Heinrich Graetz: Geschichte der Juden - Anthologie.
Publié le 17/06/2013
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Heinrich Graetz: Geschichte der Juden - Anthologie. Als erster moderner Historiker schrieb Heinrich Graetz aus jüdischer Sicht eine ausführliche Geschichte des Judentums. Sein Werk umfasste elf Bände und erschien von 1853 bis 1876. Für die breite Wirkung des Werks spricht die Herausgabe einer volkstümlichen Ausgabe in drei Bänden 1889 sowie zahlreiche Übersetzungen ins Englische. Und für das anhaltende Interesse spricht ein Reprint des Werks, der 1996 erschien und etwa 6 000 Seiten umfasst. Der folgende Ausschnitt stammt aus dem Kapitel ,,Die europäischen Länder" in Band 5. Heinrich Graetz: Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Die Juden in Europa haben im eigentlichen Sinne des Wortes erst eine Geschichte, seitdem sie durch das Zusammentreffen günstiger Umstände ihre Kräfte entwickeln konnten und Leistungen hervorbrachten, wodurch sie ihren Brüdern im Orient den Vorrang streitig machten. Bis dahin ist nur von Martyrien zu berichten, die sie von der siegreichen Kirche erlitten, und die sich in allen Ländern mit nur geringer Abwechselung monoton wiederholen. Der Sklave, über den sein übermütiger, unbarmherziger Herr die Peitsche schwingt, ist kein Gegenstand der Geschichte. Wer vermöchte auch den Juden in alle Winkel der Erde zu folgen, wohin sie Unglück und Wanderlust geführt haben! ,,Durch die ganze Welt zerstreut," sagt ein berühmter Schriftsteller dieser Zeit von ihnen, ,,durch die ganze Welt zerstreut und geteilt sind die Juden dem römischen Joch unterworfen und leben doch nach ihrem eignen Gesetze". (Cassiodor in Psalmum 58. 12.) Nun, das römische Joch haben sie zwar nicht getragen; denn Rom selbst war unterjocht und geknechtet von naturwüchsigen, rauhen Völkerschaften, welche ihm alle Freveltaten vergalten, die es an Völkern und Ländern verübt hatte. West- und Ostgoten, Gepiden, Heruler und Langobarden rissen der römischen Buhlerin die Krone vom Haupte und traten sie in den Staub. Sie war viel unglücklicher als Jerusalem, da sie nicht einmal Kinder hinterließ, welche um ihr trauriges Geschick weinten und ihren Schmerz dichterisch verklärten. Ihre Kinder, durch Müßiggang und Spiele verweichlicht, waren zu Bettlern herabgesunken. Nur die Herrschsucht war noch der Siebenhügelstadt geblieben, aber sie hatte sie ihrer ehemaligen Feindin, der Kirche, vererbt. Von einigem Interesse ist nur noch, wie sich die Juden in den europäischen Staaten angesiedelt und wie sie unangefochten, friedlich und in freundlichem Verkehr mit ihren Nachbarn gelebt haben, bis sie die siegreiche Kirche immer mehr eingeengt und ihnen die Lebensluft entzogen hat. Im byzantinischen Reiche, im ostgotischen Italien, im fränkischen und burgundischen Gallien, im westgotischen Spanien, überall stoßen wir auf dieselben Erscheinungen. Das Volk, selbst die Barone und Fürsten, sind ganz entfernt von Unduldsamkeit, haben keinerlei Antipathie gegen die Juden, verkehren mit ihnen ohne Vorurteil; aber die höhere Geistlichkeit sah in dem Wohlstand und Behagen der Juden eine Schmälerung des Christentums. Sie will durchaus den Fluch zur Wahrheit machen, den der Stifter des Christentums über die jüdische Nation angeblich ausgesprochen hat, und jeder judenfeindliche, engherzige Gedanke eines Kirchenvaters gegen dieselben soll durch Verkümmerung ihrer Existenz buchstäblich in Erfüllung gehen. Auf Konzilien und Synoden beschäftigt die Geistlichkeit die Judenfrage ebenso lebhaft wie die Dogmenstreitigkeit und die einreißende Verhöhnung der Sittlichkeit, welche, trotz der kirchlichen Strenge und der Kräftigung der Religiosität, (oder vielleicht in Folge derselben) immer mehr unter Geistlichen und Laien überhand nahm. Heinrich Graetz: Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. 5. Band: Vom Abschluss des Talmuds (500) bis zum Aufblühen der jüdischspanischen Kultur (1027). Berlin 1996, S. 34f. Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.
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