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Hegels Versöhnung der Philosophie mit dem Staat und der christlichen Religion

Publié le 22/02/2012

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Hegels Rechtsphilosophie, welche gleichzeitig mit der ersten Vorlesung über die Religionsphilosophie erschien, ist die konkrete Ausführung der prinzipiellen Tendenz zur Versöhnung der Philosophie mit der Wirklichkeit überhaupt: als Staatsphilosophie mit der politischen, als Religionsphilosophie mit der christlichen. In beiden Bereichen versöhnt sich Hegel nicht nur mit der Wirklichkeit, sondern auch in ihr, obschon »im Begreifen«. Auf diesem Höhepunkt seiner Wirksamkeit hat er die wirkliche Welt als eine dem Geist »gemäße« begriffen und andrerseits hat sich der preußisch-protestantische Staat die Philosophie in Hegels Person zu eigen gemacht.114 In der Vorrede zur Rechtsphilosophie erläutert Hegel ausdrücklich-polemisch »die Stellung der Philosophie zur Wirklichkeit«. Hier liegt der problematische Punkt, an dem Marx und Kierkegaard eingesetzt haben mit ihrer These, daß die Philosophie zu verwirklichen sei. Die philosophische Theorie wurde bei Marx zum »Kopf des Proletariats«; bei Kierkegaard wurde das reine Denken zum »existierenden Denker«, denn die bestehende Wirklichkeit schien weder vernünftig noch christlich zu sein. Hegels Staatsphilosophie wendet sich gegen die Meinung, als habe es in der Wirklichkeit noch nie einen vernünftigen Staat gegeben, als sei der wahre Staat ein bloßes »Ideal« und ein »Postulat«.115 Die wahre Philosophie sei als ein »Ergründen des Vernünftigen« ebendamit auch das Erfassen des »Gegenwärtigen und Wirklichen«, aber kein Postulieren von etwas Jenseitigem, von einem Idealstaat, der nur sein soll, aber nie da ist. Den gegenwärtigen preußischen Staat von 1821 begriff er als eine Wirklichkeit im definierten Sinn der Logik, d. i. als unmittelbar gewordene Einheit von innerem Wesen und äußerer Existenz, als eine Wirklichkeit im »emphatischen« Sinne des Wortes.116 In dieser nunmehr erreichten »Reife der Wirklichkeit« - reif also auch zum Untergang — steht der Gedanke der Wirklichkeit nicht mehr kritisch entgegen, sondern als das Ideale dem Realen versöhnt »gegenüber «.117 Die ihrer selbst bewußte Vernunft - die Staatsphilosophie - und die Vernunft als vorhandene Wirklichkeit - als wirklicher Staat - sind miteinander geeint und »in der Tiefe« des substanziellen Geistes der Zeit ein und dasselbe.118 Was aber »zwischen« der Vernunft als selbstbewußtem Geist und der vorhandenen Wirklichkeit liegt, was jene von dieser noch trennt und der Versöhnung widersteht, das er- 59 klärt Hegel so apodiktisch wie unbestimmt als die »Fessel irgendeines Abstraktums, das noch nicht zum Begriff befreit ist«.119 Diesen hiatus irrationalis überbrückt seine Erläuterung zum Begriff der vernünftigen Wirklichkeit mittels der Unterscheidung von »Anschein« und »Wesen«, von »bunter Rinde« und »innerem Puls«,120 von äußerlich zufälliger Existenz und innerlich notwendiger Wirklichkeit. Hegels Ausschluß der nur vorübergehenden, »zufälligen« Existenz aus dem Interesse der Philosophie als einer Erkenntnis der Wirklichkeit kam jedoch auf ihn selber zurück in dem Vorwurf der »Akkommodation« gerade an das vorübergehend Bestehende. Diese Anpassung an die bestehende Wirklichkeit wird in Hegels Begreifen dessen, »was ist«, dadurch verdeckt, daß das »was ist« sowohl das nur noch Bestehende als auch das wahrhaft Wirkliche deckt. Noch wichtiger als die Staatsphilosophie ist für das Verständnis von Hegels Prinzip die Religionsphilosophie. Sie ist kein abzusondernder Teil des ganzen Systems, sondern sein geistiger Schwerpunkt. Hegels Philosophie ist »Weltweisheit«121 und »Gotteserkenntnis«122 in eins, denn ihr Wissen rechtfertigt den Glauben. Er nannte sich von Gott dazu verdammt, ein Philosoph zu sein,123 und die »Sprache der Begeisterung « war ihm ein und dieselbe mit der des »Begriffs«. Das Lesen der Zeitung schien ihm gleichberechtigt dem der Bibel zur Seite zu stehen: »Das Zeitunglesen des Morgens früh ist eine Art von realistischem Morgensegen. Man orientiert seine Haltung gegen die Welt an Gott oder an dem, was die Welt ist. Jenes gibt dieselbe Sicherheit wie hier, daß man wisse, wie man daran sei.