Irak-Krieg - Geschichte. 1 EINLEITUNG Irak-Krieg, im März/April 2003 von einer Koalition unter Führung der USA unternommener Krieg gegen den Irak mit dem Ziel, den Irak zu entwaffnen und einen Regimewechsel herbeizuführen. Der Krieg endete mit einem Sieg der Koalition und dem Sturz des irakischen Regimes; die Besatzung des Irak durch die Koalitionstruppen ging formell mit der Rückübertragung der Souveränität an den Irak am 28. Juni 2004 zu Ende. Der Irak-Krieg markierte den Höhepunkt eines seit dem 2. Golfkrieg andauernden Konfliktes, in dessen Mittelpunkt die von den Vereinten Nationen (UN) mehrmals per Resolution geforderte Entwaffnung des Irak stand, d. h. die Beseitigung chemischer, biologischer und anderer Massenvernichtungswaffen. Seit dem Regierungsantritt von US-Präsident George W. Bush 2001, insbesondere seit den Terroranschlägen des 11. September 2001, spitzte sich der Konflikt mehr und mehr zu und konzentrierte sich seitens der USA zunehmend auf die Person des irakischen Machthabers Saddam Hussein, der in Bezug auf die UN-Resolutionen zwischen strikter Ablehnung und (widerstrebender) Kooperation lavierte. Verschärft worden war der Konflikt in erster Linie durch die USA, die zuletzt massiv von Großbritannien unter Premierminister Tony Blair unterstützt wurden, während die Vereinten Nationen als kontrollierendes, moderierendes und friedenserhaltendes Element zunehmend an Einfluss und Durchsetzungskraft verloren und am Ende keine Rolle mehr spielten. Im Folgenden eine Chronik des Konflikts: 2 VORGESCHICHTE DES KRIEGES September 1980: Der Irak unter seinem Machthaber Saddam Hussein greift den Iran an und löst damit den acht Jahre dauernden 1. Golfkrieg aus. Im Verlauf des Krieges wird der Irak von den USA finanziell und materiell unterstützt. 1988 setzt Hussein Giftgas gegen die vorrückenden iranischen Soldaten ein sowie gegen die rebellierenden Kurden im Nordirak (allein hier kommen etwa 5 000 Menschen um); Sanktionen bleiben jedoch aus, die Beziehungen zwischen dem Irak und den westlichen Industrienationen, vor allem den USA, bleiben weiterhin gut. August 1990: Die irakische Armee besetzt am 2. August Kuwait und bringt dessen Ölfelder unter ihre Kontrolle. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen fordert in der Resolution 660 (2. August) den Irak zum sofortigen Rückzug auf und verhängt, da der Irak der Forderung nicht Folge leistet, mit der Resolution 661 (6. August) ein umfassendes Embargo gegen den Irak. Die USA beginnen mit der Verlegung von Truppen in die Golfregion. 29. November 1990: In der Resolution 678 fordert der Sicherheitsrat den Irak ultimativ auf, bis zum 15. Januar 1991 der Resolution 660 Folge zu leisten, und ermächtigt gleichzeitig die Staatengemeinschaft, ,,alle erforderlichen Mittel einzusetzen", sofern der Irak der genannten Forderung nicht nachkommt. 17. Januar 1991: Nach Ablauf des Ultimatums aus der Resolution 678 und bevollmächtigt durch diese Resolution beginnt eine internationale Allianz unter Führung der USA mit Angriffen aus der Luft auf irakische Stellungen in Kuwait sowie auf den Irak selbst. 24. Februar 1991: Die alliierten Truppen beginnen ihre Bodenoffensive und stoßen bis vor Bagdad vor. Irak zieht sich aus Kuwait zurück, nicht ohne dort zahlreiche Ölquellen in Brand zu stecken und die Infrastruktur zu zerstören. 28. Februar 1991: Der Irak akzeptiert alle der seit dem 2. August 1990 verabschiedeten Resolutionen. US-Präsident George Bush erklärt den Krieg für beendet. 1. März 1991: Eine Waffenruhe tritt in Kraft. Am selben Tag beginnen die Schiiten im Süden des Irak einen von den USA angeregten Aufstand gegen Saddam Hussein; die erwartete Hilfe seitens der USA für die Schiiten bleibt jedoch aus, und der Aufstand wird von Regierungstruppen blutig niedergeschlagen. 3. März 1991: Der Irak akzeptiert die Waffenstillstandsbedingungen des UN-Sicherheitsrates, darunter die Vernichtung seiner Massenvernichtungswaffen. 3. April 1991: In der Resolution 687 beschließt der UN-Sicherheitsrat u. a., dass der Irak bedingungslos alle seine chemischen und biologischen Waffen und damit zusammenhängende Systeme sowie Forschungs- und Produktionseinrichtungen unter internationaler Aufsicht zu vernichten habe, ebenso alle ballistischen Waffen mit einer Reichweite von mehr als 150 Kilometern. Des Weiteren muss der Irak alle Standorte, Mengen und Arten der genannten Waffen etc. deklarieren und umgehende Inspektionen vor Ort akzeptieren. Zur Inspektion der Waffen und zur Überwachung ihrer Vernichtung wird eine Sonderkommission installiert, die UNSCOM (United Nations Special Commission). Außerdem darf der Irak Kernwaffen oder kernwaffenfähiges Material und zugehörige Systeme und Einrichtungen weder besitzen noch erwerben oder entwickeln; die entsprechende Kontrolle obliegt der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA). Und schließlich legt die Resolution 687 die Fortsetzung des Embargos gegen den Irak fest. 6. April 1991: Der Irak akzeptiert die Resolution 687. Daraufhin tritt am 11. April 1991 offiziell der Waffenstillstand in Kraft. 17. April 1991: Die UN richten im Norden des Irak zum Schutz der dort lebenden Kurden eine Flugverbotszone ein; künftig darf sich kein irakisches Flugzeug nördlich des 36. Breitengrades aufhalten. Juni 1991: Die UNSCOM nimmt ihre Arbeit auf. 15. August 1991: Da der Irak wiederholt gegen die Bestimmungen der Resolution 687 verstößt, fordert ihn der UN-Sicherheitsrat in der Resolution 707 erneut zur Erfüllung aller aus der Resolution 687 erwachsenen Verpflichtungen und Zusagen auf. Jedoch hält der Irak auch in der Folgezeit die Resolution 687 nicht ein, behindert immer wieder die Arbeit der UNSCOM-Inspektoren, hält Dokumente zurück, sucht indizierte Waffen zu verbergen etc. 11. Oktober 1991: In der Resolution 715 fordert der UN-Sicherheitsrat den Irak erneut zur bedingungslosen Zusammenarbeit mit den UN-Inspektoren auf sowie zur Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen aus der Resolution 687 und legt eine langfristige Kontrolle der irakischen Abrüstung fest. 27. August 1992: Südlich des 32. Breitengrades wird eine weitere Flugverbotszone errichtet. Die Flugverbotszonen werden von den USA und Großbritannien überwacht. Januar 1993: Die USA, Großbritannien und Frankreich unternehmen gezielte Bombardements gegen militärische Einrichtungen im Irak, nachdem der Irak zuvor unerlaubte militärische Aktionen unternommen hatte. Juni 1993: US-Präsident Bill Clinton lässt das Hauptquartier des irakischen Geheimdienstes bombardieren, da sich der Irak bestimmten Überwachungen verweigert, zudem angeblich ein Mordkomplott gegen Expräsident Bush plante. Juni 1994: Nach UN-Angaben verfügt der Irak nun über keine chemischen Waffen mehr; in Bezug auf biologische Waffen und Raketen mit über 150 Kilometer Reichweite waren die einschlägigen UN-Resolutionen bereits 1993 erfüllt, und das irakische Atomprogramm war nach IAEA-Angaben ebenfalls schon Ende 1993 zerstört oder zumindest neutralisiert. 14. April 1995: Mit der Resolution 986 lockert der UN-Sicherheitsrat das Embargo gegen den Irak und gestattet ihm in begrenztem Umfang den Export von Erdöl und im Gegenzug die Einfuhr von Nahrungsmitteln und Medikamenten aus dem Erlös des Ölexports. Der Irak exportiert allerdings erst ab Dezember 1996 wieder Öl; bis dahin hatte er sich wegen der Einschränkung seiner Souveränität dem ,,Öl-für-Lebensmittel"-Programm verweigert. In den Folgejahren wird das Programm zur Ausfuhr von Erdöl für humanitäre Zwecke regelmäßig durch UN-Resolutionen verlängert. 12. Juni 1996: Nachdem der Irak erstmals seit Jahren die Waffeninspektoren in ihrer Arbeit massiv behindert hat, fordert der UN-Sicherheitsrat in der Resolution 1060 den bedingungslosen Zugang der Inspektoren zu allen relevanten Einrichtungen. September 1996: Die USA bombardieren irakische Verteidigungsstellungen, nachdem irakische Truppen in die Kurdengebiete im Norden des Landes vorgerückt waren. 21. Juni 1997: Nach neuerlichen Behinderungen der UN-Waffeninspektoren fordert der UN-Sicherheitsrat den Irak in der Resolution 1115 ein weiteres Mal zur bedingungslosen Zusammenarbeit auf und wiederholt diese Forderung in der Resolution 1134 vom 23. Oktober. 29. Oktober 1997: Der Irak stellt Bedingungen für die weitere Zusammenarbeit mit den UN-Waffeninspektoren. In einer Erklärung vom selben Tag warnt der Sicherheitsrat den Irak vor ,,schwerwiegenden Folgen", sofern er nicht seinen Verpflichtungen aus den einschlägigen Resolutionen nachkommt. In den folgenden Tagen verweigert der Irak UN-Waffeninspektoren amerikanischer Staatsbürgerschaft die Einreise in den Irak bzw. den Zugang zu Standorten, die für die Inspektionen vorgesehen sind, und gibt zu, unter die Resolution 687 fallende Waffen vor den Inspektoren verborgen zu haben. 