetzen suchte (siehe Minnesänger). Zwischenzeitlich trat ein weiterer einheimischer Originalstil in die italienische Literatur: Die umbrische Laudendichtung (von Laudes: Lobgedicht) lehnte sich an Franz von Assisi an, dessen Cantico delle creature bzw. Cantico di frate Sole (Sonnengesang) die Liebe zur gesamten Schöpfung Gottes preist. Ähnlich geartet sind die Fioretti, eine Legendensammlung in Versform, die auf der Vita des heiligen Franziskus basieren. Im 13. Jahrhundert folgten weitere franziskanische Dichter, darunter Iacopone da Todi, der Schöpfer von Kirchenliedern wie Maria, Du Schmerzensreiche und Stabat Mater. Seine Dialoglyrik Laude wurde 1490 herausgegeben. Aus den Dichtungen Todis gingen die geistlichen Dramen des späten Mittelalters in Italien hervor. 2.2 Dante Alighieri Dante Alighieri ist eine der herausragenden Gestalten der Weltliteratur. Seine fast ausnahmslos in italienischer Volkssprache verfassten Werke zeichnen sich durch den lebendigen Fluss der Verse und große schöpferische Imaginationskraft aus. Nach 1305 schrieb Dante die Abhandlung De Vulgari Eloquentia (gedruckt 1529, Über die Ausdruckskraft der Volkssprache), in der er für das Italienische, genauer das Toskanische, als Literatursprache eintrat. In bestimmten Fällen, argumentierte der Dichter, stehe der Dialekt dem Lateinischen an Würde und Schönheit nicht nach. Gleichzeitig legte De Vulgari Eloquentia die Bedingungen für eine italienische Hochsprache fest. Dante beherrschte nahezu das gesamte Wissen seiner Zeit und gilt als der bedeutendste Vermittler mittelalterlicher Vorstellungen in Europa. Sein Werk Il Convivio (entstanden zwischen 1306 und 1308, gedruckt 1490; Das Gastmahl) ist als philosophische Enzyklopädie zu sehen, die in Form von Kommentaren zu einzelnen Kanzonen Einblick in die europäische Kultur gewährt. Seine politischen Überzeugungen, für die er ins Exil gehen musste, legte er in seiner Abhandlung über die Regierungskunst De Monarchia dar (entstanden zwischen 1310 und 1315, gedruckt 1559; Über die Monarchie). Hier beschrieb er ein aufgeklärtes Weltkaisertum als beste Herrschaftsform, wobei er von einer Trennung von Kirche und Staat ausging. Dantes Hauptwerk ist das allegorisch-lehrhafte Gedicht La divina commedia (Die göttliche Komödie). Mit der Niederschrift in Volkssprache begann er vermutlich um 1311. Die Göttliche Komödie schildert die imaginäre Reise des Dichters durch die drei Reiche des Jenseits: die Hölle (L'inferno), das Fegefeuer (Il purgatorio) und das Paradies (Il paradoiso). Geführt wird Dante von Beatrice, dem Objekt seiner distanziert-keuschen Bewunderung und Symbol der göttlichen Gnade, sowie vom römischen Dichter Vergil als allegorischer Verkörperung von Vernunft, Wissenschaft und Philosophie. 3 TRECENTO (14. JAHRHUNDERT) Die Vorphase der italienischen Renaissance war geprägt von einer Steigerung der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Betriebsamkeit. Die Städte entwuchsen dem Feudalsystem und wurden zu Handelszentren. Einige Stadtstaaten wie Venedig oder Genua beherrschten ganze Reiche des Mittelmeerraumes. In dieser Zeit wurden alte Manuskripte wieder entdeckt und die klassische Literatur neu bewertet, was zu einer ,,Wiedergeburt" (renasciata) der Literatur, Kunst und Philosophie aus dem Geist der Antike führte. Ausgehend von Italien breitete sich diese Erneuerungstendenz nach und nach über ganz Europa aus. Viele der bedeutenden Gestalten des Trecento waren Gelehrte, die sich mit den griechischen und lateinischen Klassikern intensiv auseinandersetzten. Als Humanisten mehr dem Menschen als einer jenseitig-religiösen Ideenwelt zugewandt, unterschieden sie sich deutlich von den Gelehrten und Denkern des Mittelalters. Viele Humanisten bezogen sich wieder auf die Werke Platons, während im Mittelalter noch der Einfluss von dessen Schüler Aristoteles vorherrschend war (im Bereich der Poetik änderte sich dies im Verlauf der Renaissance zunehmend). In diesem Rahmen wurde auch weiterhin die lateinische Sprache kultiviert, so etwa bei A. Mussato, der seine erst 1636 herausgegebene und wohl Anfang des 14. Jahrhunderts geschriebene Tragödie Ecerinis in der Manier Senecas des Jüngeren verfasste. 3.1 Petrarca und Boccaccio Einer der herausragenden Künstler der Frührenaissance war der humanistische Gelehrte und Dichter Francesco Petrarca. Mit ihm trat ein neues Lebensgefühl in die abendländische Kultur ein. Im Unterschied zu Dante und anderen mittelalterlichen Denkern wie dem italienischen Vertreter der Scholastik, Thomas von Aquin, und dem französischen Philosophen Pierre Abélard, lag Petrarca weniger daran, die Texte der Klassiker der Antike für seine eigenen Absichten zu verwenden, als vielmehr aus dem Geist der Klassik heraus zu schreiben - und ethisch zu handeln. So trug Petrarca maßgeblich dazu bei, das klassische Latein als Literatursprache und Medium der Gelehrten wieder zu etablieren und das mittelalterliche Kirchenlatein, das als übernationales Verständigungsmittel diente, zu verdrängen. Durch seine Forschungen und seine umfangreichen Sammlungen antiker Handschriften legte er den Grundstein der klassischen Philologie ( siehe Altphilologie). Petrarcas Modernität liegt vor allem in seiner für die Renaissance wichtigen Betonung der Bedeutung des Individuellen, Schöpferischen. In seinen Schriften De Vita Solitaria (entstanden 1346-1356, gedruckt 1473) und De Remediis Utriusque Fortunae (1468, Von der Artzney bayder Glück - des guten und widerwertigen) fand diese Haltung erstmals Ausdruck. Im Gegensatz zu dem Universalisten Dante, der Italien als Teil eines großen Kaiserreiches (dem des Heiligen Römischen Reiches) sah, sprach aus Petrarca ein neues italienisches Nationalgefühl. Dem Dichter zufolge war Italien Erbe und Nachfolger des antiken Rom, dessen geistige Größe und zivilisatorischen Auftrag er in seinem lateinischen Epos Africa (entstanden zwischen 1338 und 1343, gedruckt 1496) verherrlichte. Gegenstand der ursprünglich neun, später zwölf Bücher umfassenden Dichtung ist der Sieg Roms über Karthago im 2. Punischen Krieg (siehe Punische Kriege). So beeindruckend Petrarcas Beiträge zur klassischen Philologie auch sein mögen, so beruht seine eigentliche Größe doch auf seinen in italienischer Sprache verfassten Dichtungen. Das Canzoniere (entstanden nach 1327, herausgegeben 1470; Italienische Gedichte, auch: Canzoniere), ein über 300 Sonette, Kanzonen, Sestinen, Balladen und Madrigale umfassender Zyklus, der sich an seine zur Idealfigur stilisierte Geliebte Laura richtet, lässt den Pathos des Dolce stil nuovo weitgehend hinter sich. Hier werden ein Reichtum und eine Innigkeit des Gefühls bzw. der Wahrnehmung lebendig, wie sie in der europäischen Dichtung bis dahin unbekannt waren. Vor allem mit seinen Sonetten wirkte Petrarca auf die gesamte europäische Literaturtradition, was nicht zuletzt in einer eigenen Richtung der Liebeslyrik, dem so genannten Petrarkismus, zum Ausdruck kommt. Giovanni Boccaccio, der dritte bedeutende italienische Dichter des 14. Jahrhunderts, war stark von Petrarca beeinflusst. Dem erzählenden Gestus zugetan, verfasste er Prosaromanzen wie Il Filocolo (entstanden zwischen 1336 und 1340, gedruckt 1472) und Fiammetta (entstanden 1343, gedruckt 1472). Boccaccios Hauptwerk, Il Decamerone (entstanden zwischen 1348 und 1353, gedruckt 1470; Das Dekameron), ist eine Sammlung von 100 kurzen Novellen, die in eine Rahmenerzählung eingebettet sind: Während der Zeit der Pest erzählen sich einige Adelige im Rahmen eines Preisspiels Geschichten, um sich zu unterhalten. Den Abschluss eines jeden Tages bildet eine von einem der Erzähler vorgetragene Kanzone, ein Lied in Gedichtform. Vor allem in diesen Liedern offenbart sich Boccaccios herausragendes Talent als Lyriker. Nachdem die 100. Geschichte erzählt ist, kehrt die Gruppe in die Stadt zurück. Mit dem Decamerone wirkte Boccaccio stilbildend auf die gesamte Gattung der Novelle. Als Bewunderer Dantes verfasste er mit Vita di Dante (entstanden 1630, gedruckt 1477; Das Leben Dantes) dessen Biographie und hielt mehrere Vorträge zur Erläuterung der Göttlichen Komödie. Boccaccios Schriften fanden ein internationales Publikum und dienten vielfach als Handlungs- und Typenvorlage für Werke der Weltliteratur. Neben seinen bekannteren Schriften verfasste er einige Romane (Il ninfale d'Ameto, 1341/42), Lebensbeschreibungen berühmter Persönlichkeiten mit moralisch-didaktischem Impuls im Geist des Mittelalters, ein Kompentium der griechischen und römischen Mythologie (De genealogis deorum gentilium, entstanden 1360-1362, gedruckt 1473) und eine Realienkunde zur historischen Geographie (1348-1353). Dante, Petrarca und Boccaccio benutzten als erste italienische Schriftsteller den Dialekt der Toskana, der in Florenz, Siena und anderen Städten in der Mitte Norditaliens gesprochen wurde, und verschafften ihm allgemeine Anerkennung als Kultursprache. In ihrer Tradition verfuhren zahlreiche andere Dichter und Schriftsteller des 14. Jahrhunderts, die allerdings über epigonales Schrifttum zumeist nicht hinauskamen. Eine Ausnahme bildet sicher die Novellenliteratur F. Sacchettis. Beispiele für die damals vorherrschende Lehrdichtung schuf u. a. F. Degli Uberti. Mit D. Compagni, der eine Chronik der Stadt Florenz vorlegte, beginnt die italienische Geschichtsschreibung. 