« 124 Die wahre Philosophie ist selber schon Gottesdienst, obzwar »auf eigentümliche Weise«, die Geschichtsphilosophie eine Theodizee, die Staatsphilosophie ein Begreifen des Göttlichen auf Erden, die Logik eine Darstellung Gottes im abstrakten Element des reinen Denkens. Die philosophische Wahrheit des Christentums bestand für Hegel darin, daß Christus die Entzweiung des Menschlichen und des Göttlichen zur Versöhnung gebracht hat.125 Diese Versöhnung kann für den Menschen nur deshalb Zustandekommen, weil sie an sich schon in Christus geschah; sie muß aber auch durch uns und für uns selber hervorgebracht werden, damit sie an und für sich zu der Wahrheit wird, die sie ist.126 Diese für Hegel in der Menschwerdung Gottes beglaubigte Einheit der göttlichen und menschlichen Natur überhaupt wurde sowohl für Marx wie für Kierkegaard schlechthin wieder entzweit. Der entschiedene Atheismus von Marx, sein absoluter Glaube an den Menschen als solchen, ist darum von Hegel prinzipiell weiter ent- 60 fernt als von Kierkegaard, dessen paradoxer Glaube die Differenz zwischen Gott und dem Menschen zur Voraussetzung hat. Für Marx ist das Christentum eine »verkehrte Welt«, für Kierkegaard ein weltloses Stehen »vor« Gott, für Hegel ein Sein in der Wahrheit auf Grund der Menschwerdung Gottes. Göttliche und menschliche Natur »in einem«, das sei zwar ein harter und schwerer Ausdruck, aber doch nur solange, als man ihn vorstellungsmäßig hinnimmt und nicht geistig ergreift. In der »ungeheuren Zusammensetzung« »Gottmensch« werde es dem Menschen zur Gewißheit gebracht, daß die endliche Schwäche der menschlichen Natur nicht unvereinbar sei mit dieser Einheit.127 Als »Zustand« angesehen ist die Versöhnung des Irdischen und des Göttlichen das »Reich Gottes«,128 das heißt eine Wirklichkeit, in der Gott als der eine und absolute Geist herrscht. Diese Wirklichkeit im Denken methodisch hervorzubringen, war schon das Ziel des jungen Hegel gewesen,129 und in seiner Geschichte der Philosophie schien es ihm »endlich« erreicht. Das »Reich Gottes« der Religionsphilosophie ist identisch mit dem »intellektuellen Reich« der Geschichte der Philosophie und mit dem »Geisterreich« der Phänomenologie. Die Philosophie ist so im Ganzen dieselbe Versöhnung mit der Wirklichkeit, welche das Christentum durch Gottes Menschwerdung ist, und als die endlich begriffene Versöhnung ist sie eine philosophische Theologie. Durch diese Versöhnung der Philosophie mit der Religion schien Hegel der »Friede Gottes« auf vernünftige Weise hergestellt. Indem Hegel sowohl den Staat wie das Christentum ontologisch aus dem Geist als dem Absoluten begreift, verhalten sich auch Religion und Staat zueinander konform. Er erörtert ihr Verhältnis mit Rücksicht auf ihre Verschiedenheit und im Hinblick auf ihre Einheit. Die Einheit liegt im Inhalt, die Verschiedenheit in der verschiedenen Form des einen und selben Inhalts. Weil die Natur des Staates »göttlicher Wille als gegenwärtiger« ist, ein sich zur wirklichen Organisation einer Welt entfaltender Geist, und weil andererseits die christliche Religion auch nichts anderes zum Inhalt hat als die absolute Wahrheit des Geistes, können und müssen sich Staat und Religion auf dem Boden des christlichen Geistes zusammenfinden, wenngleich sie in der Formung desselben Inhalts in Kirche und Staat auseinandertreten. 