12. November 1997: In der Resolution 1137 verurteilt der UN-Sicherheitsrat das irakische Vorgehen, fordert erneut die bedingungslose Befolgung der einschlägigen Resolutionen und erlässt Einreisesanktionen gegen irakische Amtsträger. Der Irak weist alle amerikanischen Waffeninspektoren wegen Spionageverdachts aus, woraufhin der Großteil der übrigen UNSCOM-Mitglieder aus Protest ebenfalls das Land verlässt. Auf Vermittlung Russlands und Chinas können alle Inspektoren jedoch bald wieder in den Irak zurückkehren. Januar 1998: Der Irak verweigert den Inspektoren weiterhin den Zugang zu den so genannten Präsidentenpalästen, in denen sensibles Material vermutet wird. USPräsident Clinton droht mit einem Militärschlag, sofern der Irak weiterhin die uneingeschränkte Waffenkontrolle verweigert. Amerikanische und britische Flugzeugträger konzentrieren sich im Persischen Golf. 23. Februar 1998: UN-Generalsekretär Kofi Annan handelt mit dem Stellvertretenden Ministerpräsidenten des Irak, Tarik Aziz, eine Vereinbarung aus, in der sich der Irak verpflichtet, den UN-Inspektoren bedingungslosen und uneingeschränkten Zugang gemäß den Resolutionen 687 und 715 zu gewähren. Am 2. März bestätigt der UNSicherheitsrat diese Vereinbarung in der Resolution 1154 und droht dem Irak bei Verstoß zugleich ,,schwerste Konsequenzen" an. Dennoch behindert der Irak auch weiterhin die Waffenkontrolleure. 31. Oktober 1998: Der Irak stellt die Zusammenarbeit mit der UNSCOM und der IAEA vollends ein, nachdem er sie am 5. Oktober bereits ausgesetzt hatte. Die UNMitarbeiter verlassen den Irak. Unterdessen haben die USA und Großbritannien umfangreiche Truppenkontingente in der Golfregion stationiert. 14. November 1998: US-Präsident Clinton stoppt einen geplanten Militärschlag buchstäblich in letzter Minute, nachdem der Irak unter dem Eindruck der massiven militärischen Drohung die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit mit den UN-Inspektoren zugesagt hatte. 16. Dezember 1998: Amerikanische und britische Streitkräfte unternehmen ohne UN-Mandat einen viertägigen Militärschlag gegen den Irak, die so genannte ,,Operation Wüstenfuchs". Unmittelbar vor Beginn der Operation hatte der UNSCOM-Chef Richard Butler konstatiert, dass der Irak die versprochene volle Zusammenarbeit nicht gewährleiste. Die ,,Operation Wüstenfuchs" markierte das vorläufige Ende der Zusammenarbeit des Irak mit den UN; die UNSCOM-Mitarbeiter hatten bereits kurz vor dem Militärschlag den Irak wieder verlassen. Trotz der teils massiven Behinderung der UN-Waffeninspektoren konnten seit 1991 rund 40 000 chemische Waffen und zugehörige Munition zerstört werden sowie etwa 400 Tonnen chemischer Kampfstoffe und eine Fabrik für biologische Waffen. Außerdem wurden über 800 Mittelstreckenraketen vernichtet. 17. Dezember 1999: Mit der Resolution 1284 wendet sich der UN-Sicherheitsrat wieder dem Irak-Problem zu. Durch diese Resolution wird eine neue UN-Kommission für die Kontrolle der irakischen Waffen geschaffen, die UNMOVIC (United Nations Monitoring Verification and Inspection Commission). Sie soll die Arbeit der UNSCOM weiterführen und dabei ein Kontrollsystem einrichten, das den Irak dauerhaft an einer Wiederaufrüstung hindert. Zugleich wird dem Irak eine Lockerung der Wirtschaftssanktionen in Aussicht gestellt. Der Irak akzeptiert die Resolution nicht. In der Folgezeit kommt es immer wieder zu einzelnen amerikanischen und britischen Militärschlägen gegen irakische Militärstellungen, so u. a. im Februar 2001, kurz nach dem Amtsantritt des US-Präsidenten George W. Bush. Diese Angriffe werden als Demonstration eines neuen, nach Jahren der Nachsicht deutlich schärferen und an die Politik von George Bush sen. anknüpfenden Kurses gegen den Irak gewertet. 11. September 2001: Nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon verdächtigt die US-Regierung auch den Irak der Verbindung mit dem islamistischen Terrorismus; Bush fordert den Irak zur Abrüstung auf und droht eine amerikanische Offensive an. In der Golfregion werden erneut amerikanische Streitkräfte zusammengezogen für eine noch nicht näher definierte Operation Infinite Justice (,,Grenzenlose Gerechtigkeit"). Eine Verbindung des Irak etwa zur Al-Qaida-Organisation Osama bin Ladens lässt sich jedoch nicht nachweisen. November 2001: Bush fordert den Irak auf, die UN-Waffeninspektoren wieder ins Land zu lassen. Für den Fall der Weigerung droht er implizit mit Krieg. UNGeneralsekretär Annan warnt davor, den Krieg gegen den Terrorismus auf den Irak auszuweiten. 30. Januar 2002: Bush reiht den Irak neben dem Iran und Nordkorea in die ,,Achse des Bösen" ein und wirft ihm vor, nach Massenvernichtungswaffen zu streben. Er fordert das Land erneut auf, die UN-Waffeninspektoren wieder ihre Arbeit aufnehmen zu lassen. Die in der Folgezeit zunehmenden Kriegsdrohungen der USA, gerechtfertigt als Kampf gegen den Terrorismus und als Akt der präventiven Selbstverteidigung, sowie die offenkundige Bereitschaft, notfalls im Alleingang und ohne UN-Mandat den Irak anzugreifen, stoßen international mehr und mehr auf Kritik. März 2002: Die UN und der Irak nehmen Verhandlungen über die Rückkehr der UN-Waffeninspektoren in den Irak auf. Die Verhandlungen scheitern jedoch. August 2002: Bei verschiedenen Gelegenheiten macht Bundeskanzler Gerhard Schröder deutlich, dass sich Deutschland nicht an einer militärischen Aktion ohne UNMandat gegen den Irak beteiligen werde. Die Bundesregierung setzt auf Diplomatie und sieht das Handlungsmonopol bei den UN, und sie bleibt auch in der Folgezeit bei ihrer strikten Ablehnung einer deutschen Beteiligung an einem Irak-Krieg - trotz der daraus resultierenden zunehmenden Entfremdung zwischen den USA und Deutschland. 12. September 2002: Bush drängt die UN, den Irak zur Abrüstung zu zwingen; andernfalls hält er ein militärisches Vorgehen gegen den Irak für unvermeidlich. 16. September 2002: Der Irak erklärt sich in einem Schreiben an UN-Generalsekretär Annan bereit, die UN-Waffeninspektoren ohne Vorbedingungen wieder ins Land zu lassen sowie die einschlägigen UN-Resolutionen zur Gänze zu erfüllen. 20. September 2002: Die US-Regierung stellt ihre neue Sicherheitsstrategie vor, die den USA auch einen Präventivschlag erlaubt. 11. Oktober 2002: Die beiden Häuser des US-Kongresses bevollmächtigen Bush mit großer Mehrheit zu einem Militärschlag gegen den Irak. 8. November 2002: Nach langen Auseinandersetzungen verabschiedet der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1441. In dieser Resolution wird der Irak aufgefordert, detaillierte Informationen über seine Waffenprogramme zur Verfügung zu stellen; zudem soll der Irak den UN-Waffeninspektoren ungehinderten Zugang zu allen Lagern und Produktionsstätten atomarer, biologischer und chemischer Massenvernichtungswaffen gewähren. Bei mangelhafter Kooperation werden dem Irak ,,ernste Konsequenzen" angedroht - eine Formulierung mit breiten Interpretationsmöglichkeiten und großem Konfliktpotential. 13. November 2002: Der Irak akzeptiert die Resolution 1441 bedingungslos. 27. November 2002: Die UN-Waffeninspektoren nehmen ihre Arbeit im Irak wieder auf. In den Folgewochen erhalten sie ungehinderten Zugang auch zu den Präsidentenpalästen sowie nach und nach auch zu Personen, die mit Waffenprogrammen befasst waren oder sind. 7. Dezember 2002: Der Irak legt gemäß Resolution 1441 einen 12 000 Seiten starken Bericht über seine Waffenprogramme vor, der jedoch von den USA und Großbritannien als lückenhaft und somit als Verstoß gegen die Resolution 1441 gewertet wird. 14./15. Dezember 2002: In London treffen sich die Vertreter von etwa 50 irakischen Oppositionsgruppen, um über die politische Ordnung des Irak nach einem Sturz Saddam Husseins zu beraten. Zu einem für alle akzeptablen Ergebnis kommen die politisch, religiös und ethnisch zum Teil äußerst unterschiedlichen Gruppierungen jedoch nicht. 21. Januar 2003: Bundeskanzler Schröder erklärt, dass Deutschland, das seit 1. Januar 2003 als nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat vertreten ist, keiner Resolution zustimmen werde, die einen Krieg gegen den Irak legitimiert. Unterstützung findet er mit dieser Haltung bei Frankreich; Russland und China - wie Frankreich Veto-Mächte - schließen sich der Linie Deutschlands und Frankreichs an. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld qualifiziert daraufhin Deutschland und Frankreich als ,,altes Europa", als ,,Problem" ab. Die kontroversen Positionen Deutschlands und Frankreichs auf der einen Seite, Großbritanniens, dem sich Spanien, Italien, Portugal und Dänemark anschließen, auf der anderen Seite führen zu einer tiefen außenpolitischen Spaltung der Europäischen Union. 27. Januar 2003: Die beiden UN-Chefinspektoren, Hans Blix von der UNMOVIC und Mohammed el-Baradei von der IAEA, legen ihren ersten Bericht über die Waffenkontrollen im Irak vor. Darin werfen sie dem Irak mangelnde Kooperation vor und konstatieren, dass der Irak nicht nachgewiesen habe, dass er keine Massenvernichtungswaffen mehr besitze, dass es aber auch keine Beweise gäbe, dass der Irak noch Massenvernichtungswaffen besitze. Sie fordern mehr Zeit für die Inspektionen. 