Der Unterschied in de, Auslegung
Publié le 22/02/2012
Extrait du document
So sehr die verschiedene Ansicht vom Absoluten - als »Natur« oder
»Geist« - das Verhältnis von Hegel zu Goethe kennzeichnet, bedeutet
es doch keinen Gegensatz im Prinzip, sondern nur einen Unterschied
in der Art seiner Auslegung. Denn wenn Goethe von der Natur
spricht - im Vertrauen, daß sie auch durch ihn spricht -, so bedeutet
sie ihm zugleich die Vernunft alles Lebendigen, so wie die Urphänomene
schön selber eine Vernunft sind, weldie alle Geschöpfe mehr oder
minder durchdringt.23 Und wenn Hegel vom Geist spricht — im Vertrauen,
daß er auch durch ihn spricht —, so begriff er damit zugleich die
Natur als das Anderssein der Idee, während der Geist eine »zweite
Natur« ist. Infolge der Differenz und Gemeinsamkeit konnte Goethe
mit wohlwollender Ironie seine »Urphänomene« dem »Absoluten«
zur freundlichen Aufnahme bei Gelegenheit eines Geschenkes empfehlen.
Vom Absoluten »im theoretischen Sinn« zu reden schien ihm jedoch
unangebracht, gerade weil er es immer im Auge behielt und in
der Erscheinung erkannte.24
Nach einem Besuch von Hegel schrieb Goethe an Knebel, die Unterhaltung
habe in ihm den Wunsch erregt, einmal längere Zeit mit ihm
beisammen zu sein, »denn was bei gedruckten Mitteilungen eines solchen
Mannes uns unklar und abstrus erscheint, weil wir solches nicht
unmittelbar unserm Bedürfnis aneignen können, das wird im lebendigen
Gespräch alsbald unser Eigentum, weil wir gewahr werden, daß
wir in den Grundgedanken und Gesinnungen mit ihm übereinstimmen
und man also in beiderseitigem Entwickeln und Aufschließen sich gar
wohl annähern und vereinigen könnte.« Zugleich wußte sich Goethe
auch von Hegel gebilligt: »Da Ew. Wohlgeboren die Hauptrichtung
meiner Denkart billigen, so bestätigt mich dies in derselben nur um
desto mehr, und ich glaube nach einigen Seiten hin bedeutend gewonnen
zu haben, wo nicht fürs Ganze, doch für mich und mein Inneres.
Möge alles, was ich noch zu leisten fähig bin, sich immer an dasjenige
anschließen, was Sie gegründet haben und auferbauen.«25 Dieser
Satz könnte ebensogut von Hegel an Goethe geschrieben sein, denn in
der Tat schloß sich das geistige Tun des einen an das des andern an.
So groß der Unterschied in der Art und im Umfang ihrer Persönlichkeit,
so reich und bewegt das Leben von Goethe im Verhältnis zu Hegels
prosaischer Existenz war, beide waren stets auf das gründend-Gründliche
aus, indem sie anerkannten »was ist«. Darum verneinten sie die
Prätentionen der Eigenart, welche nur destruktiv, aber nicht welt-
23
bildend ist, weil sie von der Freiheit nur einen negativen Begriff
hat.26
So sehr sich Goethe durch seine freie Beweglichkeit im festen Verfolgen
des Zwecks von Hegels konstruktiver Gewaltsamkeit unterschied:
die Weite ihres machtvollen Geistes erhob sie beide gleichhoch über die
alltägliche Ansicht der Welt. Sie wollten nicht wissen, was die Dinge
für uns sind, sondern erkennen und anerkennen, was sie an und für
sich sind. Wenn Goethe in dem Aufsatz über den Versuch bemerkt,
man müsse wie ein gleichgültiges und gleichsam göttliches Wesen suchen
und untersuchen »was ist« und nicht »was behagt«, so ist das
ganz im Sinne dessen, was Hegel in der Vorrede zur Logik und Encyclopädie
über das reine Denken sagt. Beide haben die theoria, im
ursprünglichen Sinn des reinen Schauens, noch für die höchste Tätigkeit
eingeschätzt.