130 Eine Religion des bloßen »Herzens« und der »Innerlichkeit«, die gegen die Gesetze und Einrichtungen des Staates und der denkenden Vernunft »polemisch« ist, oder es bloß passiv bei der Weltlichkeit des Staates bewenden läßt, zeuge nicht von der Stärke, 61 sondern von der Schwäche der religiösen Gewißheit. »Der wahre Glaube ist unbefangen, ob die Vernunft ihm gemäß sei oder nicht, ohne Rücksicht und Beziehung auf die Vernunft.«131 Der letztere sei aber »unserer Zeit« eigen und man könne fragen, ob er einem »wahren Bedürfnis« entspringe oder einer »nicht befriedigten Eitelkeit«. Die wahrhafte Religion habe keine negative Richtung gegen den bestehenden Staat, sondern sie anerkennt und bestätigt ihn, so wie andrerseits der Staat die »kirchliche Vergewisserung« anerkennt. Was Kierkegaards extrem polemischem Glaubensbegriff als verwerflicher Kompromiß erschien, war für Hegel eine wesenhafte Übereinkunft.132 »Es ist in der Natur der Sache, daß der Staat seine Pflicht erfüllt, der Gemeinde für ihren religiösen Zweck allen Vorschub zu tun und Schutz zu gewähren, ja, indem die Religion das ihn für das Tiefste der Gesinnung integrierende Moment ist, von allen seinen Angehörigen zu fordern, daß sie sich zu einer Kirchengemeinde halten, - übrigens zu irgendeiner, denn auf den Inhalt, insofern er sich auf das Innere der Vorstellung bezieht, kann sich der Staat nicht einlassen. Der in seiner Organisation ausgebildete und darum starke Staat kann sich hierin desto liberaler verhalten, Einzelheiten, die ihn berühren, ganz übersehen und selbst Gemeinden (wobei es freilich auf die Anzahl ankommt) in sich aushalten, welche selbst die direkten Pflichten gegen ihn religiös nicht anerkennen.« 133 Die philosophische Einsicht erkennt, daß Kirche und Staat im Inhalt der Wahrheit identisch sind, wenn beide auf dem Boden des Geistes stehen. Im christlichen Prinzip des absolut freien Geistes ist die absolute Möglichkeit und Notwendigkeit vorhanden, »daß Staatsmacht, Religion und die Prinzipien der Philosophie zusammenfallen - die Versöhnung der Wirklichkeit überhaupt mit dem Geiste, des Staates mit dem religiösen Gewissen, desgleichen mit dem philosophischen Wissen sich vollbringt«.134 Hegels Philosophie des objektiven Geistes schließt mit dem Satz: »Die Sittlichkeit des Staates und die religiöse Geistigkeit des Staates sind sich so die gegenseitigen Garantien.« Indem Hegel das Christentum absolut und zugleich geschichtlich im Zusammenhang mit der Welt und dem Staate begreift, ist er der letzte christliche Philosoph vor dem Bruch zwischen der Philosophie und dem Christentum. Diesen Bruch haben von zwei entgegengesetzten Seiten her Feuerbach und Kierkegaard festgestellt und vollzogen. Eine Vermittlung der christlichen Dogmatik mit der Philosophie ist nach Feuerbach sowohl im Interesse der Philosophie wie der Religion zu verneinen. 135 Denn wenn man das Christentum in seiner geschichtlich- 62 bestimmten Wirklichkeit nimmt, und nicht als unbestimmte »Idee«, dann ist jede Philosophie notwendig irreligiös, weil sie die Welt mit Vernunft erforscht und das Wunder verneint.136 Im gleichen Sinn hat auch Ruge behauptet, daß alle Philosophie von Aristoteles an »Atheismus « sei,137 weil sie die Natur und den Menschen überhaupt untersucht und begreift. Andererseits kann aber auch das Christentum kein bloßes Moment in der Geschichte der Welt und eine humane Erscheinung sein wollen. — »Philosophie und Christentum lassen sich doch nie vereinen«, beginnt eine Tagebuchaufzeichnung Kierkegaards. Denn wenn ich etwas von dem Wesen