4 QUATTROCENTO (15. JAHRHUNDERT) Im 15. Jahrhundert setzte, begleitet vom schwindenden Einfluss Petrarcas und Boccaccios, eine neuerliche Rückbesinnung auf die Antike ein. Neben der Beschäftigung mit Handschriften antiker römischer Autoren und deren Übersetzung ins Italienische (vorgenommen etwa durch Gian Francesco Poggio Bracciolini, F. Filelfo und Leonardo Bruni) befassten sich viele Gelehrte mit dem Studium der griechischen Literatur: Nach dem Fall Konstantinopels 1453 gelangten zahlreiche griechische Handschriften ins Land, was ein Studium erleichterte. Zugleich rückte das Lateinische, einer Forderung von C. Salutati gemäß, wieder als anerkannte Schriftsprache in den Vordergrund - neben historischen Schriften und Lyrik erschienen u. a. die Schwänke Beccadellis in Latein. Die aufkommende Lehre des Humanismus, die in zahlreichen Akademien in Rom (Pomponius Laetus) bzw. Neapel (A. Degli Beccadelli, Giovanni Pontano) verbreitet wurde, widersprach der mittelalterlichen Ansicht, die dem Menschen geringen Wert beimaß, und setzte ihn im Gegenteil in den Mittelpunkt des Universums, wobei das Irdische zu jenem Bereich wurde, in der die Seele vollen Ausdruck finden könne. Im Verlauf des Quatrocento begann sich zudem die Volkssprache, das Volgare, allmählich durchzusetzen, ein weiterer Beleg für die Beschäftigung der Literatur bzw. Wissenschaft mit dem Alltagsleben. Die Renaissance brachte viele Universalgenies hervor, die auf mehr als einem Gebiet Großes erreichten. Zu den berühmtesten gehören der Architekt, Maler, Organist und Schriftsteller Leon Battista Alberti, der als eigentlicher Begründer des italienischsprachigen Humanismus (des so genannten Umanesimo volgare) gilt und sich u. a. mit pädogogischen Schriften hervortat (Della famiglia, entstanden 1437-1441), sowie Leonardo da Vinci und Michelangelo (siehe Renaissancekunst). Diese Universitalität des Geistes und des Talents findet sich auch bei den Fürsten, die die italienischen Städte regierten. Unter ihnen ist besonders Lorenzo de' Medici zu nennen, ein Mitglied der Florentiner Fürstenfamilie der Medici. Lorenzo war ein hervorragender Politiker und Verwalter, ein Förderer der Künste, ein Dichter und angesehener Kritiker. Zudem forderte er die Dichter des Landes auf, sich wieder ihrer eigenen Volkssprache zuzuwenden. Der Humanist Angelo Poliziano gilt allgemein als einer der herausragenden Dichter dieser Epoche der italienischen Literatur. Sein Versdrama Orfeo (entstanden vermutlich 1478, gedruckt 1494, Orpheus) ist das erste weltliche Schauspiel Italiens; seine Lyriksammlungen, die u. a. lateinische Elegien, Stanzen und italienische Balladen (Ballate) enthalten, sind von hohem literarischen Rang. Poliziano, der als Hofdichter Lorenzo de' Medicis fungierte, wurde zudem als hervorragender Kommentator und Übersetzer griechischer Texte berühmt. So übertrug er griechische Schriften ins Lateinische, darunter das Werk Enchiridion des Epiktet und Platons Charmides. Auf philologischem Gebiet trat er als Begründer der Textkritik insbesondere mit der Schrift Miscellaneorum centuria (1489) hervor, einer kritischen Betrachtung der Werke von Autoren der Antike, die großen Einfluss auf spätere Gelehrte ausübte. Mit seinem Bericht Pactianae coniurationis commentarium (1478) über die Verschwörung der Pazzi gegen die Medici lieferte Poliziano ein Werk humanistischer Geschichtsschreibung. Auch im 15. Jahrhundert wurden literarische Themen aus den karolingischen Gestes und dem idyllischen Hirtengenre entlehnt. Dabei bereicherten die Dichter ihre Vorgaben immer wieder durch burleske Elemente oder mischten sie mit landeseigenen Sagen. Letzteres kommt besonders in Luigi Pulcis Il Morgante maggiore (1483) zum Ausdruck. Zu den herausragenden Gestes der Zeit gehört der Orlando innamorato (begonnen um 1476, vollständig gedruckt 1495, Der verliebte Roland) von Matteo Maria Boiardo, ein unvollendetes Epos über die Liebesabenteuer Rolands, des Helden des Sagenkreises um Karl den Großen. Mit ihm begründete Boiardo das Ritterepos der Renaissance. Die besondere Leistung Boiardos für die italienische Dichtung ist die Einführung des romantischen und ritterlichen Geistes der Artussagen. Der Orlando innamorato zeichnet sich überdies durch die bunte Darstellung seiner Charaktere und seine liebenswürdige Komik aus. Das kunstvollste Werk im pastoralen Stil war der Roman Arcadia (1504) von Iacopo Sannazaro, der mit diesem Buch den Grundstein der europäischen Schäferdichtung legte. Sein teils autobiographisches, teils allegorisches Werk besteht aus Abschnitten kurzer Erzählprosa verbunden mit Versen in Dialog- und Monologform. Hauptthema dabei ist die idyllische Zuflucht von den Mühen und Plagen des Alltags. Der Gedanke hielt sich mehrere Jahrhunderte lang in der westlichen Literatur und wirkte z. B. auf die Arcadia des spanischen Dichters Lope de Vega oder auf das Werk des englischen Dichters Philip Sidney. Bei ihrer Beschäftigung mit eher weltlichen als religiösen Themen gingen die Renaissancedichter zumeist von den christlichen Vorstellungen des Mittelalters aus. Einige Dichter aber erwähnten christliche Autoren nur, um sie bloßzustellen. Zu ihnen gehörte der einflussreiche Humanist Lorenzo Valla, der sich für den Vorbildcharakter Ciceros aussprach und den die stolze Zurschaustellung Zweifel erweckender päpstlicher Schriftstücke fast das Leben gekostet hätte. Dazu gehörte auch das berühmte Pamphlet Declamatio (1440, Vortrag über die zu Unrecht anerkannte, erlogene Konstantinische Schenkung), welches die Einmischung der Kirche in weltliche Angelegenheiten in Frage stellte. Die Predigten und polemischen Schriften des Reformers Girolamo Savonarola, die den Sittenverfall und die Korruption der Kurie anzuprangern suchten, dienten dem Zweck, diese Entwicklung eines immer stärkeren Liberalismus umzukehren. Wegen seiner Kritik an Papst Alexander IV., dem bekannten Förderer nichtchristlicher Kultur, wurde Savonarola hingerichtet. In dieser Zeit religiöser Neubestimmung erlebte auch der Neuplatonismus um Marsilio Ficino und Giovanni Pico della Mirandola, der die Ideenlehre Platons mit christlichen Vorstellungen zur Heilsgeschichte zu verknüpfen suchte, eine neue Blüte. Ficino interpretierte denn auch Dantes Schriften im Sinn seiner neuplatonistischen Auffassung. Cosimo de' Medici ermunterte ihn (insbesondere durch die Schenkung einer geeigneten Villa außerhalb von Florenz) zudem zur Gründung der florentinischen Akademie. 5 CINQUECENTO (16. JAHRHUNDERT) Im 16. Jahrhundert erreichte die Renaissance ihren Höhepunkt. Das Italienische, das lange durch die Vorliebe vieler Humanisten für Griechisch und Latein in den Hintergrund gedrängt worden war, wurde erneut in den Stand einer ernst zu nehmenden Literatursprache erhoben. Der in der ersten Jahrhunderthälfte äußerst einflussreiche Kritiker Pietro Bembo trug zu dieser Entwicklung maßgeblich bei. In seinen Abhandlungen, vor allem in Le prose della volgar lingua (1525), verlieh er der Sprache Petrarcas Vorbildfunktion für die Lyrik und stellte Boccaccios Prosa als richtungweisend heraus. Seine Werke bildeten die Grundlage für die systematische Erfassung der italienischen Rechtschreibung und Grammatik und ermöglichten so die Einführung einer Standardsprache. Mit seinen- die Verse Petrarcas nachahmenden - Rime (1530) begründete er ausdrucksstark die petrarkistische Bewegung, die, zum Teil auch unter Schriftstellerinnen, bald innerhalb ganz Europas Verbreitung fand und schon bald in F. Berni ihren ersten Parodisten provozierte. (In Italien pflegten u. a. A. Caro, B. Tasso, Veronica Gambra, Vittoria Colonna und G. Della Casa den Petrarkismus.) Unter den Lyrikern des Cinquecento stachen A. di Costanzo, Girolamo Fracastoro, M. G. Vida und Luigi Tansillo heraus. Weitere Schriftsteller dieser Zeit, die mit dem Erbe des Humanismus kreativ umzugehen verstanden, waren der Politiker und Philosoph Niccolò Machiavelli und der Dichter Ludovico Ariosto. Durch seine Erfahrungen als florentinischer Beamter und Diplomat sowie durch seine historischen Studien gelangte Machiavelli zu jener Auffassung von Staatskunst, mit der sein Name bis heute verbunden ist: den so genannten Machiavellismus. Diese Auffassung fand ihren Ausdruck in Il principe (entstanden 1513, gedruckt 1532; Der Fürst), einer