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Georg Christoph Lichtenberg: Sudelbücher I (Sprache & Litteratur).

Publié le 13/06/2013

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Georg Christoph Lichtenberg: Sudelbücher I (Sprache & Litteratur). Die zwischen 1765 und 1799 entstandenen Kurztexte, die der deutsche Schriftsteller Georg Christoph Lichtenberg in seinen Notizbüchern, den von ihm so genannten Sudelbüchern zusammentrug, gelten als frühes Beispiel der Aphoristik in der deutschen Literatur. Diese Bemerkungen vermischten Inhalts, so der Titel einer 1800 bis 1806 in Auszügen publizierten Ausgabe, versammeln unsystematisch Reflexionen, Beobachtungen und Erkenntnisse des Autors zu allen Bereichen des Lebens und enthalten auch autobiographisches Material. Die geistreichen Aphorismen Lichtenbergs zeigen den Autor als kritisch-skeptischen Chronisten, als vielseitig interessierten Beobachter des Lebens und als unermüdlichen Sammler des kulturellen Wissens seiner Zeit. Georg Christoph Lichtenberg: Sudelbücher I Der große Kunstgriff kleine Abweichungen von der Wahrheit für die Wahrheit selbst zu halten, worauf die ganze Differential-Rechnung gebaut ist, ist auch zugleich der Grund unsrer witzigen Gedanken, wo oft das Ganze hinfallen würde, wenn wir die Abweichungen in einer philosophischen Strenge nehmen würden. [1] Es ist eine Frage ob in den Wissenschaften und Künsten ein Bestes möglich sei, über welches unser Verstand nicht gehen kann. Vielleicht ist dieser Punkt unendlich weit entfernt, ohnerachtet bei jeder Näherung wir weniger vor uns haben. [2] Um eine allgemeine Charakteristik zu Stande zu bringen müssen wir erst von der Ordnung in der Sprache abstrahieren, die Ordnung ist eine gewisse Musik, die wir festgesetzt, und die in wenigen Fällen (z. E. femme sage, sage femme) einen sonderbaren Nutzen hat. Eine solche Sprache die den Begriffen folgt müssen wir erst haben, oder wenigstens für besondere Fälle suchen, wenn wir in der Charakteristik fortkommen wollen. Weil aber unsere wichtigsten Entschlüsse, wenn wir sie ohne Worte denken, oft nur Punkte sind, so wird eine solche Sprache eben so schwer sein zu entwerfen, als die andere, die daraus gefolgert werden soll. [3] Die Gesichter der Menschen sind oft bis zum Ekelhaften häßlich. Warum dieses? Vermutlich konnte die nötige Verschiedenheit der Gemüts-Arten nicht erhalten werden ohne eine solche Einrichtung; man kann dieses als eine Seelen-Charakteristik ansehen, welche zu lesen wir uns vielleicht mehr befleißigen sollten. Um einigen Grund in dieser schweren und weitläuftigen Wissenschaft zu legen müßte man, bei verschiednen Nationen, die größten Männer, die Gefängnisse und die Tollhäuser durchsehen, denn diese Fächer sind so zu reden die 3 Hauptfarben, durch deren Mischung gemeiniglich die übrigen entstehen. [4] Wenn man, wie die Metaphysiker oft verfahren, glaubt man verstehe etwas, das man nicht versteht, so kann man dieses nennen affirmative nescire. [5] Pythagoras konnte einer einzigen Erfindung halber hundert Ochsen opfern, Kepler würde bei seinen vielen Entdeckungen zufrieden gewesen sein, wenn er 2 gehabt hätte. [6] Bei einem großen Genie gehet das in einem Augenblicke vor, was oft bei einem andern ganze Stunden dauert. Ein gewisser Mensch, der eben keine großen Gaben hatte, hielt einen zum Betrug mit der Feder nachgemachten Druck eine ganze Stunde würklich dafür, andere sahen es im ersten Augenblick. [7] Die Elastizität der Körper (und es wird wohl keine völlig harten oder völlig weichen geben) ist gleichsam das Leben derselben, wir bekommen dadurch ein Gefühl ihrer Gegenwart durch das Gehör, Gesicht und öfters das Gefühl, ein Körper, welcher dieses Lebens beraubt ist, würde, unkenntlich und unbrauchbar, seine Lücke ausfüllen. Die elastischen Kräfte der Körper sind die Dolmetscher wodurch sie so zu sagen mit uns sprechen. [8] Es ist schwer anzugeben, wie wir zu den Begriffen gekommen sind die wir jetzo besitzen, niemand, oder sehr wenige werden angeben können, wenn sie den Herrn v. Leibniz zum erstenmal haben nennen hören; weit schwerer aber wird es noch sein, anzugeben, wenn wir zum erstenmal zu dem Begriff gekommen, daß alle Menschen sterben müssen, wir erlangen ihn nicht so bald, als man wohl glauben sollte. So schwer ist es den Ursprung der Dinge anzugeben, die in uns selbst vorgehen, wie wird es erst alsdenn ergehen, wenn wir hierin [etwas] in Dingen außer uns zu Stande bringen wollen? [9] Da schon Herr Goguet leugnet, daß wir die Geometrie dem Nil zu danken hätten, sondern vielmehr der frühzeitigen guten Einrichtung des ägyptischen Staats, der unmöglich [ohne] eine Geometrie lang hätte bestehen können, so ist die Frage ob man würklich durch die Einteilung der Felder auf die Geometrie gekommen sei oder ob man eine schon vorher erfundene Theorie auf die Felder angewendet habe? Diese Einteilung kann freilich nicht ohne Geometrie verrichtet werden, und der dümmste Bauer wird auf geometrische Lehrsätze verfallen, wenn er ein Feld in gleiche Teile teilen wollte. Allein ein Volk kann es hierin sehr weit bringen ohne jemals auf den Satz von der Gleichheit der ? ? zu verfallen. Unsere Kunstgärtner sind keine Geometers, allein sie wissen sich aus allen Fällen oft sehr geschickt zu helfen. Es wäre eine Frage was wohl im gemeinen Leben am geschicktesten die Menschen auf wichtige geometrische Sätze zu führen. Gewiß ist es daß man nicht von der graden Linie darauf gekommen sei. [10] Die Erfindung der wichtigsten Wahrheiten hängt von einer feinen Abstraktion ab, und unser gemeines Leben ist eine beständige Bestrebung uns zu derselben unfähig zu machen, alle Fertigkeiten, Angewohnheiten, Routine, bei einem mehr, als bei dem andern, und die Beschäftigung der Philosophen ist es, diese kleinen blinden Fertigkeiten, die wir durch Beobachtungen von Kindheit an uns erworben haben, wieder zu verlernen. Ein Philosoph sollte also billig als ein Kind schon besonders erzogen werden. [11] Georg Christoph Lichtenberg: Sudelbücher I. Schriften und Briefe. Bd. 1. München 1968. S. 9ff. Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.

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