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Entfremdung - Soziologie.

Publié le 15/06/2013

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Entfremdung - Soziologie. Entfremdung, gestörtes Verhältnis des Menschen zu sich selbst, zu anderen Menschen, der Gesellschaft oder der Arbeit. Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch wird der Begriff in vielfältiger, mitunter widersprüchlicher Weise gebraucht. Als psychiatrischer Fachbegriff meint Entfremdung beispielsweise die selbst verursachte Blockade oder Spaltung persönlicher Gefühle. In der Philosophie stehen die gesellschaftlichen Ursachen der Entfremdung im Vordergrund. Bereits in der antiken, vorchristlichen Philosophie tauchen, obwohl der Begriff selbst fehlt, Beschreibungen von Entfremdungsphänomenen auf. Im Sinn eines ,,Lebens in der Entfernung zu Gott" kann auch die christliche Idee der Sünde als Entfremdung aufgefasst werden. Nach Augustinus entfremdet sich die Menschheit aufgrund ihrer sündigen Natur von Gott. Der modernen Theologie bietet dieser Ansatz die Möglichkeit, traditionelle theologische Inhalte mit der modernen Philosophie und Sozialwissenschaft zu verbinden. Für die moderne Philosophie, insbesondere für den deutschen Idealismus und die Romantik, stellt die Entfremdung den Gegensatz zur Identität dar. Ist diese mit der Idee der Einheitlichkeit bzw. Einheit des Selbst verbunden, so tritt die Entfremdung als deren Gegenteil auf, als Entzweiung, als Zerfallenheit in die einzelnen Momente des Menschseins, die einander fremd werden und zueinander in Widerspruch geraten. Für Georg Wilhelm Friedrich Hegel ist die Entfremdung ein notwendiger, unumgänglicher Prozess auf dem Weg zur Erkenntnis der Wahrheit, eine Distanz zu sich selbst als Sich-Selbst-Fremd-Werden. So erscheint bereits im Prozess der Selbstbeobachtung bzw. Selbstwahrnehmung eine notwendige Entfremdung des Subjekts von sich selber, indem es sich mit sich selbst auseinandersetzt und sich dabei selbst gegenüber tritt, sich selbst zum Objekt wird. Entfremdung erscheint daher auch oft unter der Bezeichnung der Objektivierung oder Objektivation (siehe Verdinglichung). Im weiteren Prozess der dialektischen Entwicklung wird die Entfremdung oder Negation in Richtung auf eine neue Stufe des Bewusstseins oder der Geschichte überwunden. Ludwig Feuerbach begreift Religion und im weiteren Sinn jegliche Ideologie als Entfremdung, da sie die Gattungseigenschaften des Menschen und damit die Entwicklungsmöglichkeiten des Einzelnen als Projektion in ein ideales Wesen (Gott) außerhalb seiner versetzt, wodurch die volle Entfaltung des menschlichen Wesens verhindert wird. Von Hegel inspiriert charakterisiert Karl Marx mit dem Begriff Entfremdung den Umstand, dass im Kapitalismus die Arbeiter keine Kontrolle über Ziele und Methoden des Arbeitsprozesses haben, weil sie durch das Eigentum von den Produktionsmitteln getrennt sind. Arbeit unter dem Diktat der Kapitalbesitzer (entfremdete Arbeit) führt zu Arbeitshetze, Krankheit und Arbeitslosigkeit; aus der Konkurrenz der Arbeitnehmer resultiert ein feindseliges Verhalten untereinander. Daraus entwickelt sich auch eine Abneigung gegen die Arbeit als solche, die doch eigentlich eine ,,Wesensäußerung" des Menschen darstellt. So kommt es zu einer gesellschaftlich verursachten Entfernung des Menschen von sich selbst, der in seiner Existenz nicht das volle Menschsein verwirklichen kann, sondern auf bestimmte, für den Kapitalismus vorteilhafte unmenschliche Eigenschaften reduziert bleibt. Diese für den Marxismus grundlegende Einsicht erfuhr im Lauf der Zeit, insbesondere durch die Verbindung mit der Psychoanalyse und der Existenzphilosophie, zahlreiche neue Interpretationen. So z. B. in der auf Georg Lukács aufbauenden Budapester Schule um Agnes Heller, die den Entfremdungsbegriff mit der Heidegger'schen Philosophie verknüpft oder in der Frankfurter Schule, die vor allem auf der gegenseitigen Durchdringung von Marx und Sigmund Freud aufbaut und neurotische Strukturen als individuellen Ausdruck gesellschaftlicher Entfremdung begreift. Auch die von vielen als Bedrohung, weil als Entmachtung des Menschen aufgefasste, zunehmende Technisierung des modernen Lebens wird als bedeutender Faktor der Entfremdung angesehen. Besonders durch den ideologischen Einfluss der modernen Massenmedien, der Kulturindustrie, tritt die Entfremdung im Lauf des 20. Jahrhunderts immer stärker als Verdinglichung auf. Die mit Søren Kierkegaard einsetzende Existenzphilosophie (Heidegger, Jaspers, Sartre u. a.) baut auf Hegels Konzept der Entfremdung auf, sieht jedoch ebenso wie der Marxismus von ihrer dialektischen Aufhebung ab und lässt vielmehr Entfremdung und Selbst-Entfremdung zu Grundtatbeständen menschlicher Existenz als solcher werden, die sich in verschiedenen Befindlichkeiten und Situationen äußert. Für Sigmund Freud, den österreichischen Arzt und Begründer der Psychoanalyse, erscheint Entfremdung als Selbstentfremdung, verursacht durch die Neurosen und Psychosen verursachende Kluft zwischen den bewussten und den unbewussten Teilen der Seele. In seinen philosophischen und kulturtheoretischen Schriften attestierte Freud diese Form der Entfremdung nicht allein den Individuen, sondern der Gesamtgesellschaft seiner Zeit. Der französische Sozialtheoretiker Émile Durkheim bestimmte Entfremdung dagegen als den Verlust der Bindungskraft gesellschaftlicher und religiöser Tradition. Dadurch kommt es zu Anomien, die die gesellschaftliche Desintegration fördern und bei den Einzelnen die Entfremdungsgefühle bis hin zum Selbstmord steigern können. Die moderne Sozialphilosophie erkennt in der Entfremdung und Verdinglichung häufig den Normalzustand moderner bzw. postmoderner Gesellschaften, der sich nicht nur nicht vermeiden lässt, sondern geradezu eine ihrer Grundbedingungen bildet. Jürgen Habermas nennt diesen Prozess der zunehmenden Entfremdung, in der die Systemwelt immer mehr Gewalt über den lebensweltlichen Alltag gewinnt, die ,,Kolonialisierung der Lebenswelt durch die Systeme": ,,Das Alltagsbewusstsein sieht sich an Traditionen verwiesen, die in ihrem Geltungsanspruch bereits suspendiert sind, und bleibt doch, wo es sich dem Bannkreis des Traditionalismus entzieht, hoffnungslos zersplittert. An die Stelle des falschen tritt heute das fragmentierte Bewusstsein, das der Aufklärung über den Mechanismus der Verdinglichung vorbeugt. Erst damit sind die Bedingungen einer Kolonialisierung der Lebenswelt erfüllt: Die Imperative der verselbständigten Subsysteme dringen, sobald sie ihres ideologischen Schleiers entkleidet sind, von außen in die Lebenswelt - wie Kolonialherren in eine Stammesgesellschaft - ein und erzwingen die Assimilation" (Theorie des kommunikativen Handelns, 1981). Verfasst von: Friedhelm Lövenich Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.

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