29. Januar 2003: In seiner Rede zur Lage der Nation bereitet US-Präsident Bush die USA auf einen Krieg gegen den Irak vor und schließt dabei auch einen Alleingang der USA - ohne UN-Mandat - nicht aus. Für den 5. Februar kündigt er die Vorlage neuer Beweise für Verstöße des Irak gegen die UN-Resolutionen an. Während sich Großbritannien uneingeschränkt hinter die USA stellt und wie die USA bereits umfangreiche Truppenkontingente in die Golfregion verlagert hat, ist die Mehrheit des UNSicherheitsrates gegen einen Krieg gegen den Irak und dringt auf eine Fortsetzung bzw. Verlängerung der UN-Waffeninspektionen und eine diplomatische Lösung des Konflikts. 5. Februar 2003: Vor dem UN-Sicherheitsrat legt US-Außenminister Colin Powell Material vor (Satellitenbilder, Tonbandaufzeichnungen, Dossiers etc.), das beweisen soll, dass der Irak weiterhin Massenvernichtungswaffen produziert. Es stellt sich jedoch bald heraus, dass Teile des Materials veraltet, schlecht recherchiert oder sogar falsch sind; die Mehrheit des UN-Sicherheitsrates zeigt sich nicht überzeugt von der amerikanischen Beweisführung. 14. Februar 2003: In ihrem zweiten Bericht stellen die UN-Chefinspektoren fest, dass sie keine Beweise für Massenvernichtungswaffen im Irak gefunden haben. 24. Februar 2003: Die USA, Großbritannien und Spanien legen im UN-Sicherheitsrat einen neuen Resolutionsentwurf vor, in dem festgestellt wird, dass der Irak es versäumt habe, die letzte ihm durch die Resolution 1441 eingeräumte Chance zu ergreifen, und dass somit der Zeitpunkt für die in der Resolution 1441 angedrohten ,,ernsten Konsequenzen" gekommen sei. Deutschland, Frankreich und Russland lehnen diesen Entwurf, der die rechtliche Grundlage für einen Krieg gegen den Irak schaffen soll, ab und fordern in einem Memorandum mehr Zeit für die Inspektionen. 1. März 2003: Der Irak beginnt fristgemäß mit der Zerstörung seiner Al-Samud-2-Raketen, die laut den Testergebnissen der UN-Inspektoren die erlaubte Reichweite von 150 Kilometern überschreiten. 7. März 2003: In ihrem dritten Bericht bescheinigen die UN-Chefinspektoren dem Irak eine deutlich verbesserte Zusammenarbeit, was allerdings auf die Position der USA und Großbritanniens keinen Einfluss hat. Die USA und Großbritannien legen im Gegenteil einen neuen Resolutionsentwurf vor, in dem der Irak ultimativ aufgefordert wird, bis zum 17. März seine ,,vollständige, bedingungslose, sofortige und aktive Kooperation" zu beweisen; andernfalls habe er seine letzte Chance vertan. 10. März 2003: Frankreich und Russland kündigen ihr Veto im UN-Sicherheitsrat gegen den amerikanisch-britischen Resolutionsentwurf an, und auch die übrigen Sicherheitsrats-Mitglieder lehnen mehrheitlich eine den Krieg gegen den Irak legitimierende Resolution ab. 16. März 2003: Bei einem Gipfeltreffen auf den Azoren stimmen sich die USA, Großbritannien und Spanien über ihr weiteres Vorgehen im Irak-Konflikt ab; ein Krieg gegen den Irak unter Führung der USA und ohne UN-Mandat scheint beschlossene Sache. 17. März 2003: Die USA und Großbritannien ziehen ihren Resolutionsentwurf zurück und stellen ihre Bemühungen um ein UN-Mandat für einen Krieg bzw. für eine friedliche Lösung des Irak-Konflikts ein. US-Präsident Bush fordert Saddam Hussein ultimativ auf, binnen 48 Stunden freiwillig das Land zu verlassen; andernfalls würden die USA den Irak angreifen. Der Irak lehnt das Ultimatum ab. 20. März 2003: Kurz nach Ablauf des Ultimatums beginnen die USA mit der Bombardierung Bagdads die Operation Iraqi Freedom, den Krieg gegen den Irak. Erklärtes Ziel des Krieges ist die Entwaffnung des Irak und die Beseitigung Saddam Husseins bzw. dessen Regimes; letzteres ist durch keine UN-Resolution gedeckt. 3 DER KRIEG Dass die USA und Großbritannien ihre Bemühungen um einen Konsens im UN-Sicherheitsrat und um eine friedliche Lösung des Irak-Konflikts eingestellt hatten, stieß weltweit auf scharfe Kritik. Einerseits hatte die letzte einschlägige UN-Resolution 1441 weder eine Frist für die Entwaffnung gesetzt, noch bei Nichteinhaltung der Resolution zwingend eine Militäraktion in Aussicht gestellt (nur relativ ungenau mit ,,ernsten Konsequenzen" gedroht), andererseits hatte sich in den vorangegangenen Wochen auch die Zusammenarbeit zwischen dem Irak und den UN-Waffeninspektoren merklich verbessert. Zudem hatten die Inspektionen im Irak bis dahin keinen schlagkräftigen Beweis für das Vorhandensein von Massenvernichtungswaffen erbracht - während sich das von den USA und Großbritannien vorgelegte Geheimdienstmaterial, das den Irak des Verstoßes gegen die einschlägigen UN-Resolutionen überführen sollte, nicht selten als veraltet, altbekannt oder falsch erwies. Aufseiten der Kriegsgegner war man sich einig, dass durch eine Vertiefung der Waffeninspektionen im Irak - und es war ja die Entwaffnung, die die Weltgemeinschaft vom Irak forderte, nicht der von den USA nun als oberste Priorität genannte Regimewechsel - der Konflikt hätte friedlich gelöst werden können. 3.1 Völkerrechtliche und politische Problematik Zahlreiche Völkerrechtler wie auch eine Reihe der den Krieg ablehnenden Regierungen nannten den Krieg völkerrechtswidrig. Sie beriefen sich dabei auf Artikel 2 der Charta der Vereinten Nationen, in der ein absolutes Gewaltverbot festgeschrieben ist (Abs. 4: ,,Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt."). Die UN-Charta sieht nur zwei Ausnahmen vom Gewaltverbot vor: Das Recht auf Selbstverteidigung (Art. 51) und ein Mandat des UNSicherheitsrates (Art. 42). Beides war im Falle des US-geführten Krieges gegen den Irak nicht gegeben, auch wenn die USA mehrmals ihr Recht auf Selbstverteidigung als Argument für den Krieg anführten. Zudem ließ sich der Krieg der USA gegen den Irak bestenfalls als präventiver Selbstverteidigungskrieg interpretieren - und der ist durch die UN-Charta unter keinen Umständen gedeckt. Pessimistische Kommentatoren äußerten die Meinung, dass durch den Alleingang der USA und Großbritanniens die Vereinten Nationen bedeutungslos geworden seien. Kontrovers diskutiert wurde auch der von Bush seit geraumer Zeit als vorrangiges Kriegsziel genannte Regimewechsel im Irak. Dabei waren sich auch die schärfsten Kritiker Bushs darin einig, dass das diktatorische, die Menschenrechte missachtende Regime Saddam Husseins beendet werden musste. Jedoch war der Regimewechsel von keiner der den Irak betreffenden UN-Resolutionen legitimiert worden, und es stellte sich die Frage, ob die Beseitigung eines Diktators eine durch einen Krieg hervorgerufene mögliche humanitäre Katastrophe - abgesehen von den zu erwartenden materiellen Schäden - rechtfertigen könne. Als problematisch wurde auch die US-amerikanische Einschätzung der politischen Gegebenheiten sowie der Folgen des Krieges gegen den Irak gewertet. Die US-Regierung ging davon aus, dass die Befreiung des Irak von seinem diktatorischen Regime und die Schaffung demokratischer Verhältnisse positive Auswirkungen auf die gesamte Region haben und sogar zur Lösung des Nahostkonflikts beitragen werde. Kaum ins Kalkül gezogen hatte sie aber, dass die USA im Irak nicht unbedingt als Befreier denn vielmehr als Besatzer angesehen werden könnten und ihre Invasion im Irak unerwünschte Verwerfungen in der gesamten arabischen Welt zur Folge haben könnte. So hatten die USA z. B. damit gerechnet, dass die schiitische, von dem sunnitischen Regime unterdrückte Bevölkerungsmehrheit die US-Truppen freundlich empfangen und sogleich zu ihnen überlaufen würde; dies war jedoch nicht der Fall - vermutlich weil sich die Schiiten der ausgebliebenen US-Unterstützung während ihres Aufstandes gegen das Regime im März 1991 erinnerten, außerdem der amerikanisch-britische Angriff gegen alle Erwartungen eine Solidarisierung zumindest der arabischen Iraker - seien sie nun Schiiten oder Sunniten - gegen die Invasoren herbeiführte. Als weiteres problematisches Faktum kam hinzu, dass die Briten, die aufseiten der antiirakischen Koalition neben den USA die Hauptkriegsmacht stellten, im Irak einen denkbar schlechten Ruf hatten, den sie sich als Mandatsmacht nach dem 1. Weltkrieg geschaffen hatten. Des Weiteren hatten die USA auch bei Kriegsbeginn noch keine Konzepte für eine demokratische Neuordnung des Irak parat; - für eine Neuordnung, die nach weit verbreiteter Einschätzung angesichts der einander widerstreitenden ethnischen und Religionsgruppen - Sunniten und Schiiten, Araber und Kurden - sowie fehlender demokratischer Traditionen von vornherein äußerst schwierig wäre. In den arabischen Ländern der Region, die zum Teil offen oder stillschweigend mit den USA und Großbritannien kooperierten, provozierte der Krieg massive, teilweise vom jeweiligen Regime unterdrückte Proteste der Bevölkerung. Zudem schürte der Krieg dort proirakische und