Heinrich von Kleist: Penthesilea (Sprache & Litteratur). Heinrich von Kleists berühmtes Versdrama Penthesilea erschien 1808 und wurde in einer bearbeiteten Fassung im Mai 1876 am Königlichen Schauspielhaus in Berlin uraufgeführt. Das Stück erzählt die Geschichte der Amazonenkönigin Penthesilea und ihrer Kriegerinnen, die während des Trojanischen Krieges in die Kämpfe eingreifen. Im Zentrum der Handlung steht die Hassliebe Penthesileas zu dem griechischen Helden Achilles. In dem hier zitierten 15. Auftritt erzählt sie ihm die Geschichte ihres Stammes. Heinrich von Kleist: Penthesilea Penthesilea: Wohlan! So höre mich. - Wo jetzt das Volk der Amazonen herrschet, Da lebte sonst, den Göttern untertan, Ein Stamm der Skythen, frei und kriegerisch, Jedwedem andern Volk der Erde gleich. Durch Reihn schon nannt er von Jahrhunderten Den Kaukasus, den fruchtumblühten, sein: Als Vexoris, der Äthioper König, An seinem Fuß erschien, die Männer rasch, Die kampfverbundnen, vor sich niederwarf, Sich durch die Täler goß, und Greis' und Knaben, Wo sein gezückter Stahl sie traf, erschlug: Das ganze Prachtgeschlecht der Welt ging aus. Die Sieger bürgerten, barbarenartig, In unsre Hütten frech sich ein, ernährten Von unsrer reichen Felder Früchten sich, Und voll der Schande Maß uns zuzumessen, Ertrotzten sie der Liebe Gruß sich noch: Sie rissen von den Gräbern ihrer Männer Die Fraun zu ihren schnöden Betten hin. Achilles: Vernichtend war das Schicksal, Königin, Das deinem Frauenstaat das Leben gab. Penthesilea: Doch alles schüttelt, was ihm unerträglich, Der Mensch von seinen Schultern sträubend ab; Den Druck nur mäßger Leiden duldet er. Durch ganze Nächte lagen, still und heimlich, Die Fraun im Tempel Mars', und höhlten weinend Die Stufen mit Gebet um Rettung aus. Die Betten füllten, die entweihten, sich Mit blankgeschliffnen Dolchen an, gekeilt, Aus Schmuckgeräten, bei des Herdes Flamme, Aus Senkeln, Ringen, Spangen: nur die Hochzeit Ward, des Äthioperkönigs Vexoris Mit Tanaïs, der Königin, erharrt, Der Gäste Brust zusamt damit zu küssen. Und als das Hochzeitsfest erschienen war, Stieß ihm die Kön'gin ihren in das Herz; Mars, an des Schnöden Statt, vollzog die Ehe, Und das gesamte Mordgeschlecht, mit Dolchen, In einer Nacht, ward es zu Tod gekitzelt. Achilles: Solch eine Tat der Weiber läßt sich denken. Penthesilea: Und dies jetzt ward im Rat des Volks beschlossen: Frei, wie der Wind auf offnem Blachfeld, sind Die Fraun, die solche Heldentat vollbracht, Und dem Geschlecht der Männer nicht mehr dienstbar. Ein Staat, ein mündiger, sei aufgestellt, Ein Frauenstaat, den fürder keine andre Herrschsüchtge Männerstimme mehr durchtrotzt, Der das Gesetz sich würdig selber gebe, Sich selbst gehorche, selber auch beschütze: Und Tanaïs sei seine Königin. Der Mann, des Auge diesen Staat erschaut, Der soll das Auge gleich auf ewig schließen; Und wo ein Knabe noch geboren wird, Von der Tyrannen Kuß, da folg er gleich Zum Orkus noch den wilden Vätern nach. Der Tempel Ares' füllte sich sogleich Gedrängt mit Volk, die große Tanaïs Zu solcher Satzung Schirmerin zu krönen. Gerad als sie, im festlichsten Moment, Die Altarstuf erstieg, um dort den Bogen, Den großen, goldenen, des Skythenreichs, Den sonst die Könige geführt, zu greifen, Von der geschmückten Oberpriesterin Hand, Ließ eine Stimme also sich vernehmen: ,,Den Spott der Männer werd er reizen nur, Ein Staat, wie der, und gleich dem ersten Anfall Des kriegerischen Nachbarvolks erliegen: Weil doch die Kraft des Bogens nimmermehr, Von schwachen Fraun beengt durch volle Brüste, Leicht, wie von Männern, sich regieren würde." Die Königin stand einen Augenblick, Und harrrte still auf solcher Rede Glück; Doch als die feige Regung um sich griff, Riß sie die rechte Brust sich ab, und taufte: Die Frauen, die den Bogen spannen würden, Und fiel zusammen, eh sie noch vollendet: Die Amazonen oder Busenlosen! - Hierauf ward ihr die Krone aufgesetzt. Achilles: Nun denn, beim Zeus, die brauchte keine Brüste! Die hätt ein Männervolk beherrschen können, Und meine ganze Seele beugt sich ihr. Penthesilea: Still auch auf diese Tat ward's, Peleïde, Nichts als der Bogen ließ sich schwirrend hören, Der aus den Händen, leichenbleich und starr, Der Oberpriesterin daniederfiel. Er stürzt', der große, goldene, des Reichs, Und klirrte von der Marmorstufe dreimal, Mit dem Gedröhn der Glocken, auf, und legte, Stumm wie der Tod, zu ihren Füßen sich. - Heinrich von Kleist: Penthesiliea. In: Sämtliche Werke. München 1982, S. 542-544. Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.