Analyse der Struktur politischer Macht und ein Leitfaden für deren Ausübung. Der zentrale Gedanke des Werkes ist die Erhaltung des Staates, die Machiavelli zum obersten Gesetz erklärte, dem alle anderen Verpflichtungen unterzuordnen seien. Sein idealer Fürst ist eine Vorwegnahme der späteren Vertreter eines aufgeklärten Absolutismus, die die Staatsgewalt konsolidierten und sie auf zwischenstaatliche Angelegenheiten richteten. Machiavellis Ausführungen beginnen mit der mittelalterlichen Idee vom Gottesstaat und enden in Vorhersagen zur modernen, wissenschaftlich betriebenen Politökonomie. Mit dieser Machtphilosophie wirkte der Philosoph bis zu Friedrich Nietzsche und dessen Konzeption des Übermenschen (bzw. ,,Renaissancemenschen") nach. Zu Machiavellis weiteren Werken gehören eine Abhandlung über die Kriegskunst, eine umfangreiche Darstellung der Geschichte von Florenz (Istorie fiorentine, entstanden 1520-1525, gedruckt 1531) und eine Biographie des italienischen Soldaten und Politikers Castruccio Castracani (1520) sowie Gedichte und einige Dramen. Sein bekanntestes und bedeutendstes Schauspiel, die realistische Komödie La Mandragola (1524, Mandragola), stellt eine scharfe, pessimistische Darstellung menschlicher Instinkte dar. Die Kunst Ludovico Ariostos, des zentralen italienischen Dichters des 16. Jahrhunderts, findet ihren vollendeten Ausdruck in dem Epos Orlando furioso (erschienen 15161521, Der rasende Roland), einer kraftvollen Originalschöpfung in Weiterführung von Boiardos Orlando innamorato. Ariostos Werk gestaltet den Kampf Karls des Großen und seiner Paladine gegen die Sarazenen und ist darin dem deutschen Rolandslied verwandt. Vor diesem verbindenden Hintergrund verknüpft das Epos Abenteuer, Liebesaffären, Magie, Heldenmut, Schurkerei, Pathos, Sinnlichkeit und zeitgenössische Wirklichkeit zu einer komplexen, sich fortlaufend verändernden Fabel, die Witz und sanfte Ironie beleben. Das Gedicht ist im im Versmaß der Ottaverime, einer Strophe aus acht elfsilbigen sich reimenden Zeilen, verfasst; es gilt als Huldigung an Ariostos Herren, die Familie d'Este. Sein tatsächlicher Held ist Ruggiero d'Este, der legendäre Gründer des Adelsgeschlechts. Orlando Furioso zählt zu den schönsten Heldengedichten überhaupt. Nach seiner Erstveröffentlichung 1516 wurde es sofort in ganz Europa bekannt und wirkte nachhaltig auf die Literatur der Zeit. Der Ruhm des florentinischen Historikers und Politikers Francesco Guicciardini beruht auf La historia di Italia (posthum 1561-1564, Geschichte Italiens), ein Werk, das durch Objektivität und scharfsinnige Berurteilung von Personen und Ereignissen besticht und eines der bedeutendsten Historienwerke des 16. Jahrhunderts darstellt. Guicciardinis Ricordi (1857, Vom politischen und bürgerlichen Leben. Ricordi) zeugen von einer genauen Kenntnis des politischen Lebens in Florenz. Das 16. Jahrhundert war die Zeit allgemeiner Verfeinerung der Sitten; hiervon zeugen zwei beliebte Abhandlungen über Umgangsformen. Das Traktat Il libro del cortegiano (entstanden zwischen 1508 und 1516, gedruckt 1528, Das Buch vom Hofmann) des Diplomaten Baldassare Castiglione behandelt die Etikette, gesellschaftliche Fragen und die Vorteile intellektueller Geistesbeschäftigung. Auf eigenen Beobachtungen und Erfahrungen basierend, entwarf das Werk das Idealbild eines Höflings in Form des Dialogs und diente bald schon als Handbuch zur Ausbildung der herrschaftlichen Gesellschaft in ganz Europa. Ein ähnlich geartetes Werk über die Etikette verfasste der Humanist Giovanni della Casa mit der Schrift Il Galateo (entstanden zwischen 1551 und 1555, gedruckt 1558, Der Galateo. Traktat über die guten Sitten). Auf diese Tendenz höfischer Sittlichkeit, auf die ritterliche Phantasiewelt der Rolandsepen und die Schäferlyrik der Petrarkisten reagierten Parodien wie das komische Ritterepos Baldus (vier Fassungen: 1517, 1521, 1539/40, posthum 1552) von Teofilo Folengo. Als Meister einer Dichtungsform, die das Gelehrtenlatein durch die spielerische Verschmelzung mit dem Italienischen verfremdete, gelang ihm eine Satire auf die zeitgenössische Literatur und Lebensart. Der französische Autor François Rabelais fand im Baldus eine Quelle der Inspiration. Mit seinen Schmähschriften und satirischen Komödien schuf Pietro Aretino ein Werk, das durch skurrilen Humor besticht. Wegen der angeblichen Obszönität seiner Texte mußte er zeitweilig Rom verlassen. In seinen Ragionamenti (1533-1536, Kurtisanengespräche) und der sechsbändigen Ausgabe seines Briefwechsels mit berühmten Persönlichkeiten (Lettere, 1537-1557) tritt dies am deutlichsten zu Tage. Letzterer ist zudem ein beredtes Zeugnis für die humanistische Kunst der Korrespondenz. Zu Aretinos weiteren Werken gehört L'Orazia (1546, Die Horatier), eine Tragödie in Versform. Auch die großen bildenden Künstler Italiens trugen Bedeutendes zur Literatur des Cinquecento bei. Die Sonnette Michelangelos etwa sind ein leidenschaftlicher Ausdruck seiner Gefühle und religiösen Überzeugungen. Leonardo da Vincis Abhandlungen über Kunst und Wissenschaft liegen Gedanken zugrunde, die die moderne Philosophie nachhaltig beeinflussten. Die bemerkenswerte, von Johann Wolfgang von Goethe übersetzte Autobiographie des Bildhauers Benvenuto Cellini (1538-1562) gehört zu den bedeutendsten persönlichen Dokumenten der italienischen Literatur. Die Lebensbeschreibungen berühmter Maler, Bildhauer und Architekten von Giorgio Vasari bilden eine unschätzbare Quelle und eins der meistgelesenen Bücher der Kunstgeschichte. Das Werk enthält seine persönlichen Beurteilungen dieser Künstler sowie Diskussionen über den Zustand der Kunst. Die kurze Erzählprosa des 16. Jahrhunderts fand in den 214 Novellen (4 Bde., 1554-1573) des Matteo Bandello ihren Höhepunkt. Diese an Boccaccio angelehnten Geschichten bildeten die Grundlage für viele bedeutende Werke der europäischen Literatur. Neben vielen anderen bekannten Motiven verarbeitete Bandello die Geschichte von Romeo und Julia und diente damit u. a. William Shakespeare als Stofflieferant. In einer Zeit, da das Lateinische als Sprache der Literatur vorherrschte, trug Bandello mit seinem Werk dazu bei, den Rang des Italienischen neuerlich als Literatursprache zu festigen. Weitere Novellisten des Cinquecento waren Agnolo Firenzuola und G. Straparola. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts stand ganz im Zeichen der Gegenreformation, die mit dem Trienter Konzil, dem so genannten Tridentinum, im Jahr 1545 begann. In der Folge setzte eine Entwicklung der italienischen Literatur hin zu Frömmigkeit und Autoritätsergebenheit ein, die die freiheitlich-tolerante Weltsicht der Humanisten und ihrer Nachfolger durch ein oberflächliches Moralverständnis und eine Idee öffentlicher Wohlfahrt ersetzte. Die überschäumende Autonomie in Ausdruck und lyrischer Form, die etwa noch das Werk Ariostos bestimmte, stieß auf den Argwohn der Kirche; eine von Machiavelli vertretene Gedanken- und Redefreiheit galt als gefährlich. In der Literatur schlug sich diese Veränderung in Form eines neuen Klassizismus nieder, der sich auf die wieder entdeckte Poetik des Aristoteles berief. 1548 wurde die normative Schrift im Original mit lateinischer Übersetzung und einem Kommentar von Francesco Robortelli veröffentlicht. Es folgten viele weitere Fassungen und Abhandlungen über die Poetik, deren bedeutendste diejenigen von Julius Caesar Scaliger (1561) und Lodovico Castelvetro (1570) waren. Im Bereich der Prosa schuf Gian Giorgio Trissino mit La italia liberata da Gotthi (1547/48) das erste streng nach antiken Normen gebaute Epos Italiens. Im Bereich der Komödie setzte einmal mehr Ariosto durch sein aristotelisch komponiertes, dennoch aber eigenständiges Drama La cassaria von 1508, im Bereich der Tragödie knapp zwei Jahrzehnte später wiederum Trissino mit Sophonisbe neue Maßstäbe. Ungeachtet des andauernden Klimas der Unterdrückung schrieb Torquato Tasso sein Meisterwerk La Gerusalemme liberata (entstanden zwischen 1570 und 1575, gedruckt 1581, Das befreite Jerusalem). Mit dieser epischen Gestaltung des ersten Kreuzzuges gelang dem Dichter ein höfisch-heroisches und zugleich christliches Epos von immenser Wirkung. Die 1593 nach geistlichen und poetologischen Gesichtspunkten überarbeitete Neufassung (Di Gerusalemme conquistata) entbehrte jedoch der poetischen Vitalität und erlangte nie die herausragende Bedeutung des Originals. 