islamistisch-fundamentalistische Stimmungen, die sich zu einer Bedrohung der inneren, teils nur mit diktatorischen Mitteln und unter Protektion der USA aufrechterhaltenen Stabilität der Regime zu entwickeln drohten. Die Gefahr von Terroranschlägen gegen Ziele in den USA oder allgemein in den westlichen Industrienationen wurde als erheblich gestiegen angesehen. Denn in der arabischen Welt interpretierte man den amerikanisch-britischen Krieg gegen den Irak nicht als Krieg gegen einen diktatorischen Machthaber (Hussein wurde hier oftmals überhaupt nicht als solcher wahrgenommen) oder zur Entwaffnung eines Regimes, sondern als Angriff des Westens (insbesondere der als imperialistisch angesehenen USA) auf die arabischislamische Welt. Auch hier gab es einen arabischen, antiamerikanischen Solidarisierungseffekt, allerdings fast ausschließlich unter der Bevölkerung; die vielfach von den USA abhängigen arabischen Regierungen akzeptierten deren Kriegskurs und suchten die Proteste zu unterdrücken. Auch wurde die Frage diskutiert, ob die USA mit ihrem Krieg gegen den Irak tatsächlich in erster Linie die Entwaffnung und den Regimewechsel anstrebten oder ob das eigentliche, unausgesprochene Kriegsziel nicht die Kontrolle über die irakischen Erdölvorkommen - der Irak verfügt weltweit nach Saudi-Arabien über die zweitgrößten Erdölreserven - und die Ausweitung der US-amerikanischen Hegemonie über den Nahen Osten war. Der Krieg gegen den Irak bzw. die Frage nach seiner Rechtmäßigkeit spaltete die Welt und internationale Organisationen in zwei Lager. In der EU etwa tat sich eine Kluft auf zwischen Kriegsbefürwortern, angeführt von Großbritannien und Spanien, und Kriegsgegnern, angeführt von Frankreich und Deutschland, desgleichen in der NATO; und auch die Arabische Liga drohte sich zu entzweien, in Staaten, die wie die Golf-Emirate die USA offen unterstützten, andere, die den Krieg stillschweigend tolerierten, und dritte, die ihn rundweg verurteilten. Die von Bush so genannte ,,Koalition der Willigen", die sich im Irak-Krieg auf seine Seite stellte, umfasste rund 40 Staaten; darunter waren jedoch nur wenige, die auf internationaler Ebene über größeren Einfluss verfügen. Unabhängig von der Haltung der jeweiligen Regierung kam es bei Kriegsbeginn weltweit in der Bevölkerung zu Massenprotesten gegen den Krieg; und auch schon im Vorfeld hatten vor allem in Europa und in den USA Hunderttausende gegen den drohenden Krieg demonstriert. 3.2 Kriegsverlauf Bei Kriegsbeginn hatten die USA und Großbritannien über 250 000 Mann in der Golfregion stationiert, die Heereseinheiten zum größten Teil in Kuwait, die Luftwaffe und Marine in den Golf-Emiraten und in Saudi-Arabien sowie im Persischen Golf, im Roten Meer und im östlichen Mittelmeer. Einige weitere Staaten wie Australien, Polen und Dänemark hatten in geringem Umfang Einheiten zur Verfügung gestellt. Etwa zwei Stunden nach Ablauf von Bushs Ultimatum begannen die USA am 20. März 2003 mit der Bombardierung ausgewählter Ziele in Bagdad den Krieg gegen den Irak. Jedoch stellte sich dieser erste Angriff bald als mutmaßlicher Fehlschlag heraus: Offensichtlich hatte er der Person Saddam Hussein gegolten, der sich nach Geheimdienstangaben zu diesem Zeitpunkt in einem bestimmten Gebäudekomplex in Bagdad aufhalten sollte, jedoch allem Anschein nach durch den US-amerikanischen Angriff nicht getroffen wurde. War dieser erste Angriff auf Bagdad noch vergleichsweise begrenzt, so wurden die Bombardements in den folgenden Tagen immer massiver - nach der Strategie Shock and Awe (,,Schock und Einschüchterung"), die durch den Einsatz unzähliger Bomben und Marschflugkörper dem Irak die Aussichtslosigkeit jeglichen Widerstands suggerieren und ihn zum Aufgeben veranlassen sollte. Ziel der Bombardements waren Einrichtungen der Regierung, der Republikanischen Garden (der Elite-Einheiten Husseins) und der regulären Streitkräfte in Bagdad, aber auch militärische Einrichtungen in Mosul und Kirkuk im Nordirak; jedoch wurden immer wieder auch zivile Ziele getroffen und Zivilisten getötet. Kurz nach dem Beginn der Luftangriffe drangen auch Bodentruppen vom Süden aus in den Irak vor. Die Strategie war hier, möglichst rasch nach Bagdad vorzudringen und die Stadt zu nehmen; aber auch diese Strategie zeitigte wie die Shock-and-Awe-Strategie nicht die erhofften raschen Erfolge. Denn während Teile der Invasionstruppen relativ rasch bis nach Kerbela (etwa 80 Kilometer südlich von Bagdad) vorstießen, tat sich im Süden des Irak doch erheblich größerer Widerstand auf als erwartet. Zwar konnten die Alliierten die Ölfelder im Süden schnell unter ihre Kontrolle bringen, wurden aber z. B. bei Umm Kasr, dem einzigen Tiefseehafen des Irak, bei Basra, Nasiriya, Najaf und auch bei Kerbela in heftige, langwierige Kämpfe verwickelt und konnten die Städte nicht wie erwartet rasch einnehmen. Die alliierten Truppen waren nun von der Südgrenze des Irak bis Kerbela auf eine Länge von etwa 500 Kilometern auseinandergezogen, hatten vielfach irakische Truppen im Rücken, bekamen rasch Nachschubprobleme und wurden zudem von schweren Sandstürmen behindert. Die Lage der alliierten Truppen wurde noch dadurch erschwert, dass sie nicht, wie ursprünglich geplant, über eine mehrere zehntausend Mann starke Nordfront verfügten, die von Norden her auf Bagdad hätte vorstoßen können. Denn die Türkei hatte den USA nicht gestattet, für einen Vorstoß in den Nordirak Truppen auf ihrem Boden zu stationieren, sondern hatte nach langwierigen inneren Auseinandersetzungen den USA lediglich Überflugrechte eingeräumt, und dies auch erst bei Kriegsbeginn. Etwa eine Woche nach Kriegsbeginn, als sich abzeichnete, dass der Vorstoß auf Bagdad von Süden her nicht nach Plan verlief, begannen die USA, auf dem Luftweg Truppen in den Nordirak zu bringen, die sich dann für einen Vorstoß nach Süden mit den - eher schlecht ausgerüsteten - kurdischen Einheiten verbanden. Zugleich mussten die USA einräumen, dass ihre Strategie - ungehinderter Vorstoß nach Bagdad, rasche Einnahme der Stadt - nicht aufgegangen sei. Dennoch gelang es den US-Truppen unter Fortsetzung des Bombardements militärischer und regierungsrelevanter Ziele, drei Wochen nach Kriegsbeginn, am 9. April 2003, bei nur mäßiger Gegenwehr in das Zentrum von Bagdad vorzudringen und die Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen. Am Tag zuvor hatten die Briten, die im Süden operierten, die völlige Einnahme Basras gemeldet, und in den folgenden zwei Tagen eroberten kurdische und US-Truppen auch die Städte Kirkuk und Mosul im Norden. Mit der Einnahme Mosuls am 11. April befanden sich nun alle irakischen Ölfelder unter alliierter Kontrolle. Als letzte wichtige Stadt fiel am 14. April schließlich Tikrit, der Geburtsort Husseins und die Hochburg seiner Anhänger. Damit war das Regime Saddam Husseins endgültig gestürzt. Von Hussein selbst und seinem engsten Umfeld fehlte jede Spur. Vielerorts wurden die alliierten Truppen von großen Teilen der Bevölkerung mit Freudenkundgebungen empfangen und demonstrierten zahlreiche Iraker ihren Jubel über den Sturz Husseins durch die Demontage von Symbolen seiner Macht. Allerdings führte das zeitweilige Machtvakuum zwischen dem Einmarsch der alliierten Truppen und der Installierung neuer Sicherheitsstrukturen in einigen Städten, insbesondere in Bagdad, auch zu schweren Ausschreitungen in Form von Plünderungen nicht nur der Regierungsgebäude und sonstiger Einrichtungen des Regimes, sondern auch privater Geschäftsräume, Krankenhäuser und u. a. des Nationalmuseums in Bagdad mit seinen unschätzbaren Zeugnissen aus der langen und reichen Geschichte Mesopotamiens. Schon kurz nach Kriegsbeginn hatte sich die Versorgungslage der Zivilbevölkerung in den umkämpften Städten wie etwa Basra dramatisch zugespitzt. UN-Generalsekretär Annan wies die USA und Großbritannien darauf hin, dass sie als Krieg führende Mächte völkerrechtlich die Verantwortung für die humanitäre Lage im Irak trügen. Zwar suchten die Alliierten bald die besonders Not leidende Stadt Basra mit Wasser und Nahrungsmitteln zu versorgen, ihre Hilfslieferungen blieben jedoch weit hinter denen zurück, die aus dem ,,Öl-für-Lebensmittel"-Programm ins Land geflossen waren. Das ,,Öl-für-Lebensmittel"-Programm war mit Kriegsbeginn eingestellt worden, und der Irak verweigerte sich trotz positiven UN-Beschlusses seiner Wiederaufnahme. Massenvernichtungswaffen - der eigentliche Kriegsgrund - waren während des gesamten, im Wesentlichen nur knapp vierwöchigen Krieges weder vom Irak eingesetzt worden, noch waren die alliierten Truppen während ihres Vormarsches nach Bagdad auf unerlaubte Waffen oder ähnliches Material gestoßen. 