des Christentums festhalten will, dann muß sich die Notwendigkeit der Erlösung auf den ganzen Menschen erstrecken und also auch auf sein Wissen. Man kann sich zwar eine Philosophie »nach dem Christentum« denken, d. h. nachdem ein Mensch Christ wurde, aber dann betrifft das Verhältnis nicht das der Philosophie zum Christentum, sondern das des Christentums zur christlichen Erkenntnis — »es sei denn, man wollte haben, daß die Philosophie vor dem Christentum oder innerhalb seiner zu dem Resultat kommen sollte, daß man das Rätsel des Lebens nicht lösen könnte«. Dann würde aber die Philosophie auf der Höhe ihrer Vollendung ihren Untergang involvieren - ja, sie könnte nicht einmal zu einem Übergang zum Christentum dienen, denn sie müßte bei diesem negativen Resultat stehen bleiben. »Überhaupt, hier liegt der gähnende Abgrund: das Christentum statuiert die Erkenntnis des Menschen als mangelhaft auf Grund der Sünde, als berichtigt im Christentum; der Philosoph sucht gerade qua Mensch sich Rechenschaft zu geben von dem Verhältnis Gottes und der Welt; das Resultat kann darum wohl als begrenzt anerkannt werden, insofern der Mensch ein begrenztes Wesen ist, aber zugleich als das größtmögliche für den Menschen qua Mensch.« 138 Der Philosoph muß - christlich beurteilt - »entweder den Optimismus annehmen - oder verzweifeln«, weil er als Philosoph die Erlösung durch Christus nicht kennt.139 Im Gegensatz zu diesem Entweder-Oder hat Hegel die Vernunft aristotelisch vergöttlicht und das Göttliche mit Rücksicht auf Christus bestimmt! Hegels Versöhnung der Vernunft mit dem Glauben und des Christentums mit dem Staat im Elemente der Philosophie war um 1840 zu Ende gekommen. Der zeitgeschichtliche Bruch mit der Hegeischen Philosophie ist bei Marx ein Bruch mit der Staatsphilosophie und bei Kierkegaard mit der Religionsphilosophie, überhaupt mit der Vereinigung von Staat, Christentum und Philosophie. Diesen Bruch hat Feuerbach ebenso entschieden vollzogen wie Marx und B. Bauer nicht 63 minder als Kierkegaard, nur auf verschiedene Weise. Feuerbach reduziert das Wesen des Christentums auf den sinnlichen Menschen, Marx auf die Widersprüche in der menschlichen Welt, Bauer erklärt seinen Hervorgang aus dem Untergang der römischen Welt und Kierkegaard reduziert es, unter Preisgabe des christlichen Staates, der christlichen Kirche und Theologie, kurz seiner ganzen weltgeschichtlichen Realität, auf das Paradox eines verzweifelt-entschlossenen Sprungs in den Glauben. Worauf immer sie. das bestehende Christentum reduzieren, sie destruieren gemeinsam die bürgerlich-christliche Welt und damit auch Hegels philosophische Theologie der Versöhnung. Die Wirklichkeit erschien ihnen nicht mehr im Lichte der Freiheit des Beisichselbstseins, sondern im Schatten der Selbstentfremdung des Menschen. Im klaren Bewußtsein um das volle Ende von Hegels christlicher Philosophie haben Feuerbach und Rüge, Stirner und Bauer, Kierkegaard und Marx als die wirklichen Erben der Hegeischen Philosophie eine »Veränderung« proklamiert, die den bestehenden Staat und das bestehende Christentum entschieden negiert. Ebenso wie die Junghegelianer haben auch die Althegelianer den endgeschichtlichen Sinn von Hegels Lehre begriffen. Sie waren so konsequent, daß sie noch um 1870 alle seit Hegel hervorgetretenen Philosophien als die bloße Nachgeschichte seines Systems verstanden, während die Junghegelianer es mit seiner eigenen Methode zersetzten. Sie alle haben gegenüber den Neuhegelianern den Vorzug, daß sie den Anspruch nicht verkannten, der im »Schluß« der Logik und Phänomenologie, im »System « der Encyclopädie und im »Beschluß« der Geschichte der Philosophie liegt.

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