1590 kam mit Giovanni Battista Guarinis Il pastor fido nach Tassos Aminata (1573) ein weiteres meisterliches Schäferspiel auf die Bühne. Das Werk wurde in viele Sprachen übersetzt und übte großen Einfluss auf die Entwicklung des Schäferspieles aus. Mit Il pastor fido etablierte Guarini die Tragikomödie in der italienischen Literatur. Seine antiaristotelische Poetik legte er in seiner Abhandlung Compendio della poesi tragicomica (1601) dar. Gegen Angriffe seiner Krititer verteidigte er sich mit den Schriften Il Verato (1588) und Il Verato secondo (1593). Guarinis Werk galt bis ins späte 18. Jahrhundert hinein als Musterbeispiel für kultivierte ritterliche Dichtung. Der Philosoph Giordano Bruno schrieb Dialoge, die sich scharf gegen Kleingeisterei und Autoritätsgläubigkeit wandten. Aufgrund nicht kirchenkonformer Ansichten verbrannte man Bruno 1600 als Häretiker in Rom auf dem Scheiterhaufen. 1582 wurde in Florenz die Accademia della Crusca gegründet, die der Pflege der italienischen Grammatik und Sprache dienen und neue Normen zur Reinigung des Italienischen aufstellen sollte. 1612 publizierte die Accademia das erste Wörterbuch des Italienischen. 6 FRÜHMODERNE Das seit dem Ende des 15. Jahrhunderts durch Kriege mit Österreich, Frankreich und Spanien gezeichnete Italien musste durch die Verlagerung des Handelszentrums vom Mittelmeerraum an die Atlantikküste spürbare wirtschaftliche Verluste hinnehmen. Die einst freigeistigen, weltoffenen Stadtstaaten boten der Tyrannenherrschaft nunmehr wenig Widerstand und entwickelten sich zu provinzellen Städten zurück. Im 17. und 18. Jahrhundert befand sich der größte Teil Italiens unter spanischer oder österreichischer Herrschaft. 6.1 Seicento (17. Jahrhundert) Die im 17. Jahrhundert nicht nur in der italienischen Literatur, sondern auch in der Kunst und der Musik vorherrschenden Stile waren die des Barock und des Manierismus, und als solche von überschwenglich-elegischen, zugleich aber oft auch düster-melancholischen Bildwelten bestimmt. Dichtung und Schauspiel wurden im imaginativen Bereich ausschweifend, im Ausdruck rhetorisch und stützten sich auf eine reiche Metaphorik. In dieser Hinsicht ist die manieristische Dichtung Giambattista Marinos, der mit seinem phantastischen, über 40 000 Zeilen umfassenden Versepos Adone (1623, Adonis) über die Allgegenwart der Liebe ein virtuoses Meisterwerk vorlegte, für die Literatur des Seicento beispielhaft. Adone, das die Geschichte von Venus und Adonis erzählt, zog eine ganze Reihe erfolgreicher, gleichwohl unbedeutender Marino-Epigonen nach sich, von denen G. Chiabrera mit seiner wahnwitzigen Übersteigerung des Sensationellen herausragt. Marinos metaphernreicher, überladener Stil initiierte die literarische Bewegung des Marinismus. Überhaupt beruht ein Großteil der Werke des Seicento auf einer morbiden und düstren Geisteshaltung. Paradigmatisch kommt dies in den Tragödien des Federigo della Valle zum Ausdruck, dessen La reina di Scotia (1628) von den Prozessen gegen Maria Stuart handelt. Die Unzufriedenheit mit den Gesellschaftsstrukturen und sozialen Verhältnissen seiner Zeit tritt im Werk des Dichters, Wissenschaftlers und Philosophen Tommaso Campanella hervor, dessen provokanten Theorien ihm Haft und schließlich Exilierung brachten. Campanellas bedeutendstes Werk ist die im Gefängnis geschriebene Utopie La città del sole (1602, Der Sonnenstaat), die 1612 unter dem lateinischen Titel Civitas solis zweitpubliziert wurde. Darin beschreibt der Philosoph einen idealen Staat mit gemäßigter Führung. Der Dialektdichtung folgender Jahrhunderte bahnte Giambattista Basile mit seiner zwischen 1634 und 1636 herausgegebenen Märchensammlung Lo cunto de li cunti (ab 1674 unter dem Titel Pentamerone) den Weg. Hier finden sich Fassungen der bekannten Märchen Aschenbrödel, Der gestiefelte Kater, Schneewittchen oder Die Schöne und das Biest. (Lo cunto de li cunti diente als wichtige Quelle für spätere Sammler und Verfasser von Kindermärchen, wie Charles Perrault, Clemens Brentano, Ludwig Tieck und den Gebrüdern Grimm.) Darüber hinaus fand die komisch-heroische Epik mit La secchia rapita (1622) von Alessandro Tassoni ihren Höhepunkt. Durch seine Weigerung, seine Studien wie üblich in Latein zu verfassen, demonstrierte Galileo Galilei Volksnähe; Giordano Bruno tat es ihm gleich. Als neue, für die Kultur Gesamteuropas extrem folgenreiche Gattung etablierte sich die italienische Oper. 6.2 Settecento (18. Jahrhundert) Gegen Ende des 17. Jahrhunderts bildete sich im Zuge des Rokoko innerhalb der italienischen Literatur eine Bewegung aus, die den manieristisch überladenen Stil des Barock zu überwinden suchte. Die bedeutendsten Vertreter dieser gegen die sprachliche,,Barbarei" des Seicento rebellierenden Strömung gehörten der Accademia dell'Arcadia an, einer 1690 in Rom gegründeten Gesellschaft, die sich für stilistische Schlichtheit aussprach. Die so genannten Arkadier nahmen Anleihen bei Autoren der Antike, vor allem den griechischen Pastoraldichtern. Der bedeutendste der arkadischen Rokokodichter war Pietro Metastasio. Als Hofdichter in Wien trat er die Nachfolge des Literaturkritikers und Librettisten Apostolo Zeno an, dem Mitbegründer des ersten kritischen Journals Italiens, des Giornale de' letterati d'Italia (1710). Neben Kanzonetten und Liebeslyrik verfasste Metastasio vorwiegend lyrisch-sentimentale Melodramen, Singspiele und Opernlibretti nach klassischen Stoffen. Die grundlegende poetologische Schrift der Arkadier lieferte G. V. Gravina 1708 mit Della ragion poetica. Des Weiteren trat er als Förderer der ersten italienischen Literaturgeschichte von G. M. Crescimbeni (1698) hervor. Die Dichtungstheorie der Accademia dell'Arcadia wirkte u. a. in der Anakreontik von C. I. Frugoni weiter. Der Einfluss der Arkadier ist auch in den Komödien Carlo Goldonis spürbar, der mit La locandiera (1753, Die Gastwirtin), Il ventaglio (1765, Der Fächer) und Le baruffe chiozzotte (gedruckt zwischen 1761 und 1764, Skandal in Chioggia) das italienische Lustspiel erneuerte. Goldonis Dramen, von ihm selbst als Commedia del carattere bezeichnet, sind vor allem wegen der psychologischen Durchdringung ihrer Figuren und wegen der am Alltagsleben orientierten Darstellung allgemein-menschlicher Verhaltensweisen bemerkenswert. Goldoni bildete seinen Stil in Abgrenzung zur Commedia dell'arte aus, die vom 16. bis ins 18. Jahrhundert ihre Blütezeit erlebte und die als Stegreifkomödie auf standardisierten Situationen und Figuren, den maschere (Masken), basierte. (Den Grundstock hierzu hatten im Cinquecento die Dialektstücke Andrea Calmos und Angelo Beolcos gelegt, der unter seinem Pseudonym Ruzzante bekannt wurde.) Bei festgelegtem Handlungsverlauf und vorgegebener Szenenfolge konnten die Schauspieler in den Dialogen improvisieren, benutzten jedoch häufig ein von ihnen selbst entwickeltes Repertoire an rhetorischen Figuren und Späßen, den so genannten lazzi. Ihre gelungenste Ausprägung fand diese Art der Komödie in den Werken des Dramatikers Carlo Gozzi, der mit seinem Stil der Commedia del carattere Goldonis diametral gegenüberstand. Gozzi bearbeitete einige beliebte Märchen für das Theater und begründete so die neue Form des Märchenspiels; zwei seiner Dramen dienten Sergej Prokofjew bzw. Giacomo Puccini als Vorlage für ihre Opern Die Liebe zu den drei Orangen bzw. Turandot. In philosophischer und ethisch-didaktischer Hinsicht wurde die italienische Literatur des Settecento von den Ideen René Descartes' sowie den Vertretern der französischen Aufklärung bestimmt. Das Hauptorgan des geistigen Lebens, dessen Zentrum Mailand bildete, stellte die Zeitschrift Il Caffè (1764-1766) dar. Einer der einflussreichsten Denker der italienischen Aufklärung war der Rechtsreformer Cesare Bonesana Beccaria, der sich in seinem Werk Dei delitti e delle penne (1764, Von den Verbrechen und Strafen) für eine humanere Behandlung von Strafgefangenen und die Abschaffung der Todesstrafe einsetzte. (Beccaria war einer der ersten, der Erziehung als Mittel zur Bekämpfung der Kriminalität propagierte. Seine Schriften hatten Einfluss auf Strafrechtsreformen in Europa und den USA.) Neben dem Juristen Beccaria fand die italienische Aufklärung in dem Ökonomen und Theologen Abbé Ferdinando Galiani und den Gebrüdern Verri ihre herausragenden Verfechter. Bedingt durch den Einfluss der französischen Kultur drang eine Vielzahl von französischen Lehnwörtern und Ausdrücken ins Italienische ein, das bereits durch die Arkadier mit Gräzismen und Latinismen angereichert worden war. Die Rezeption englischer Literatur bildete ebenso wie die Beschäftigung mit aus England stammenden Ideen eine wichtige Gegenströmung. In Form von Literaturübersetzungen und informativen Artikeln fand sie durch die von Giuseppe Baretti gegründete kritische Zeitschrift La frutta letteraria (1763-1765) im Land weite Verbreitung. Weitere Foren der Aufklärung waren die Gazzetta veneta (1760/61) und der Osservatore veneto (1761/62). Die Dichter Giuseppe Parini und Vittorio Alfieri wandten sich am stärksten und wirkungsvollsten gegen den Anstieg ausländischer Einflüsse und versuchten, dieser Entwicklung mit Gedanken zur nationalen Einheit