4 DER IRAK NACH DEM KRIEG Am 1. Mai 2003 erklärte US-Präsident Bush die Hauptkampfhandlungen im Irak für beendet. Das Ende des Krieges zu verkünden, vermied er bewusst, denn dies hätte völkerrechtliche Konsequenzen nach sich gezogen. Auf Seiten der Alliierten hatte der Krieg etwa 170 Todesopfer gefordert; für die irakische Seite kann die Zahl der Getöteten nur geschätzt werden: Die Angaben variieren zwischen 10 000 und 45 000. Einer im November 2003 vorgelegten Studie der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges zufolge sollen während des Krieges etwa 20 000 Iraker ums Leben gekommen sein, je zur Hälfte Zivilisten und Militärangehörige. Die Kosten des Krieges bezifferten die USA für ihre Seite auf bis dahin 35 Milliarden US-Dollar und rechneten mit weiteren Kosten von je etwa vier Milliarden US-Dollar pro Monat bis zum Herbst 2003. Von den vermeintlichen Massenvernichtungswaffen, die den USA und Großbritannien als Rechtfertigung für ihren Krieg gegen den Irak gedient hatten, fehlte weiterhin jede Spur. Während die Hauptkampfhandlungen rascher und unter deutlich weniger Verlusten beendet wurden, als von Kritikern des Krieges befürchtet, erforderte der Wiederaufbau des Landes erheblich mehr Zeit und Revisionen der im Laufe der ersten Nachkriegswochen erstellten Konzepte, als die Alliierten erwartet hatten. Die Leitung des Wiederaufbaus übertrugen die USA einem Übergangsverwalter und bestimmten den ehemaligen US-General Jay Garner für dieses Amt, in dem er dem Oberbefehlshaber General Tommy Franks und damit dem US-Verteidigungsministerium unterstellt war. Schon kurz nach seinem Amtsantritt am 21. April 2003 stellte Garner die rasche Einsetzung einer irakischen Übergangsregierung in Aussicht und zeigte sich zuversichtlich, dass dies noch im Mai geschehen könne. Die tatsächlichen Verhältnisse aber sprachen gegen eine rasche Übertragung zumindest eines Teils der Verantwortung an eine irakische Verwaltung: Zum einen gelang es den Alliierten nicht, die Sicherheitslage insbesondere in den vorwiegend sunnitischen Gebieten zu stabilisieren; Plünderungen, Übergriffe etc. waren weiter an der Tagesordnung; dazu kamen ab Mai vermehrt Angriffe und Anschläge auf die US-Truppen. Zum anderen gab es personelle Probleme: Es fanden sich kaum zuverlässige, für Regierungsaufgaben geeignete Persönlichkeiten, die die Hussein-Ära im Irak verbracht hatten, ohne sich durch besondere Nähe zu dem alten Regime für Führungsaufgaben in einer neuen Regierung disqualifiziert zu haben, und die außerdem nicht nur der kurdischen Minderheit angehörten. Und die nach dem Fall von Bagdad aus dem Exil zurückgekehrten Führer der Oppositionsparteien, die von Garner für eine künftige Regierung vorgesehen waren, stießen bei der irakischen Bevölkerung auf große Vorbehalte, da sie nicht nur während ihres Exils großteils von den USA unterstützt, sondern auch jetzt wieder von den USA gefördert wurden. Außerdem konnten sich die Führer der verschiedenen ethnischen, religiösen und politischen Gruppierungen, die sich schon Mitte April auf Einladung der USA zu ersten Verhandlungen getroffen hatten, außer auf die Grundprinzipien Demokratie, Föderalismus und Rechtsstaatlichkeit auf keine einheitlichen politischen, geschweige denn personellen Konzepte einigen. Schon bald nach dem Ende der Hauptkampfhandlungen konkretisierten sich die Pläne zur Schaffung von Sicherheitsstrukturen: Der Irak wurde in drei Zonen unterteilt, in denen je eine Führungsmacht an der Spitze einer multinationalen Stabilisierungstruppe die Verantwortung für die Sicherheit übernehmen sollte, wobei die Stabilisierungstruppen mittelfristig die amerikanischen und britischen Besatzungstruppen unterstützen und längerfristig ablösen sollten. Der Norden des Landes einschließlich Bagdad wurde der Verantwortung der USA unterstellt, der Süden Großbritannien, und in der Mitte übernahm Anfang September 2003 Polen die Führung der Sicherheitstruppen. 4.1 Widerstand Unterdessen schlug der Besatzungsmacht USA seitens der Bevölkerung, d. h. besonders in dem von ihr besetzten Zentrum des Landes, immer größere Ablehnung entgegen; es häuften sich die antiamerikanischen Kundgebungen, und auch führende Vertreter der ehemaligen Opposition forderten immer nachdrücklicher einen baldigen Abzug der Alliierten und die Rückgabe der Souveränität an das irakische Volk. Vor allem in Bagdad und im so genannten sunnitischen Dreieck nördlich von Bagdad, der ehemaligen Hochburg Saddams und dem Kernland der bis zum Krieg staatstragenden sunnitischen Minderheit, sahen sich die US-Truppen zunehmend Anschlägen und Angriffen aus dem Hinterhalt ausgesetzt, als deren Urheber Hussein-Anhänger, Angehörige der inzwischen aufgelösten irakischen Armee und des Sicherheitsdienstes oder in- und ausländische radikale islamistische Gruppierungen vermutet wurden. Durch die Anschläge kamen nach dem offiziellen Ende der Hauptkampfhandlungen bis zum Jahresende deutlich mehr Soldaten ums Leben als während des Krieges selbst. Die US-Armee reagierte mit groß angelegten Razzien und Gegenschlägen sowie zahlreichen Festnahmen und sprach angesichts der Angriffe von ,,organisiertem Widerstand", bald sogar von einem Guerillakrieg. Zur Destabilisierung der Lage trugen weiterhin Anschläge und Sabotageakte auf die Infrastruktur wie etwa die Wasser- und Energieversorgung und auf Einrichtungen der Erdölindustrie, z. B. Pipelines, bei. Im schiitischen Süden und im kurdischen Norden blieb die Lage im Vergleich zu Bagdad und dem sunnitischen Dreieck relativ ruhig. Im August 2003 kam es zu einer Reihe von Anschlägen völlig neuer Qualität: Am 7. August explodierte eine Autobombe vor der jordanischen Botschaft in Bagdad und forderte mehr als ein Dutzend Tote; am 19. August kamen bei einem Anschlag auf das UN-Hauptquartier in Bagdad 22 UN-Mitarbeiter ums Leben, unter ihnen der UNSonderbeauftragte für den Irak, Sergio Vieira de Mello, der offensichtlich das eigentliche Ziel des Anschlages war; und am 29. August starben bei einem Sprengstoffanschlag vor der Moschee der heiligen Stadt Najaf der einflussreichste Führer der irakischen Schiiten, Ayatollah Mohammed Bakr al-Hakim, sowie mindestens weitere 75 Personen. Diese Anschläge waren die bis dahin schwersten im Nachkriegs-Irak, und sie richteten sich nicht direkt gegen die Besatzungsmacht USA, sondern gegen Personen und Organisationen, die mit ihnen zusammenarbeiteten. Die Verantwortung für die Anschläge übernahmen islamistische Terrororganisationen, die - zumindest im Falle der Anschläge auf das UN-Hauptquartier und in Najaf - möglicherweise dem Umfeld von al-Qaida angehörten. Insbesondere der Anschlag auf al-Hakim destabilisierte die Lage im Irak weiter. In der Folgezeit erhöhte sich die Zahl der Anschläge auf die US-Truppen und Einrichtungen der Besatzungsmächte, aber auch auf die irakischen Sicherheitskräfte und auf Einrichtungen neutraler Hilfsorganisationen, so etwa auf den stellvertretenden US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz am 26. Oktober und auf das Hauptquartier des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) am darauf folgenden Tag. Während des Fastenmonats Ramadan (Oktober/November 2003) kam es zu bis zu drei Dutzend Anschlägen täglich; Schauplatz dieser Anschläge waren weiterhin vor allem Bagdad und das sunnitische Dreieck. Die US-Besatzungstruppen reagierten im Rahmen ihrer im November eingeleiteten ,,Operation Eisenhammer" u. a. mit gezielten Einsätzen gegen mutmaßliche Stellungen der Terroristen. Als Drahtzieher der Attentate wurde eine Allianz aus Anhängern von Hussein und bin Laden vermutet, und es wurde von Geheimdiensten auch der frühere Vizechef des Revolutionären Kommandorates und Kommandeur der irakischen Nordarmee, Isset Ibrahim al-Duri, genannt. Die Attentäter selbst rekrutierten sich vermutlich aus islamistischen Kämpfern aus verschiedenen arabischen Ländern, aus Irakern, die mit der Nachkriegssituation unzufrieden waren, sowie aus kriminellen Banden, die gegen Bezahlung Anschläge verübten. Zurückgreifen konnten sie dabei auf eine Unzahl von Munitions- und Gelddepots, die unter Hussein über das ganze Land verteilt angelegt worden waren. In Reaktion auf die Anschläge zogen die UN, das IKRK und andere Organisationen ihr Personal teilweise oder sogar ganz aus dem Irak ab. Die Hoffnung, dass sich durch die Festnahme Husseins die Lage beruhigen könne, erfüllte sich nicht. Am 13. Dezember 2003, acht Monate nach dem Sturz des Regimes, konnten die US-Truppen Hussein in einem Erdloch auf einem Gehöft nahe Tikrit gefangen nehmen. Zwar wurde die Festnahme Husseins im ganzen Land mit großem Jubel begrüßt, die Anschläge auf die Truppen und Einrichtungen der Besatzungsmächte jedoch gingen unvermindert weiter. Auch wurden in Husseins Versteck keinerlei Kommunikationsmittel wie Telefone oder Ähnliches gefunden, was darauf hindeutete, dass Hussein selbst mit den Anschlägen bzw. deren Koordination nichts zu tun hatte. Ab Ende 2003 richteten sich die Anschläge im Irak mehr und mehr auch gegen die irakische Bevölkerung selbst, insbesondere gegen solche Iraker, die mit den Besatzungsmächten zusammenarbeiteten bzw. sich nicht klar von ihnen distanzierten; und