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Die Gemeinsamkeit des Prinzips

Publié le 22/02/2012

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Was Goethe an Hegel zusagte, war nicht weniger als das Prinzip seines geistigen Tuns: die Vermittlung zwischen dem Selbstsein und Anderssein, oder mit Goethe gesagt: daß er sich in die Mitte zwischen Subjekt und Objekt gestellt hat, während Schelling die Breite der Natur und Fichte die Spitze der Subjektivität hervorhob.14 »Wo Objekt und Subjekt sich berühren, da ist Leben; wenn Hegel mit seiner Identitätsphilosophie sich mitten zwischen Objekt und Subjekt hineinstellt und diesen Platz behauptet, so wollen wir ihn loben.«15 Ebenso mußte aber auch Hegel die substanzielle Subjektivität von Goethe, den Weltgehalt seines Selbstseins empfinden. Seiner scharfen Kritik an. der gehaltlosen Subjektivität der Romantiker entspricht aufs genaueste Goethes Diagnose der »allgemeinen Krankheit der Zeit«: daß sie unfähig sei, sich ihrer Subjektivität produktiv zu entäußern und sich einzulassen in die gegenständliche Welt.16 Die Mitte zwischen Subjekt und Objekt, zwischen dem Fürsichsein und dem Ansichsein, der Innerlichkeit und der Äußerlichkeit zu finden und zu begründen, war von Hegels erstem Systemfragment an bis zur Logik und Encyclopädie der eigentliche Beweggrund seiner Philosophie der Vermittlung, durch welche die Substanz zum Subjekt und das Subjekt substanziell werden sollte. Ebenso bewegt sich auch Goethes naives Philosophieren um das Problem der Übereinstimmung von Selbst und Welt.17 Von ihrem Widerspruch und seiner Aufhebung handeln - unter dem Titel: subjektive »Idee« und objektive »Erfahrung«, sinnlich »Aufgefaßtes« und »Ideeiertes« - nicht nur die bekannten Erörterungen im Briefwechsel mit Schiller,18 sondern auch vier besondere Aufsätze: »Der Versuch als Vermittler von Objekt und Subjekt«, »Einwirkung der neueren Philosophie «, »Anschauende Urteilskraft« und »Bedenken und Ergebung «. Goethe sagt, der Mensch könne es bei der Betrachtung des Weltalls nicht unterlassen, Ideen zu wagen und Begriffe zu bilden, mit denen er das Wesen Gottes oder der Natur zu begreifen versucht. »Hier tref- 20 fen wir nun auf die eigene Schwierigkeit ..., daß zwischen Idee und Erfahrung eine gewisse Kluft befestigt scheint, die zu überschreiten unsere ganze Kraft sich vergeblich bemüht. Dessen ungeachtet bleibt unser ewiges Bestreben, diesen Hiatus mit Vernunft, Verstand, Einbildungskraft, Glauben, Gefühl, Wahn und, wenn wir sonst nichts vermögen, mit Albernheit zu überwinden. Endlich finden wir, bei regen fortgesetzten Bemühungen, daß der Philosoph wohl möchte recht haben, welcher behauptet, daß keine Idee der Erfahrung völlig kongruiere, aber wohl zugibt, daß Idee und Erfahrung analog sein können, ja müssen.« 19 Der Philosoph, welcher hier gemeint ist, ist Kant, und das Werk, worin dieser den ideeierenden Verstand und die sinnliche Anschauung zur Einheit bringt, die Kritik der Urteilskraft. Von der Kritik der reinen Vernunft dagegen bemerkt Goethe, daß sie völlig außerhalb seines Kreises lag. Beachtenswert scheint ihm an ihr nur, daß sie die »alte Hauptfrage« erneuere: »wieviel unser Selbst und wieviel die Außenwelt zu unserm geistigen Dasein beitrage«. Er selber habe jedoch niemals das eine vom andern gesondert und wenn er nach seiner Weise philosophierte, so habe er es mit unbewußter Naivität getan und geglaubt, seine Meinungen wirklich »vor Augen« zu sehen. 20 Sowohl dichtend wie forschend sei er, gleich der Natur, stets analytisch und auch synthetisch vorgegangen. »Die Systole und Diastole des menschlichen Geistes war mir, wie ein zweites Atemholen, niemals getrennt, immer pulsierend.