zu begegnen. Parinis Ruhm basiert vor allem auf dem gesellschaftskritischen Satire-Epos Il giorno (Der Tag), das in mehreren Teilen zwischen 1763 und 1801 erschien, die Nutzlosigkeit und Amoralität des Adels verspottete und im Gegenzug die reine Askese des gemeinen Arbeiters verklärend pries. Alfieri war von der Idee der Freiheit fasziniert und wandte sich in Abhandlungen wie der 1777 geschriebenen Della tirannide (1789, Von der Tyrannei) sowie in kürzeren Gedichten und Tragödien mit Vorliebe gegen die Fesseln der Gewaltherrschaft. Mit wenigen Ausnahmen setzten seine Stücke einen stark politischen Akzent, der ihnen im Kampf um die Einigung des italienischen Staates im 19. Jahrhundert zu großer Beliebtheit verhalf. Zu Alfieris Tragödien gehören Agamemnon (1783), Filippo (1783, Philipp der Zweite), Antigone (1783), Bruto primo (1787-1789, Brutus, der Ältere) und Bruto secondo (1789, Brutus, der Jüngere). Seine Autobiographie Vita (1806) gehört zu den wichtigsten Selbstzeugnissen der italienischen Literatur. Weitere zentrale Schriftsteller des Settecento waren der Archäologe und Schriftsteller Lodovico Antonio Muratori und der Philosoph Giovanni Battista Vico, dessen Bedeutung mit dem Werk seines Schülers Benedetto Croce im 20. Jahrhundert wieder zunahm. In seinen Principi di una scienza nuova d'intorno alla comune natura delle nazioni (1725, Grundzüge einer neuen Wissenschaft über die gemeinschaftliche Natur der Völker) propagierte Vico eine zyklische Geschichtsauffassung, die das Interesse der Romantik an der Historie vorwegnahm. In der Moderne wirkte dieses historische Modell nicht zuletzt auf das universalsprachliche Epos Finnegans Wake des irischen Schriftstellers James Joyce. 7 OTTECENTO (19. JAHRHUNDERT) Die Hoffnung auf Befreiung und Vereinigung Italiens bildete seit dem 13. Jahrhundert ein wichtiges Thema der italienischen Literatur. Im Trecento manifestierte sich dieses erstarkende Nationalbewußtsein u. a. in der Herausbildung einer italienischen Literatursprache. Die Hoffnungen verstärkten sich durch die Französische Revolution, die in ganz Europa eine Welle nationaler Strömungen nach sich zog. Vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Jahr 1870, als mit dem Abzug der französischen Truppen aus Rom die Fremdherrschaft auf italienischem Boden beendet wurde, war der Nationalgedanke, in seiner spezifisch italienischen Ausprägung Risorgimento genannt, von prägendem Einfluss auf die Literatur des Landes. Eine weitere Eigenart der Literatur des Ottecento, die sich nicht aus der Staatsidee speiste, stellt der weithin ausgeprägte Regionalismus dar, der das Leben des betreffenden Gebiets realistisch zu erfassen suchte und sich zu diesem Zweck häufig der örtlichen Mundart bediente. 7.1 Risorgimento und Romantik Neben nationalen Bewegungen war die italienische Literatur des frühen 19. Jahrhunderts vom Geist des Klassizismus und der Romantik geprägt, die Fragen der Geschichte und der Überlieferung in den Mittelpunkt stellten. Die Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution und den Ereignissen um Napoleon wird u. a. in den Werken Vincenzo Montis, Ugo Foscolos und Carlo Portas deutlich. Monti, zunächst ein Gegner der revolutionären Umwälzungen, trat später für Frankreich ein und rühmte Napoleon in einer Reihe von Gedichten. (Bekannt wurde er jedoch durch seine Übersetzung von Homers Ilias.) Foscolo diente während der französischen Besatzung Italiens als Soldat und wanderte nach dem Einmarsch österreichischer Truppen nach England aus. Sein Ruhm gründet sich auf den Briefroman Ultime lettere di Jacopo Ortis (1802, Die letzten Briefe von Jacobo Ortis), der Goethes Die Leiden des jungen Werthers nachgebildet ist. Später wandelte sich sein enthusiastischer Patriotismus in ein resigniertes Grübeln über die vergangene Glanzzeit des geteilten Landes. Aus dieser Stimmung heraus schrieb er sein düster-melancholisches Meisterwerk I sepolcri (1807, Gedicht von den Gräbern), in dem er gegen einen der Erlasse Napoleons protestierte. Carlo Porta machte das Leiden des einfachen Volkes unter der napoleonischen Herrschaft zum Thema. Mit seinen Gedichten (Poesie in dialetto milanese, posthum 1821) verhalf er dem Mailänder Dialekt in den Rang der Literatursprache. Einer der größten Lyriker des Ottecento war Giacomo Leopardi. Als Autodidakt bildete er sich selbst zum Universalgelehrten und trat dann, geschult durch seine Übersetzungen griechischer und römischer Gedichte, als Autor an die Öffentlichkeit. Leopardis frühe Gedichte waren patriotischen Inhalts; später prägte jedoch ein pessimistischer Zug sein von Weltschmerz und Nihilismus bestimmtes Werk. Die erste vollständige Ausgabe von Leopardis Gedichten erschien 1831 in der Sammlung Canti (Gesänge). Seine Schwermut fand auch in Prosaschriften Ausdruck, vor allem in Operette morali (1827, Gespräche), Zibaldone di pensieri (7 Bde., 1898-1907, Das Gedankenbuch), sowie in seinen meisterhaften Briefen. Leopardis Dichtung zeichnet sich durch die Verwendung klassischer Formen, stilistische Klarheit sowie einen an der Klassik geschulten Rationalismus aus. Der bedeutendste unter den politischen Autoren des Risorgimento war zweifellos Giuseppe Mazzini, dessen politische Aktivitäten ihm Gefängnis und Exilierung einbrachten. Wie der Politiker Camillo Benso di Cavour und der Soldat Giuseppe Garibaldi zählt Mazzini zu den Vätern der italienischen Unabhängigkeit. Seine leidenschaftlichen und formvollendeten politischen Schriften sind immer noch von literaturgeschichtlichem und historischem Interesse. Der Streit um die weltliche Macht des Papstes führte zu einem Konflikt zwischen den Literaten des Risorgimento und der Kirche, der in der Literatur unterschiedliche Ausformungen fand. Der bedeutendste christlich geprägte Schriftsteller dieser Zeit war Alessandro Manzoni, der mit dem zwischen 1821 und 1823 entstandenen und 1825 überarbeiteten Roman I promessi sposi (1827, Die Verlobten) ein nicht nur von Goethe gelobtes Meisterwerk romantischer Prosa schuf. I promessi sposi erzählt die Geschichte zweier Liebender, die im spanisch beherrschten Italien des 17. Jahrhunderts gegen Unterdrückung und ein ihnen feindlich gesonnenes Schicksal aufbegehren. In historische Ferne entrückt, konnte Manzoni gegen Fremdherrschaft allgemein angehen und diese der Unmenschlichkeit anklagen, ohne dabei der Zensur anheimzufallen. Die universelle Botschaft des Buches jedoch, die zusammen mit dem meisterhaften Stil zu seinem Weltruhm beitrug, besteht im Vertrauen auf die göttliche Fügung und im Glauben an den Sieg des Guten. Mit seiner Literatur wollte Manzoni die (christliche) Wahrheit der Allgemeinheit nutzbar machen. Seine Bindung an christliche Wertvorstellungen spricht vor allem aus den Inni sacri (1815-1822, Heilige Hymnen). Manzonis Spätwerk dann wird verstärkt vom Gedankengut des Pietismus durchzogen. Mit einer auf den Tod Napoleons gedichteten Ode, die von Goethe ins Deutsche übersetzt wurde, kam der Autor zu europaweiter Anerkennung. Als Dramatiker verfasste Manzoni die historischen Trauerspiele Il conte di Carmagnola (1820, Der Graf von Carmagnola) und Adelchi (1822, Adelgis). Im Verlauf der Jahrhunderte hatte sich das ursprünglich toskanische Vokabular des Italienischen mit Entlehnungen aus anderen Mundarten angereichert: Um diese Entwicklung aufzuhalten, setzte sich Manzoni für die Rückkehr zum Florentinischen der gebildeten Stände als gemeinitalienischer Schriftsprache ein. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstand in Abkehr von Manzoni und den Romantikern ein neuer Klassizismus, der sich mehr an rationalen Modellen denn am Mystizismus oder an katholischer Frömmigkeit orientierte. Hauptvertreter dieser Richtung war der Dichter Giosuè Carducci, der die ruhmhafte Vergangenheit Roms sowie die Hoffnung Italiens auf ein neues Goldenes Zeitalter besang. Er befürwortete das Wiederaufleben heidnischer Traditionen in der Religion und setzte sich für klassische Inhalte und Formen in der Literatur ein. Auch gelang ihm als einem der ersten Dichter die Nachgestaltung antiker Versformen in neuzeitlichen Gedichten. Zu den wichtigsten Lyriksammlungen Carduccis gehören Levia gravia (1868), Rime nuove (1887), Odi barbare (3 Teile, 1877-1889) und Rime e ritmi (1899). 1906 erhielt er als erster Italiener den Nobelpreis für Literatur. 