vor allem nahm die Intensität der Anschläge zu. Mehrere Dutzend Tote pro Anschlag waren nun keine Seltenheit mehr. Besonders grauenhaft waren zwei zeitgleiche Selbstmordattentate auf die Zentralen der beiden größten Kurdenparteien in Erbil, bei denen über 100 Menschen ums Leben kamen, sowie die Serie von Anschlägen auf dem Höhepunkt der Aschura-Feierlichkeiten, eines der höchsten Feste der Schiiten. Diesen Attentaten fielen am 2. März 2004 in Kerbela und Bagdad über 180 Menschen zum Opfer Seit etwa dem ersten Jahrestag des Kriegsbeginns, also seit März 2004, verschärfte sich die Lage im Irak erheblich, die Anschläge auf die Besatzungstruppen nahmen an Häufigkeit und Schwere zu. Mitverantwortlich dafür waren radikale islamistische Führer, darunter vor allem der schiitische Geistliche Muktada al-Sadr, der vehement gegen die Besatzungsmächte agitierte und dessen Milizen sich mit den Besatzungstruppen blutige Gefechte lieferten. Schwerpunkte der Kämpfe zwischen den Milizen al-Sadrs und den Besatzungstruppen waren die Städte Najaf, Fallujah (westlich von Bagdad) und Kufah (nördlich von Najaf). Die Gefechte forderten zahlreiche Tote; allein in den ersten zehn Tagen des April 2004 kamen über 700 Iraker und 70 Soldaten der Besatzungstruppen ums Leben. In manchen Gegenden verloren die Besatzungsmächte zusehends die Kontrolle an radikale Schiiten oder Sunniten; Najaf und Fallujah z. B. befanden sich zeitweise völlig in der Hand irakischer Aufständischer. Aufrufe zur Mäßigung, wie sie etwa der angesehene schiitische Großayatollah Ali al-Sistani an seine Landsleute richtete, blieben wirkungslos. Erst ein Waffenstillstand zwischen den Milizen al-Sadrs und den Besatzungstruppen konnte die Lage Ende Mai 2004 einigermaßen beruhigen, wenngleich es vereinzelt immer wieder zu Gefechten kam. Im Kampf gegen die Besatzungsmächte griffen die irakischen Aufständischen unterdessen zunehmend auch zum Mittel der Geiselnahme: Sie brachten Mitarbeiter ausländischer Firmen, Hilfswerke, Botschaften etc. in ihre Gewalt und versuchten dadurch, die jeweiligen Regierungen zum Abzug ihrer Truppen aus dem Irak zu zwingen. Zur selben Zeit mehrten sich auch die Anschläge auf hochrangige Vertreter der irakischen Regierungsbehörden: Im Mai 2004 kam der Präsident des Regierenden Rates, Isseddin Salim, durch ein Attentat ums Leben, und nach der Einsetzung der Übergangsregierung am 1. Juni 2004 wurden vermehrt Mitglieder und Mitarbeiter dieser Regierung Ziel von Anschlägen: Innerhalb weniger Tage fielen z. B. ein stellvertretender Außenminister und ein Mitarbeiter des Erziehungsministeriums Attentaten zum Opfer, ein weiterer stellvertretender Minister entging nur knapp einem Anschlag. Einen schweren Schlag erlebte die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz der Besatzungsmacht USA, als US-amerikanische Medien Ende April 2004 Fotos veröffentlichten, auf denen von US-amerikanischen Soldaten misshandelte und gedemütigte irakische Gefangene zu sehen waren und die zum größten Teil in dem schon zu Husseins Zeiten berüchtigten Gefängnis Abu Ghraib bei Bagdad aufgenommen worden waren. Das IKRK hatte schon im Verlauf des Jahres 2003 in irakischen Gefängnissen Misshandlungen, die bis hin zur Folter reichten, festgestellt; an die Öffentlichkeit waren diese Untersuchungsergebnisse jedoch nicht gedrungen, und nachhaltige Konsequenzen innerhalb der für die Gefängnisse zuständigen Teile der US-Streitkräfte und Behörden waren ausgeblieben. Verschiedene Aussagen Beteiligter deuteten darauf hin, dass die Soldaten nicht aus eigenem Antrieb irakische Gefangene misshandelten, sondern auf Anordnung übergeordneter Stellen und anderer Behörden, darunter des Geheimdienstes CIA, bzw. zumindest mit deren Wissen und unter deren Duldung handelten. Die USA leiteten sogleich nach der Veröffentlichung der Fotos Untersuchungen über die Vorgänge in Abu Ghraib ein. Erstes Ergebnis waren Strafverfahren gegen sieben Soldaten wegen Misshandlungen an irakischen Gefangenen; das erste Verfahren wurde noch im Mai 2004 öffentlichkeitswirksam vor einem amerikanischen Militärgericht im Irak durchgeführt, und es endete mit der Verhängung der Höchststrafe gegen den Angeklagten. Auch Mitglieder der britischen Streitkräfte wurden der Misshandlung irakischer Gefangener beschuldigt, und gegen einige britische Soldaten wurden ebenfalls Verfahren eröffnet. 4.2 Politischer Wiederaufbau Da der Wiederaufbau des Irak in den ersten Wochen nach dem Ende der Kampfhandlungen deutlich weniger rasch vorangekommen war als erwartet, wurde Mitte Mai Jay Garner durch den Diplomaten Paul Bremer als neuer Zivilverwalter abgelöst. Die personelle Änderung bedeutete zugleich einen Kurswechsel der USA im Hinblick auf den politischen Wiederaufbau: Der Plan der raschen Bildung einer irakischen Übergangsregierung wurde angesichts der kritischen Sicherheitslage vertagt; vorgesehen war nun lediglich die Bildung einer vorläufigen irakischen Behörde mit begrenzten Befugnissen in Bereichen wie Gesundheitswesen, Landwirtschaft und Bildung. Vor dem Hintergrund anhaltender irakischer Proteste gegen eine weitere Verzögerung der Bildung einer irakischen Übergangsregierung änderten die USA jedoch wenig später erneut ihr Konzept und stellten wieder die Einsetzung einer Übergangsregierung in Aussicht, die im Juli 2003 von einer Allparteienkonferenz gewählt werden sollte. Dann aber entschieden sich die USA dafür, die Mitglieder der Übergangsregierung mit Hilfe eines irakischen Beratergremiums selbst zu ernennen. Am Ende installierte die US-Verwaltung einen 25köpfigen ,,Regierenden Rat", der sich am 13. Juli 2003 konstituierte. Dieser Rat setzte sich aus 13 Schiiten, je fünf Sunniten und Kurden sowie je einem Vertreter der Christen und der Turkmenen zusammen und erhielt eine Reihe von exekutiven Vollmachten wie z. B. die Berufung von Ministern und die Formulierung der irakischen Politik; zudem sollte er die Bildung einer verfassunggebenden Versammlung sowie einer Übergangsregierung in die Wege leiten. Der US-Verwalter Bremer behielt sich jedoch ein Vetorecht für alle Entscheidungen der Rates vor und den USA die Verantwortung für die innere Sicherheit. Die Schwächen des Rates - die divergierenden politischen, ethnischen und religiösen Interessen und die wenig ausgeprägte Bereitschaft zu Kompromissen - offenbarten sich gleich bei seiner Konstituierung: Es gelang ihm nicht, sich auf einen Vorsitzenden zu einigen, stattdessen gab er sich eine Woche später ein dreiköpfiges, rotierendes Präsidium. Und erst eineinhalb Monate nach seiner Konstituierung, am 1. September 2003, ernannte er das 25-köpfige Kabinett, das sich in Bezug auf Religions- und Volksgruppen nach demselben Verteilungsschlüssel zusammensetzt wie der Rat. Sowohl die undemokratische Art des Zustandekommens als auch die eingeschränkten Befugnisse des Rates und des Kabinetts stießen im Irak auf scharfe Kritik und widersprachen auch der alliierten Zusage eines raschen, demokratischen Wiederaufbaus. Und die von den Alliierten durch die Einsetzung irakischer Regierungsorgane erhoffte Entspannung der Sicherheitslage blieb aus. Die Ausarbeitung einer neuen Verfassung für den Irak - die wesentliche Voraussetzung für die Wahl repräsentativer Organe und damit die Rückgabe der vollen Souveränität an das irakische Volk und den Abzug der ausländischen Besatzungsmächte - verzögerte sich ebenfalls: Ende September 2003 schloss der irakische Verfassungsausschuss nach zwei Monaten seine Beratungen ergebnislos ab. Der Ausschuss hatte zwar nur über die Art und Weise der Bestellung einer verfassunggebenden Versammlung entscheiden sollen und noch nicht über die Inhalte einer künftigen irakischen Verfassung, war aber schon an dieser Aufgabe gescheitert. Aus den Reihen des Ausschusses verlautete, dass die Ausarbeitung einer Verfassung mindestens ein Jahr in Anspruch nehmen würde - ein Zeitplan, der in hohem Maße dem der USA widersprach: Die USA hatten mit einer Frist von etwa einem halben Jahr bis zur Abhaltung erster Wahlen auf der Basis einer neuen Verfassung gerechnet. Auf einer internationalen Geberkonferenz in Madrid im Oktober 2003 stellten die insgesamt etwa 70 teilnehmenden Staaten und Organisationen 33 Milliarden US-Dollar für den Wiederaufbau des Irak zur Verfügung, während nach Schätzungen u. a. der Weltbank 55 Milliarden nötig wären. Der Großteil des Geldes, 20,5 Milliarden, kam aus den USA. In der Folgezeit erklärten sich zudem einige Staaten wie Frankreich, Russland, Deutschland, Japan und China zu einem teilweisen Erlass der irakischen Auslandsschulden bereit. Im Sinne einer möglichst raschen Rückgabe der Souveränität an den Irak unterzeichneten am 15. November 2003 der Regierende Rat und US-Verwalter Bremer ein Abkommen, dem zufolge am 30. Juni 2004 die Souveränität an eine gewählte irakische Übergangsregierung übertragen werden soll; mit dieser Rückgabe der Souveränität würde die Besetzung