« Für all dies habe er jedoch keine Worte und noch weniger Phrasen gehabt. In das Labyrinth von Kants Kritik der reinen Vernunft einzudringen, habe ihn bald seine Dichtergabe und bald der Menschenverstand gehindert, obgleich er einige Kapitel zu verstehen glaubte und daraus manches zu seinem Hausgebrauch gewann. Dieses Verhältnis zu Kant änderte sich mit dem Erscheinen der Kritik der Urteilskraft (1790), der er eine »höchst lebensfrohe Epoche« schuldig wurde, weil sie ihn ganz im Sinne seines eigenen Tuns und Denkens die Erzeugnisse der Natur und des menschlichen Geistes, d. i. der Kunst, einheitlich zu begreifen lehrte, so daß sich die ästhetische und theologische Urteilskraft wechselseitig erleuchteten. »Mich freute, daß Dichtkunst und vergleichende Naturkunde so nah miteinander verwandt seien, indem beide sich derselben Urteilskraft unterwerfen.« 21 Zugleich hatte Goethe aber auch ein kritisches Bewußtsein davon, daß seine Nutzung von Kants Untersuchung über die von Kant gezogenen Grenzen hinausging. Auf eine bloß diskursive Urteilskraft wollte sein Sinn nicht beschränkt sein; er nahm für sich eben jenen intuitiven Ver- 21 stand in Anspruch, der für Kant ein intellectus archetypus, d. i. eine Idee war, welche dem Menschenwesen nicht zukommt, »Zwar scheint der Verfasser hier auf einen göttlichen Verstand zu deuten, allein, wenn wir ja im Sittlichen, durch Glauben an Gott, Tugend und Unsterblichkeit uns in eine obere Region erheben und an das erste Wesen annähern sollen: so dürfte es wohl im Intellektuellen derselbe Fall sein, daß wir uns, durch das Anschauen einer immer schaffenden Natur, zur geistigen Teilnahme an ihren Produktionen würdig machten. Hatte ich doch erst unbewußt und aus innerem Trieb auf jenes Urbildliche, Typische rastlos gedrungen, war es mir sogar geglückt, eine naturgemäße Darstellung aufzubauen, so konnte mich nunmehr nichts mehr verhindern, das Abenteuer der Vernunft, wie es der Alte vom Königsberge selbst nennt, mutig zu bestehen.« 22 Eben dies war auch der Punkt, an dem Hegel in seiner Abhandlung über Glauben und Wissen (1802) einsetzte, um aus Kants Kritik der Urteilskraft die Konsequenzen zu ziehen, welche den subjektiven Idealismus aufhoben und den »Verstand« zur »Vernunft« brachten. Beide deuten sich die Urteilskraft als die produktive Mitte, welche zwischen dem Naturbegriff und dem Freiheitsbegriff vermittelt und eine »Region der Identität « sichtbar macht. Denn indem Kant über die »Vernunft in ihrer Realität«, nämlich als objektiv vor Augen stehende Schönheit (in der Kunst) und als Organisation (in der Natur) reflektiere, habe er die wahre Idee der Vernunft auf formale Weise schon ausgesprochen, wenngleich ohne Bewußtsein, daß er sich mit seiner Idee vom intuitiven Verstand auf spekulativem Gebiete befand. In der Tat habe er aber mit der Idee eines urbildlichen Verstandes bereits den Schlüssel zur Enträtselung des Verhältnisses von Natur und Freiheit in Händen gehabt. Diese letzte Idee von Kant haben Hegel wie Goethe — und ebenso Schelling - zum Ausgang genommen. Beide haben das »Abenteuer der Vernunft« gewagt, indem sie sich - über den diskursiven Verstand hinweg - in die Mitte zwischen Selbstsein und Weltsein stellten. Der Unterschied ihrer Vermittlung besteht jedoch darin, daß Goethe die Einheit vonseiten der angeschauten Natur begreift und Hegel vonseiten des geschichtlichen Geistes. Dem entspricht, daß Hegel eine »List der Vernunft« anerkennt und Goethe eine List der Natur. Sie besteht beidemal darin, daß sie das Tun und Lassen der Menschen hinter ihrem Rücken in den Dienst eines Ganzen stellt.

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