7.2 Verismus und Symbolismus Angeregt vom französischen Naturalismus in der Nachfolge Émile Zolas- und in Reaktion auf Klassizismus und Romantik- bildete sich in der zweiten Hälfte des Ottecento eine Literatur heraus, die sich verstärkt den sozialen Problemen der Gegenwart zuzuwenden suchte. Die Anhänger des so genannten Verismo (von italienisch vero: wahr) plädierten für die Verwendung der Alltagssprache, einen einfachen Stil und eine Thematik, die sich den sichtbaren Gegebenheiten verschreiben sollte. Somit gab der Verismus der mundartlichen Dichtung einen neuen Impuls. Zu den bedeutendsten italienischen Dialektdichtern dieser Jahre avancierte Giuseppe Gioacchino Belli: In über 2000 meist satirischen Sonetten in römischer Mundart beschrieb er das Leben in Rom unter päpstlicher Verwaltung - und blieb dabei, im Gegensatz zu Porta, gänzlich unpolitisch. Ein weiterer Mundartdichter des Verismus war S. Di Giacomo. Der bedeutendste veristische Romancier war zweifellos Giovanni Verga, der sich in einer von Honoré de Balzac inspirierten realistischen Bildsprache der Armut sizilianischer Bauern zuwandte. Zu Vergas Hauptwerken gehören die Romane I malavoglia (1881, Sizilianische Fischer) und Mastro-don Gesualdo (1889, Meister Motta). Hier wie andernorts beschrieb der Autor in ausführlicher, dramatischer und realistischer Weise das Leben und die Bräuche der einfachen Leute auf Sizilien. Seine Novellen erschienen u. a. in den Bänden Vita dei campi (1880, Sizilianische Bauernehre) und Novelle rusticane (1833, Sizilianische Novellen). Darüber hinaus bearbeitete Verga einige seiner Novellen für die Bühne: Cavalleria rusticana z. B. diente Pietro Mascagni als Vorlage für seine gleichnamige Oper. Vergas Werk hatte großen Einfluss auf den Neorealismus nach dem 2. Weltkrieg, etwa auf Luchino Visconti. Die veristischen Romane Luigi Capuanas nahmen sich dezidiert das naturalistische Erzählen Zolas zum Vorbild. Des Weiteren sind Grazia Deledda und, im Bereich der Lyrik mit ihrer Abwendung vom gehobenen Stil hin zur Alltagssprache, Olindo Guerrini und Cesare Pascarella dem Verismus zuzurechnen. In ihren zahlreichen Romanen und Erzählungen schilderte Deledda das harte Leben der Menschen Sardiniens. Schauplatz ihrer späteren Werke ist Italien, dennoch bleibt die Bindung an ihre Heimat spürbar. Elias Portolú (1903) erzählt die Geschichte eines ehemaligen Sträflings, der in seine Schwägerin verliebt ist. Ihr berühmtester Roman, La Madre (1920, Die Mutter), schildert eindringlich das Verhältnis zwischen einem Priester und seiner hingebungsvollen Mutter. Einer jener Schriftsteller, die der Theorie der veristischen Richtung skeptisch gegenüberstanden, gleichwohl jedoch unter ihrem Einfluss standen, war Giovanni Pascoli ( Canti di Castello vecchio, 1903). Seine Gedichte sind von einem idyllischen Grundton geprägt; die Art, wie sie das Bauernleben evozieren, erinnert an die Georgica Vergils. Stilistisch zeichnet sich Pascolis Werk durch die Verwendung freier Verse und die Vermeidung rhetorischer Figuren aus. Damit trug er maßgeblich zur Etablierung des freien Versmaßes in Italien bei. Am Übergang vom Realismus zum Symbolismus steht das psychologische Erzählwerk Antonio Fogazzaros. Seine Romane begreifen Literatur nicht zuletzt als ästhetischen Weg aus der moralischen Krise, die durch die sozialen Umwälzungen und den wissenschaftlichen Fortschritt entstanden sei. Fogazzaro schrieb u. a. die Romane Malombra (1881), Il mistero del poeta (1888, Das Geheimnis des Dichters) und Piccolo mondo antico (1895, Die Kleinwelt unserer Väter). Vom französischen Symbolismus in der Tradition Charles Baudelaires ließ sich die Autoren- und Malergruppe Scapigliatura inspirieren, die sich zwischen 1860 und 1880 in Mailand und Piemont konstituierte und ihren antibürgerlich-exzentrischen und ausschweifenden Lebens- und Darstellungsstil in der Art der Boheme bereits im Namen (von italienisch scapigliare: die Haare zerzausen) anklingen ließ. Deutlich floss dabei in die Poetologie des Kreises um E. Praga, Arrigo Boito, Igino Ugo Tarchetti, C. Dossi, Tranquillo Cremona und Giovanni Camerana auch der Synästhesie-Gedanke der deutschen Romantik ein. Weitere Vorbilder der Scapigliatura waren die deutschen Dichter Novalis, Friedrich Hölderlin, E. T. A. Hoffmann und Heinrich Heine. Außerhalb der literarischen Moden jener Zeit stehen Schriftsteller wie Edmondo De Amicis mit Journalistenromanen, Reiseberichten und der sentimentalen Schulerzählung Cuore (1886, Herz, ein Buch für die Jugend), des Weiteren der dem Risorgimento nahe stehende Neoklassizist Giosuè Carducci ( Odi barbare, 1877-1889, Barbarische Oden) und Carlo Collodi mit dem berühmten Kinderbuch Le avventure di Pinocchio (1883, Die Abenteuer des Pinocchio), einem Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur. Als wichtigster Literaturkritiker des Ottecento und Begründer der modernen italienischen Literaturwissenschaft gilt Francesco de Sanctis. Seine vom Geist des Risorgimento geprägten Werke wie Saggi critici (1866), La letteratura italiana nel secolo XIX (1897) und besonders Storia della letteratura italiana (1870/71, Geschichte der italienischen Literatur) übertragen soziologische und psychologische Betrachtungsweisen auf die Praxis literarischer Bewertung. 8 NOVECENTO (20. JAHRHUNDERT) Die italienische Literatur des 20. Jahrhunderts weist einen großen Formen- und Themenkanon auf. Ein Großteil der Veröffentlichungen der dreißiger und vierziger Jahre steht in Zusammenhang mit den Erfahrungen zur Zeit des Faschismus. Nach dem 2. Weltkrieg dominierte der sozial ausgerichtete Realismus, der dann introspektiver Dichtung und Prosa Raum gab. 8.1 Autoren des Übergangs Mit Gabriele D'Annunzio brachte die italienische Literatur jenen Dichter des 19. Jahrhunderts hervor, dessen Schriften am deutlichsten in das 20. Jahrhundert hineinwirkten. Er durchbrach die von Romantik, Realismus und Klassizismus errichteten Beschränkungen und richtete sein Bestreben darauf, eine von Friedrich Nietzsche geprägte moderne Version des Universalmenschen der Renaissance darzustellen. In diesem Sinn propagieren seine Gedichte, Romane, Theaterstücke und Opernlibretti einen heidnischen Sinnen- und Schönheitskult. Einige seiner wichtigsten Schriften sind die Gedichtsammlung Laudi del cielo, del mare, della terra e degli eroi (5 Bde., 19031933), der Roman Trionfo della morte (1894, Der Triumph des Todes) und das Drama La figlia di lorio (1904). Zudem schrieb er politische Abhandlungen und patriotische Reden. Eine weitere bedeutende Gestalt der Übergangszeit stellt Italo Svevo dar. Sein Werk war vollkommen dem Vergessen anheimgefallen, bis es von dem französischen Schriftsteller und Literaturkritiker Valéry Larbaud und dem Iren James Joyce wieder entdeckt und ins Bewusstsein der italienischen Literaturwissenschaft zurückgebracht wurde. Svevos Stärke liegt in der realistischen- und an der Psychoanalyse Sigmund Freuds geschulten - Schilderung psychologischer Beweggründe, die er in Romanen wie Una vita (1893, Ein Leben), Senilità (1898, Ein Mann wird älter) und La coscienza di Zeno (1927, Zeno Cosini) darzustellen verstand. Deutlich wird hier eine Skepsis gegenüber der sprachlichen Durchdringung von Realität zum Ausdruck gebracht. Der Philosoph Giovanni Gentile, ein Vertreter der vom deutschen Idealismus beeinflussten neuidealistischen Strömung in Italien, schuf dem italienischen Faschismus mit Schriften wie Origini e dotrina del fascismo (1929) und La filosofia dell'arte (1931) ein theoretisches Fundament. Dem psychologischen Roman verlieh Matilde Serao mit Il paese di cuccagna (1891, Das Schlaraffenland) und La ballerina (2 Bde., 1899) neue Impulse. Der Dramatiker Sem Benelli gelangte als Verfasser von La cena delle beffe (1909, Das Mahl der Spötter) und L'amorosa tragedia (1925) zu Ansehen. Grazia Deledda wurde mit naturalistischen Romanen über die Bauern Sardiniens bekannt, darunter Elias Portolú (1903) und La madre (1920, Die Mutter). Mit seiner zwischen 1938 und 1940 publizierten Trilogie Il mulino del Po entwarf R. Bacchelli ein imposantes Panorama der italienischen Gesellschaft im 19. Jahrhundert und belebte damit die Gattung des historischen Romans, eine Tradition, die von den Literaten nach 1945 (so von Ferruccio Ulivi, C. Cassola und Elio Bartolini) wieder aufgegriffen wurde. 