durch vorwiegend amerikanische Truppen enden und sich in eine ,,Militärpräsenz im Einverständnis mit den irakischen Behörden" wandeln. Als Grundlage der Übergangsregierung sollte der Regierende Rat bis zum Februar 2004 ein provisorisches Grundgesetz erarbeiten, das als wesentliche Elemente die Garantie der Grund- und Menschenrechte, darunter die Religionsfreiheit, enthält sowie Demokratie, Gewaltenteilung und Föderalismus festschreibt. Dieses provisorische Grundgesetz soll bis zur Verabschiedung einer endgültigen Verfassung in Kraft bleiben. Die Führer der schiitischen Bevölkerungsmehrheit protestierten jedoch gegen die geplante Art der Übergangsregierung: Nach den Vorstellungen der USA sollte sie durch regionale Wahlausschüsse gewählt werden; die Iraker aber forderten allgemeine Wahlen. Man kam den schiitischen Führern immerhin so weit entgegen, dass man im Februar 2004 UN-Experten in den Irak entsandte, die die Möglichkeit allgemeiner Wahlen noch vor Ende Juni 2004 überprüfen sollten. Die UN-Experten kamen zu dem Ergebnis, dass allgemeine Wahlen allenfalls bis Ende 2004 organisiert werden könnten. Nur unwesentlich später als geplant einigte sich der Regierende Rat am 1. März 2004 auf ein provisorisches Grundgesetz, das am 8. März - nach neuerlichen Verzögerungen - unterzeichnet wurde. In dieser Übergangsverfassung wird der Islam zwar als Staatsreligion festgeschrieben, aber auch allen anderen Religionen völlige Freiheit garantiert. Der Islam bzw. die Scharia wird als eine Quelle der Gesetzgebung bezeichnet, ist also nicht die alleingültige Grundlage der Gesetzgebung. Außerdem gibt das Grundgesetz eine föderalistische Struktur vor (mit Autonomie für Kurdistan) und reserviert ein Viertel der Parlamentssitze Frauen. Des Weiteren sollen laut der Übergangsverfassung noch vor Ende 2004, spätestens bis zum 31. Januar 2005 Wahlen zu einem Übergangsparlament stattfinden, das dann bis zum 15. August 2005 eine endgültige Verfassung ausarbeiten soll. Während die gemäßigten Schiiten die Übergangsverfassung als Erfolg bezeichneten, lehnten die radikaleren Kräfte sie als nicht legitim ab. Die Übergangsverfassung gilt als eine der fortschrittlichsten Verfassungen in der arabischen Welt. In einem ersten Schritt in Richtung Souveränität entließ die US-Zivilverwaltung Ende März 2004 das Gesundheitsministerium aus ihrer Obhut und übergab es den Irakern; die Übergabe weiterer, eher zweitrangiger Ministerien folgte. Obwohl die Lage im Irak immer unsicherer wurde und die Gewalt eklatant zunahm, hielt die US-Zivilverwaltung weiterhin am 30. Juni 2004 als Termin für die Übergabe der vollen Souveränität an den Irak fest. Einen Monat vor der geplanten Übergabe der Souveränität präsentierte der Regierende Rat am 1. Juni 2004 die Übergangsregierung, die er in Zusammenarbeit mit der USZivilverwaltung und vor allem dem UN-Sondergesandten Lakhdar Brahimi und teilweise gegen deren Wünsche zusammengestellt hatte, setzte die Übergangsregierung sogleich offiziell ein und löste sich dann selbst auf. Präsident der Übergangsregierung wurde der Sunnit Ghasi al-Jawer, Ministerpräsident der Schiit Iyad Allawi, die beiden Vizepräsidentenposten übernahmen je ein Schiit und ein Kurde. Insgesamt repräsentiert die 36-köpfige Übergangsregierung, der auch sechs Frauen angehören, alle relevanten Bevölkerungsgruppen des Irak. Mit der Resolution 1546 des UN-Sicherheitsrates vom 8. Juni 2004 wurde schließlich auch die Übergabe der Macht und der Souveränität von der Besatzungsregierung auf die irakische Übergangsregierung geregelt. Der Verabschiedung der von den USA und Großbritannien eingebrachten Resolution waren wochenlange Auseinandersetzungen im Sicherheitsrat vorausgegangen; insbesondere Frankreich, Russland und Deutschland hatten eine Reihe von Nachbesserungen zugunsten des Irak und im Sinn einer exakteren Formulierung der Kompetenzen der Übergangsregierung und der weiterhin im Irak stationierten, US-geführten ausländischen Truppen verlangt. Die wichtigsten Beschlüsse der Resolution 1546 sind: Der Irak erhält spätestens zum 30. Juni 2004 die volle Souveränität zurück, womit die Besatzung und deren Verwaltung endet; die Vereinten Nationen erkennen die Autorität und Souveränität der am 1. Juni eingesetzten Übergangsregierung an; bis zum 31. Dezember 2004, spätestens bis zum 31. Januar 2005 finden demokratische Wahlen zu einer provisorischen Nationalversammlung statt, die dann eine Übergangsregierung ernennen, eine neue Verfassung erarbeiten und bis zum 31. Dezember 2005 Wahlen für eine demokratische Regierung vorbereiten soll. Das in der Resolution 1511 von 2003 erteilte Mandat für die von den USA geführten multinationalen Streitkräfte im Irak wird bekräftigt, und die Streitkräfte werden ermächtigt, alle erforderlichen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit zu treffen. Der Sicherheitsrat überprüft das Mandat für die multinationalen Streitkräfte nach zwölf Monaten; das Mandat endet mit dem Abschluss des Demokratisierungsprozesses im Irak, d. h., mit dem Amtsantritt einer demokratisch gewählten Regierung, der für Ende 2005/Anfang 2006 vorgesehen ist; jedoch kann das Mandat schon früher beendet werden, wenn die irakische Regierung darum ersucht. In Fragen der Sicherheit und bei Militäraktionen arbeiten die irakische Übergangsregierung und die multinationalen Streitkräfte zusammen. Die Verfügungsgewalt über die Mittel aus dem mit der Resolution 1483 von 2003 eingerichteten Entwicklungsfonds fällt an die Übergangsregierung, wenngleich ein internationaler Beirat die Verwendung der Mittel überprüft. Außerdem schreibt die Resolution eine führende Rolle der Vereinten Nationen beim politischen und institutionellen Wiederaufbau des Irak fest. Im Vorfeld der für den 30. Juni 2004 geplanten Machtübergabe an die irakische Übergangsregierung eskalierte die Gewalt: Die Anschläge häuften sich, täglich starben Dutzende Menschen. Angesichts dieser prekären Lage wurde die Machtübergabe ohne Vorankündigung zwei Tage früher als geplant vollzogen. Am 28. Juni 2004 übertrug die US-Zivilverwaltung der Übergangsregierung formell die Souveränität; die Übergangsregierung wurde vereidigt, und die US-Zivilverwaltung löste sich auf. Damit endete formell auch die Besatzung, wenngleich die US-geführte multinationale Streitmacht im Irak blieb und weiterhin die Verantwortung für die Sicherheit innehatte. Im Dezember 2003 beschloss der Regierende Rat die Errichtung eines Sondertribunals, das gegen ranghohe Mitglieder des gestürzten Regimes wegen Völkermords, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermitteln soll. Die Ermittlungen des Tribunals sollen die Zeit zwischen dem 17. Juli 1968, als die Baath-Partei an die Macht kam, und dem 1. Mai 2003, dem Ende der Hauptkampfhandlungen, umfassen, und sie sollen z. B. die Massenexekutionen an irakischen Kurden in den achtziger Jahren sowie Verbrechen gegen den Iran im 1. Golfkrieg und gegen Kuwait im 2. Golfkrieg aufklären. Die Statuten sollen sich am internationalen Recht orientieren, die Verhandlungen sollen öffentlich stattfinden. Der prominenteste Angeklagte vor diesem Tribunal war seit dem 30. Juni 2004 Saddam Hussein. 4.3 Die Suche nach den Massenvernichtungswaffen Bereits Ende April hatten die USA Hunderte Spezialisten in den Irak entsandt, die die Beweise für den Hauptkriegsgrund der Alliierten aufspüren sollten, nämlich die Massenvernichtungswaffen des Hussein-Regimes. Eine Rückkehr der UN-Waffeninspektoren in den Irak oder zumindest eine Zusammenarbeit mit ihnen lehnten die USA ab. Allerdings blieb auch die Suche der US-Spezialisten nach ABC-Waffen oder Hinweisen auf deren Produktion erfolglos. Das Fehlen jeglicher Hinweise auf Massenvernichtungswaffen brachte US-Präsident George W. Bush und den britischen Premierminister Tony Blair in ihren Ländern erheblich unter Druck; beide hatten vor dem Krieg immer wieder auf die von den vermeintlichen irakischen Massenvernichtungswaffen ausgehende Gefahr hingewiesen und den Krieg mit dieser Gefahr gerechtfertigt. Die Glaubwürdigkeit der britischen und der US-Regierung erfuhr zusätzlich Schaden, als sich nach dem Krieg u. a. durch Aussagen von Geheimdienstmitarbeitern die Vermutung erhärtete, dass sowohl Bush als auch Blair offensichtlich falsche Geheimdienstinformationen für die Begründung des Krieges herangezogen und die vom Irak ausgehende Gefahr durch falsche Informationen bzw. unangemessene Gewichtung der Informationen über Gebühr dramatisiert hatten. Als (nachträgliche) Rechtfertigung des Krieges wurde nun insbesondere von Seiten der USA neben dem Sturz des Hussein-Regimes der Kampf gegen den Terrorismus genannt; jedoch gab es auch für die behauptete enge Verbindung zwischen dem irakischen Regime und dem internationalen Terrorismus - und dabei vor allem mit der von den USA immer wieder zitierten al-Qaida - keine zwingenden Beweise. Im Oktober 2003 erklärten die seit April im Irak tätigen US-Waffeninspektoren in einem Zwischenbericht, dass sie keinerlei Massenvernichtungswaffen gefunden hätten, lediglich Hinweise darauf, dass Hussein an der Wiederaufnahme des irakischen Nuklearprogramms interessiert gewesen sei, außerdem Hinweise darauf, dass der Irak an Raketen mit einer größeren als der erlaubten Reichweite gearbeitet habe, und es wurden einige Laboratorien entdeckt, die vor den UN-Inspektoren geheim gehalten worden waren. Trotz dieses negativen Befundes sah die US-Regierung in dem Zwischenbericht eine Bestätigung für die Verletzung der UN-Resolution 1441 durch den Irak und einen weiteren Beleg für die Gefährlichkeit Husseins. Im Januar 2004 trat der Chef der amerikanischen Waffeninspektoren im Irak, David Kay, zurück. Im Rahmen seines Rücktritts äußerte er die Überzeugung, dass der Irak nach dem Ende des 2. Golfkrieges 1991 keine nennenswerten Mengen an biologischen und chemischen Waffen mehr hergestellt habe. Zudem habe z. B. der amerikanische Geheimdienst CIA wenig geeignete Quellen und Mittel der Informationsbeschaffung benutzt und die gewonnenen Informationen zumeist einseitig interpretiert. Angesichts der Erfolglosigkeit der Suche nach Massenvernichtungswaffen und des zunehmenden Zweifels an den Geheimdienstinformationen und an dem Umgang Bushs und Blairs mit diesen Informationen erhöhte sich der Druck auf die beiden, Untersuchungen über das Zustandekommen und die Weiterverwertung der kriegsbegründenden Geheimdienstinformationen zuzulassen. Im Februar 2004 richtete Bush einen entsprechenden Ausschuss ein. Im Mai 2004 räumte US-Außenminister Powell öffentlich ein, dass der CIA und anderen Regierungsbehörden bei ihren Aussagen über die angeblichen Massenvernichtungswaffen im Irak Fehler unterlaufen seien. Es habe sich herausgestellt, dass manche Quellen, auf die sich die CIA und andere Behörden stützten und die die Grundlage für Powells Beweisführung vor dem UN-Sicherheitsrat am 5. Februar 2003 bildeten, ungenau, falsch oder sogar absichtlich irreführend waren. In ihrem Abschlussbericht stellten die US-amerikanischen Waffeninspektoren im Oktober 2004 fest, dass der Irak weder Massenvernichtungswaffen besessen habe, noch die Kapazitäten, sie zu bauen; jedoch habe Hussein offenbar versucht, die Voraussetzungen für ihre Herstellung zu schaffen. Und US-Verteidigungsminister Rumsfeld konstatierte, dass es keine Beweise für eine Verbindung zwischen al-Qaida und Saddam Hussein gäbe. Damit waren die beiden offiziellen Hauptkriegsgründe der USA entkräftet. 4.4 Die Rolle der Vereinten Nationen Wie im Krieg selbst, so waren die USA auch beim Wiederaufbau des Irak nicht bereit, den Vereinten Nationen die entscheidende Rolle zukommen zu lassen, wie sie von zahlreichen Staaten gefordert wurde. Anfang Mai 2003 brachten die USA einen ersten Resolutionsentwurf zum Wiederaufbau des Irak im Sicherheitsrat ein. Der Entwurf stieß jedoch auf Widerspruch, insbesondere was die darin vorgesehene herausragende Stellung der Besatzungsmächte USA und Großbritannien und die nachgeordnete Rolle der Vereinten Nationen anbelangte. Nach einer ganzen Reihe von Nachbesserungen nahm der Sicherheitsrat am 22. Mai 2003 mit 14 Stimmen (bei Abwesenheit Syriens) den von den USA eingebrachten Entwurf als Resolution Nr. 1483 an. Die wichtigsten Punkte der Resolution waren: die Aufhebung aller Sanktionen gegen den Irak (mit Ausnahme des Waffenembargos); die Installierung eines UN-Sonderbeauftragten für den Irak mit deutlich mehr als den ursprünglich von den USA vorgesehenen, auf die Koordination der humanitären Hilfe begrenzten Aufgaben; die Beendigung des ,,Öl-für-Lebensmittel"-Programms sechs Monate nach Verabschiedung der Resolution; die Einrichtung eines durch einen internationalen Beirat überwachten Entwicklungsfonds für den Irak, in den u. a. die Erlöse aus dem Erdölexport fließen und der für humanitäre Zwecke, den Wiederaufbau von Wirtschaft und Infrastruktur und die Kosten der irakischen Zivilverwaltung verwendet werden sollte. Außerdem erkannte die Resolution die USA und Großbritannien de facto als Besatzungsmächte mit weit reichenden Vollmachten an, betonte aber auch mehrmals das Recht des irakischen Volkes, ,,seine eigene Zukunft frei zu bestimmen" und forderte die Besatzungsmächte auf, die Bedingungen dafür zu schaffen. Nach zwölf Monaten sollte die Durchführung der Resolution überprüft werden, d. h., der Status der USA und Großbritanniens als Besatzungsmächte war bis mindestens Mai 2004 festgeschrieben. Als UN-Sonderbeauftragten für den Irak berief UN-Generalsekretär Annan den UN-Menschenrechtskommissar Sergio Vieira de Mello, dem es in der Folgezeit gelang, den Einfluss der Vereinten Nationen auf die Politik der Besatzungsmächte auszuweiten. De Mello fiel jedoch nach nur kurzer Zeit im Amt am 19. August 2003 einem Anschlag zum Opfer; sein Nachfolger als UN-Sonderbeauftragter wurde Ramiro Lopes da Silva, bisher UN-Koordinator für humanitäre Hilfe im Irak. Angesichts der sich verschärfenden Sicherheitslage im Irak begannen die USA und Großbritannien jedoch schon etwa zweieinhalb Monate nach Verabschiedung der Resolution 1483 die Möglichkeit einer neuen Irak-Resolution zu diskutieren, durch die die Verantwortung für die Sicherheit im Irak und die Kosten hierfür auf mehrere Schultern verteilt werden könnten. Denn bisher stellten die USA und Großbritannien die Besatzungstruppen und trugen die Kosten für die Besatzung im Wesentlichen alleine, was in beiden Ländern wachsende Unzufriedenheit hervorrief. Die Kriegsgegner im UN-Sicherheitsrat wie Frankreich, Russland und Deutschland forderten für eine mögliche neue Irak-Resolution aber zugleich auch die Festschreibung einer einflussreicheren Rolle für die Vereinten Nationen im Irak sowie einen festen Zeitplan für die Rückgabe der vollen Souveränität an den Irak. Außerdem drangen sie auf eine internationale Ausschreibung von Wiederaufbauprojekten, die bisher im Wesentlichen alleine amerikanischen und britischen Unternehmen übertragen wurden. Am 14. August 2003 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1500, in der er die Errichtung des Regierenden Rates begrüßte und mit der er die UNUnterstützungsmission UNAMI (United Nations Assistance Mission for Iraq) einrichtete. Im Rahmen dieser Mission, die für zunächst zwölf Monate eingerichtet wurde, werden mindestens 300 Mitarbeiter in den Irak entsandt, die die humanitären Hilfeleistungen koordinieren und in politischen Fragen beraten. Darüber hinausgehende Aufgaben und Verantwortlichkeiten wurden für die Vereinten Nationen nicht vorgesehen. Insbesondere nach dem Anschlag auf das UN-Hauptquartier in Bagdad drängten die USA verstärkt auf eine neue UN-Resolution, die eine multinationale Stabilisierungstruppe im Irak autorisieren sollte; zugleich ließen sie erkennen, dass sie dann den Vereinten Nationen auch eine verantwortungsvollere Rolle im Irak einräumen würden. Auf der anderen Seite wuchs nun auch die internationale Bereitschaft, sich an der Stabilisierung des Irak zu beteiligen, gegebenenfalls auch unter dem Befehl der USA, jedoch unbedingt bei einer gleichzeitigen Ausweitung der Rolle und Verantwortung der Vereinten Nationen. Am 16. Oktober 2003 verabschiedete der Sicherheitsrat schließlich nach langen Diskussionen einstimmig die Resolution Nr. 1511, durch die u. a. die Besatzungstruppen im Irak unter UN-Mandat gestellt wurden, ohne jedoch die Führung durch die USA in Frage zu stellen; die internationale Staatengemeinschaft wurde aufgerufen, sich mit Truppen und finanzieller Hilfe im Irak zu engagieren. Die Rolle der Vereinten Nationen im Irak wurde de facto nur rhetorisch aufgewertet. Und der von Russland, Frankreich und Deutschland geforderte konkrete Zeitplan für die Rückgabe der Souveränität an den Irak wurde durch die Formulierung ,,so rasch wie möglich" ersetzt; lediglich dem Regierenden Rat wurde ein Termin gesetzt, nämlich der 15. Dezember 2003: Bis dahin sollte er einen konkreten Zeitplan für die Ausarbeitung einer Verfassung und nachfolgende Wahlen aufstellen, was jedoch nicht gelang. Erst mit der Resolution 1546 vom 8. Juni 2004, die der Sicherheitsrat ebenfalls erst nach einigen Diskussionen und Änderungen seitens der USA und Großbritanniens verabschiedete, wurde den Vereinten Nationen eine führende Rolle beim politischen Wiederaufbau des Irak zugeschrieben, während sich zugleich die Besatzungsmächte der Verantwortung entledigten und die volle Souveränität an die irakische Übergangsregierung übertrugen ( siehe oben im Abschnitt ,,Politischer Wiederaufbau"). Wochen nach der Übergabe der Souveränität an die irakische Übergangsregierung erklärte UN-Generalsekretär Annan so deutlich wie nie zuvor den Irak-Krieg für illegal; der Krieg sei ohne Zustimmung der Vereinten Nationen geführt worden und damit ein Verstoß gegen die Uno-Charta. Zum weiteren Verlauf siehe Irak, Kapitel ,,Geschichte". Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.