8.2 Literatur vor dem 2. Weltkrieg Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildete die italienische Literatur verschiedene Strömungen aus, die die Poesie von jeglicher Rhetorik und Lyrizismen zu befreien suchten. Die wirkungsvollste und radikalste dieser Bewegungen, die für eine Zertrümmerung von Syntax und Metrik eintrat und z. B. den deutschen Expressionismus beeinflusste, war der Futurismus, dessen Begründer und führender Vertreter Filippo Tommaso Marinetti eine der Dynamik der Großstadtwelt adäquate ,,elektrifizierte" Sprache einklagte und eine Zerstörung individuell-psychologischer Erzählführung propagierte (Poupées Electriques, 1909, Elektrische Sinnlichkeit). In seinem afrikanischen Roman Mafarka le futuriste (1910) löste er diese Forderung in explodierenden Bildfolgen ein. Demgegenüber produzierten die so genannten Crepuscolari oder Poeti crepuscolari um S. Corazzini, G. Gozzano, M. Moretti, A. Pallazzeschi und G. Govini eine eher beschauliche Lyrik, die sich vom dekadent-urbanen Ästhetizismus D'Annunzios und seiner Anhänger ab- und einer provinziellen Thematik zuwandten. Eine Sonderstellung innerhalb der italienischen Lyrik nimmt U. Saba ein, den mit den Crespuscolari allerdings der Hang zu sprachlicher Schlichtheit verbindet. Giuseppe Ungaretti, neben Eugenio Montale und Salvatore Quasimodo einer der bedeutendsten italienischen Lyriker des 20. Jahrhunderts, markierte mit seiner ersten Gedichtsammlung Il porto sepolto 1916 den Beginn einer Wiederbelebung der italienischen Lyrik. Seine Werke, unter denen besonders Allegria di naufragi (1919, Die Heiterkeit), Sentimento del tempo (1933, Zeitgefühl), Il dolore (1947, Der Schmerz) und La terra promessa (1950, Das verheißene Land) herausstechen, wurden 1982 als Werkausgabe unter dem Titel Vita d'un uomo. Tutte le poesie (Ein Menschenleben) veröffentlicht. Sie sind durch eine extreme Sparsamkeit des Wortmaterials und durch vom Symbolismus angeregte Ausdrucksformen geprägt. Betont wird hier die Reinheit des lyrischen Ausdrucks (poesia pura). Montale, mit Ungaretti der Begründer des Hermetismus (poesia ermetica), ist ein weiterer wichtiger Wegbereiter der modernen italienischen Literatur. Sein poetisches Hauptwerk besteht aus den drei Sammlungen Ossi di seppia (1925, Die Knochen des Tintenfischs), Le occasioni (1939, Anlässe) und La bufera e altro (1956, Stürme). Darin versammelte Montale Gedichte, die oft stark komprimiert, intellektuell und schwer zugänglich erscheinen. Die Dichtung von Salvatore Quasimodo, darunter Ed è subito sera (1942, Und gleich ist es Abend), Giorno dopo giorno (1947, Tag um Tag), La vita non è sogno (1949, Das Leben ist kein Traum) und Il falso e vero verde (1953, Das falsche und das wahre Grün), demonstrieren eine leidenschaftlich-poetische Sensibilität für die tragischen Momente des modernen Daseins. Als weiterer Vertreter der poesia pura etablierte sich A. Onofris. Der wichtigste Denker im Italien des frühen 20. Jahrhunderts war der Philosoph, Literaturwissenschaftler und Historiker Benedetto Croce, der Gedanken von Francesco De Sanctis aus dem 19. Jahrhundert wieder aufgriff. Seine im zweimonatlichen Rhythmus erscheinende Zeitschrift La Critica (1903-1944) und seine literarischen und philosophischen Werke entwickelten die Vorstellungen von Giambattista Vico aus dem Settecento weiter und betonten die Bedeutung künstlerischer Intuition und Freiheit für die Entwicklung der Zivilisation. Croces dem deutschen Idealismus nahe stehende Haltung stand in krassem Gegensatz zum damals populären Positivismus. Seine Forderung nach politischem Engagement des Intellektuellen im öffentlichen Leben setzte er mit einem Aufsehen erregenden antifaschistischen Manifest in die Praxis um. In Croces vierbändigem philosophischem Hauptwerk, Filosofia come scienza dello spirito (1902-1917), befasste sich der Philosoph mit Ästhetik, Logik und Geschichte. Seine 1918 erschienene Autobiographie gibt Aufschluss über ein bewegtes Leben. Im Anschluss an Croce, dessen Gedanken er studiert und entworfen hatte, schuf der in den vierziger Jahren einflussreiche Antonio Gramsci sein Konzept einer marxistisch ausgerichteten Kulturtheorie ( Il materialismo storico e la filosofia di Benedetto Croce, 1948, Der historische Materialismus und die Philosophie Benedetto Croces) Neben La Critica gab es Anfang des Novecento vier weitere Zeitschriften, die verschiedenen italienischen Autorengruppen als Forum dienten. Die von Giuseppe Prezollini herausgegebene La Voce (1908-1914), die seine Publikation Leonardo (1903-1907) ablöste, trug wesentlich zur Erneuerung des kulturellen Lebens in Italien bei und verbreitete wichtiges Gedankengut aus Frankreich, England und Amerika. Zentrale Mitarbeiter Prezollinis waren der Maler und Schriftsteller Ardegno Soffici und der Philosoph und Schriftsteller Giovanni Papini, der La Voce mitgegründet und mit dem Roman Un uomo finito (1912) ein herausragendes Beispiel autobiographischen Erzählens vorgelegt hatte. Tatsächlich bevorzugte der Kreis um La Voce die Romangattung als zentrales Medium zur Wirklichkeitsgestaltung, was sich etwa in den Kriegsbüchern P. Jahiers und A. Panzinis niederschlug. Die Autoren der Zeitschrift La Ronda (1919-1923) riefen zur Abkehr vom Stil D'Annunzios und zur Rückbesinnung auf traditionelles Dichten auf. Dieser Zeitschrift standen u. a. Antonio Baldini und Riccardo Bacchelli nahe. Darüber hinaus wirkte die Zeitschrift Lacerba (1913-1915) stark auf den literarischen Diskurs vor dem 1. Weltkrieg. Die herausragende Dichterpersönlichkeit der ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts war zweifellos Luigi Pirandello. In seinen Stücken verwendete er dramatische Verfahren, die einen engeren Kontakt zwischen Schauspielern und Publikum herstellen sollten. Viele der Dramen Pirandellos sind für die Bühne bearbeitete Versionen früherer Prosatexte. Sie zeigen zumeist Figuren im Spannungsfeld psychischer Extremzustände und zeichnen sich durch subtile psychologische Durchdringung der Charaktere und einen feinsinnigen Humor der Darstellung aus. Zu seinen bekanntesten Bühnenwerken gehören Sei personaggi in cerca d'autore (1921, Sechs Personen suchen einen Autor), Enrico IV. (1922, Heinrich IV.) und Come tu mi vuoi (1930, Wie du mich willst). Sein Prosawerk umfasst u. a. Il fu Mattia Pascal (1904, Mattia Pascal) und I vecchi e i giovani (1913). Neben Pirandello zählt Ugo Betti mit seinen der Existenzphilosophie nahe stehenden ,,rechtsmetaphysischen" Stücken zu den bedeutendsten Dramatikern einer italienischen Moderne (Corruzione al Palazzo di Giustizia, 1944, Korruption im Justizpalast). Eine Ausnahmeerscheinung innerhalb der italienischen Literatur des 20. Jahrhunderts stellt zweifellos Aldo Palazzeschi dar, der mit Il Codice di Perelà (1911, Das Gesetzbuch des Perelà) über einen ,,Mann aus Rauch" als Futurist begann, sich mit Stampe dell'Ottocento (1932, Am Fenster. Florentiner Veduten) dann zum burlesken Ironiker entwickelte, um sich dann über realistische Meisterwerke wie Le Sorelle Materassi (1934, Die Schwestern Materassi) und I fratelli Cuccoli (1948, Die Brüder Cuccoli) zum großen Phantasten wandelte (Il doge, 1967, Der Doge). Der Aufstieg des italienischen Faschismus unter Benito Mussolini zog starke Repressionen auch für die italienischen Literatur nach sich. Die Schriftsteller jener Zeit reagierten unterschiedlich auf die eingeschränkte Produktionsfreiheit und die menschenverachtende Politik des Regimes. Viele traten offen in den Widerstand, so auch der Autor und Gelehrte Giuseppe Antonio Borghese mit seinem zunächst in englischer Sprache verfassten Essay Goliath, The March of Fascism (1937, Der Marsch des Faschismus). Internationalen Ruhm erlangte der Romancier Ignazio Silone, der 1930 ins Schweizer Exil ging, mit politisch akzentuierten Romanen wie Fontamara (1933) und Pane e vino (1937, Brot und Wein). Der Journalist und Diplomat Kurt Erich Suckert, der unter dem Pseudonym Curzio Malaparte bekannt wurde, befürwortete anfänglich die faschistische Ideologie, wandte sich später jedoch strikt von ihr ab. Sein sprachlich kraftvollstes Werk, der Antikriegsroman Kaputt (1944), zeigt die moralische und kulturelle Rückentwicklung Europas im Faschismus auf und ist Beleg für den Wandel seines Verfassers zum Pazifisten. Ansonsten verfiel die italienische Literatur unter Mussolinis Herrschaft in einen regionalistisch-affirmativen Provinzialismus. 8.3 Literatur nach dem 2. Weltkrieg Wenige Jahre nach dem Krieg erlebte der italienische Film mit dem so genannten Neorealismo bzw. Neoverismo einen ungeheueren Neuanfang. Zeitgleich entwickelte sich der italienischen Neorealismus auch in der Literatur. Unter den führenden Vertretern befand sich Carlo Levi, der die Nöte der süditalienischen Bauern in seinem Bestseller Cristo si è fermato a Eboli (1946, Christus kam nur bis Eboli) festhielt, sowie Elio Vittorini mit Conversazione in Sicilia (1941, Tränen im Wein) und Vasco Pratolini mit Cronache di poveri amanti (1947, Chronik armer Liebesleute). Weitere bedeutende Schriftsteller dieser Richtung, die die Atmosphäre des Umbruchs und der damit verbundenen Nöte darzustellen suchten, waren Mario Soldati (Lettere da Capri, 1954, Briefe aus Capri) und Cesare Pavese mit Werken wie Tra donne sole (1949, Die einsamen Frauen), Il diavolo sulle colline (1949, Der Teufel auf den Hügeln) und La luna ei falò (1950, Junger Mond). In Vitaliano Brancati fand die italienische Literatur einen scharfen und zugleich sensiblen Kritiker der sizilianischen Gesellschaft und ihrer Normen ( Il bell' Antonio, 1949, Schöner Antonio). Ein Werk von Weltrang, das auch durch seine erfolgreiche Verfilmung internationale Resonanz erfuhr, war der vor sizilianischem Hintergrund spielende Roman Il gattopardo (1958, Der Leopard) von Giuseppe Tomasi di Lampedusa. Der neben Pirandello bekannteste italienische Schriftsteller der Moderne ist Alberto Moravia. Als bedeutendster Vertreter des psychologischen Realismus in der italienischen Literatur war er mit dem Roman Gli indifferenti (1929, Die Gleichgültigen) bereits vor dem Krieg der eigentliche Begründer des Neorealismus. Moravia schrieb in asketischpräziser Prosa über Menschen, die in gesellschaftliche und emotionale Konfliktsituationen geraten. Sein bekanntestes Werk ist La ciociara (1957, Cesira), ein Roman über eine Mutter und ihre Tochter in den italienischen Kriegswirren, der ebenfalls erfolgreich verfilmt wurde. Ein anderer bekannter Film basiert auf dem beklemmenden Roman Il giardino dei Finzi-Contini (1962, Die Gärten der Finzi-Contini) von Giorgio Bassani über die Leiden einer während des Faschismus in Ferrara lebenden jüdischen Familie. Einen psychologisch verfeinerten Realismus pflegte auch Carlo Emilio Gadda. Zu jenen Autoren Italiens, die sich, zumeist unter sozialistischer bzw. marxistischer Perspektive, nach 1945 dezidiert der sozialen Problematik im Land zuwandten, gehörten Pier Paolo Pasolini, Ignazio Silone und V. Pratolini. Überhaupt war die italienische Literatur nach dem 2. Weltkrieg zunächst stark linksliberal geprägt. Die in den fünfziger Jahren ausgestrahlten populären Fernsehserien nach dem bereits 1948 erschienenen Roman Mondo piccolo: Don Camillo (Don Camillo und Peppone), der die Entwicklung des Landes zwischen Katholizismus und Marxismus beleuchtet, machten dessen Autor Giovanni Guareschi auch einem internationalen Publikum bekannt. Weitere bedeutende Romanciers der Nachkriegszeit sind Dino Buzzati, zu dessen an Franz Kafka gemahnenden allegorisch-parabolischen Werken der Roman Il deserto dei Tartari (1940, Die Tatarenwüste) und das Drama Un caso clinico (1953, Das Haus mit den sieben Stockwerken) zählen, und Elsa Morante mit ihren episch-mythischen Büchern wie Menzogna e sortilegio (1948, Lüge und Zauberei) und La storia (1974). La storia erzählt von einem während der Kriegsjahre in Rom lebenden halbjüdischen Lehrer und wurde zu einem der größten Publikums- und Kritikererfolge der siebziger Jahre. Natalia Ginzburg erlangte Ruhm mit ihrer gefühlvollen Schilderung italienischer Kinder und Frauen, die in der Familie isoliert sind (Le voci della sera, 1961, Die Stimmen des Abends), und der Autobiographie Lessico famigliare (1963, Mein Familienlexikon) mit Essays über die eigene Jugend in Turin. Primo Levi verarbeitete in seinen autobiographischen Texten die traumatischen Erfahrungen, die er während seiner Internierung im Konzentrationslager Auschwitz machen musste (Se questo è un uomo, 1947, Ist das ein Mensch? Erinnerungen an Auschwitz und La tregua, 1963, Atempause. Eine Nachkriegsodyssee). Demgegenüber verband Umberto Eco in seinem postmodernen Kriminalroman Il nome della rosa (1980, Der Name der Rose) zeichenhafte Symbolik mit historischer Detailtreue und legte damit eine Umsetzung seiner Semiotik vor. Das vielschichtige, in einem mittelalterlichen Kloster spielende Buch wurde ein internationaler, später (1985) auch verfilmter Bestseller. Italo Calvino, der Romane wie Il barone rampante (1957, Der Baron auf den Bäumen) und Il cavaliere inesistente (1959, Der Ritter, den es nicht gab) schrieb, wurde erst mit seinem Spätwerk international bekannt, das die Romane Se una notte d'inverno un viaggiatore (1979, Wenn ein Reisender in einer Winternacht) und Palomar (1983, Herr Palomar) umfasst. Thema des letztgenannten Romans ist die Darstellung der Nutzlosigkeit des Versuchs, die Welt verstehen zu wollen. Sowohl Eco als auch Calvino begründeten die Tendenz vieler Autoren der italienischen Gegenwartsliteratur, sich in historische Bereiche zurückzuziehen: Dies gilt noch für Dacia Maraini (La lunga vita di Marianna Ucria, 1990, Das lange Leben der Marianna Ucria) und Raffaele Nigro (La Baronessa dell'Olivento, 1990, Die Baronin von Olivento). Eine moderne Fassung von Voltaires Candide schrieb Leonardo Sciascia mit Candido ovvero un sogno fatto in Sicilia (1977, Candido oder ein Traum von Sizilien), einem pessimistischen Roman, in dem sich die Probleme im heutigen Sizilien widerspiegeln. Neben historischen Romanen, Kriminalromanen, Lyrik und Theaterstücken veröffentlichte Sciascia auch literaturkritische Essays und war zudem als Herausgeber tätig. Ende der fünfziger Jahre wandte sich dezidiert Carlo Emilio Gadda gegen die Vorgaben des Neorealismus und propagierte ein auf literarische Imagination aufbauendes Schreiben ( La cognizione del dolore, 1938-1941, Die Erkenntnis des Schmerzes). Im Bereich der zeitgenössischen Avantgarde traten Autoren wie Edoardo Sanguineti und Elio Pagliarani hervor, führende Vertreter der so genannten Gruppo 63 , einer losen Vereinigung von Schriftstellern und Kritikern (Luciano Anceschi, Umberto Eco) nach dem Vorbild der französischen Tel Quel und der deutschen Gruppe 47. Dieser Kreis machte sich für eine experimentelle Dichtung stark und suchte die Sprachauffassung des Hermetismus zu überwinden. So propagierte die Gruppo 63, der u. a. Nanni Balestrini, Giuseppe Gugliemi, Alfredo Giuliani und Antonio Porta angehörten, ein avanciert innovatives, geläufige Vorstellungs- und Handlungsmuster zersplitterndes Erzählen in der Tradition des französischen Nouveau Roman; herausragendes Beispiel hierfür sind die Prosawerke Germano Lombardis und Luigi Malerbas ( Il serpente, 1966, Die Schlange). Alfredo Guiliani legte mit Povera Juliet (Arme Julie) 1965 eine an die klassische Avantgarde erinnerden Romancollage vor. Im Bereich der Lyrik versuchte Vittorio Sereni, ebenso wie Sanguineti und Pagliarani, die von Giuseppe Ungaretti bestimmte Linie einer stark individualisierten, um das lyrische Ich zentrierten Dichtkunst zugunsten einer am Strukturalismus orientierten Methode zu unterwandern. Werke der Arbeiter- bzw. Industrieliteratur (letteratura industriale) schufen in der Nachfolge Nanni Ballestrinis (Vogliamo tutto, 1971, Wir wollen alles; Prendiamo tutto, 1972, Wir nehmen alles) und Ottiero Ottieris auch Saverio Strati und P. Volponi, und hoben damit die strukturellen Bemühungen der Neoavanguardia der sechziger Jahre zugunsten eines engagierten Erzählens auf. Dezidiert zeitkritisch gaben sich Sebastiano Vasalli, Andrea de Carlo und Pier Vittorio Tondelli, der den Drogenroman Altri libertini (1980, Andere Freiheiten) verfasste. Andrea de Carlo beschäftigte sich vorwiegend mit Sein und Schein der Medienwelt. Einen modernen Briefroman in der Tradition des 18. Jahrhunderts schrieb Natalia Ginzburg mit Caro Michele (1973, Lieber Michele). Das zeitgenössische Theater blieb weitgehend dem Provinziellen verhaftet (Francesco Leonetti, Edoardo Sanguineti, Nanni Balestrini) und trotz ihrer Humoristik eher rührselig (Eduardo De Filippo). Eine Ausnahme bilden die dem Volksstück verpflichteten burlesken Satiren Dario Fos. In den achtziger Jahren wurden zudem die Schriftsteller Daniele del Giudice und Antonio Tabucchi (Notturno indiano, 1984, Indisches Nachtstück; Il filo dell' orizzonte, 1986, Der Rand des Horizonts) einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. In seinem von Italo Calvino hoch gelobten Buch Narratori delle pianure (1985, Erzähler der Ebenen) knüpfte Gianni Celati an die resignativ-absurde Komik Samuel Becketts an. Den Medienroman Andrea de Carlos radikalisierte Mario Fortunato in den virtuellen Wirklichkeiten einer Erzählsammlung mit dem ironischen Titel Luoghi naturali (1988, Natürlicher Ort). Mit einer Verwischung von fiktiven und realen Ebenen spielte zudem Paola Capriolo ( Il nocchiero, 1989, Der Steuermann). Zu den Lyrikern der Zeit, die sich zum Teil einem sprachspielerischen Eklektizismus hingaben, gehörten u. a. Gabrielle Sica und Roberto Mussapi sowie die Neoromantikerin Patrizia Valduga und der Neomanierist Roberto Pazzi. Eine herausragende Stellung innerhalb des zeitgenössischen Literaturbetriebs in Italien nimmt die literarische Kritik ein (neben Umbert Eco namentlich vor allem Cesare Segre, Maria Corti und Gianfranco Contini). Während der neunziger Jahre öffnete sich die italienische Literatur dann verstärkt auch einer spielerischen Poetologie im Sinn der Intertextualitätskonzeption Julia Kristevas. Zu den herausragenden Publikationen dieser Zeit gehört etwa Pier Vittorio Tondellis Jugendroman Camere separate (1990, Getrennte Zimmer), Luigi Malerbas Il fuoco greco (1990, Das griechische Feuer) und Sebastiano Vassallis La chimera (1990, Die Chimäre). Mit ihrem Bestseller Geh, wohin dein Herz dich trägt, avancierte Susanna Tamaro 1995 zur erfolgreichsten italienischen Schriftstellerin der Gegenwart (Anima mundi, 1997) Verfasst von: Thomas Köster Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.