Das Anschauen des Gegenstands erschloß ihnen zugleich auch ihr eigenes
Wesen, weshalb sie die bloß reflektierende Selbsterkenntnis als unwahr
und unfruchtbar von sich wiesen. »Hierbei bekenn' ich, daß mir
von jeher die große und so bedeutend klingende Aufgabe: erkenne
dich selbst, immer verdächtig vorkam, als eine List geheim verbündeter
Priester, die den Menschen durch unerreichbare Forderungen verwirren
und von der Tätigkeit gegen die Außenwelt zu einer innern
falschen Beschaulichkeit verleiten wollten. Der Mensch kennt nur sich
selbst, insofern er die Welt kennt, die er nur in sich und sich nur in ihr
gewahr wird. Jeder neue Gegenstand, wohl beschaut, schließt ein neues
Organ in uns auf.« :7 Aus denselben Gründen verneint auch Hegel
»das selbstgefällige Sichherumwenden des Individuums in seinen ihm
teuren Absonderlichkeiten«, d. h. in dem, was es als ein je besonderes
Einzelwesen absondert vom allgemeinen Wesen des Geistes und der
Welt.28 Ihr Bildungs- und Existenzbegriff zielt auf eine aus sich heraustretende,
sich objektivierende, welthafte Existenz. Das Sicheinlassen
mit den Phänomenen einer nicht durch Maschinen verstellten, gegenständlichen
Welt kennzeichnet auch Goethes Verbindung mit Hegel
in Sachen der Farbenlehre. Sie war von Anfang an der eigentlich
konkrete Berührungspunkt zwischen beiden, obschon ihnen gerade in
diesem Bereich der Naturphilosophie die Anerkennung und Nachfolge
versagt blieb. Die Art und Weise, wie sie sich über die Probleme des
Lichts und der Farben verständigen, läßt auch am klarsten den Unterschied
ihrer Verfahrungsweise und ihrer Art, sich selbst zu verstehen,
erkennen.29
Im Vordergrund ihres Briefwechsels bekundet sich das Gefühl der ge-
24
genseitigen Förderung, Billigung und Bestätigung, besonders vonseiten
Goethes, der Hegel als einen »wundersam scharf- und feindenkenden«
Mann bezeichnet, dessen Worte zur Farbenlehre geistreich heiter und
durchdringend, wenngleich nicht einem jeden gleich eingänglich seien.
Hegel habe seine Arbeit an den optischen Phänomenen so penetriert,
daß sie ihm selbst nun erst recht durchsichtig geworden seien.30 Die
hintergründige Differenz ihrer Denkweise kommt nur in der Form
einer verbindlichen Ironie zum Vorschein, mittels derer sie sich voreinander
in der Eigentümlichkeit ihrer Methode behaupten. Goethe äußert
den ironischen Abstand in der wohlüberlegten Wahl der Worte
des Briefs vom 7. x. 1820, worin er auf dem Augenscheinlichen seiner
»Idee« besteht und seine Methode des Mitteilens wohl unterscheidet
von einer durchzusetzenden Meinung, sodann in der schon erwähnten
Widmung des Trinkglases, die den Abstand zwischen dem »Absoluten
« und dem »Urphänomen« in konzilianter Weise aufrecht erhält.
Direkter äußert er seinen Vorbehalt in einem von Eckermann überlieferten
Gespräch, welches die Dialektik betraf, von der Goethe argwöhnte,
sie könne dazu mißbraucht werden, das Falsche zum Wahren
zu machen. Der »dialektisch Kranke« lasse sich aber im redlichen Studium
der Natur wieder heilen, denn die Natur sei immer und ewig
wahr und lasse solche Krankheit nicht aufkommen.31
Hegels Ironie äußert sich darin, daß er Goethes erschautes Urphänomen
beharrlich als eine philosophische »Abstraktion« bezeichnet, weil
es aus dem empirisch Verwickelten ein Reines und Einfaches heraushebe.
»Ew. Excellenz wollen Ihr Verhalten in der Verfolgung der
Naturerscheinungen eine naive Weise nennen; ich glaube meiner Fakultät
soviel nachgeben zu dürfen, daß ich die Abstraktion darin erkenne
und bewundere, nach der Sie an der einfachen Grundwahrheit
festgehalten und nun nur den Bedingungen ... nachgeforscht, und
diese bald entdeckt und einfach herausgehoben haben.«32 Goethe habe
damit etwas zunächst bloß Sichtbares, eine vorübergehende Gewißheit
der Sinne, ein »einfaches gesehenes Verhältnis« für sich abgehoben,
»zum Gedanken erhoben« und »ständig« gemacht. Im gleichen Sinn
heißt es in Hegels umständlichem Dankesbrief für das übersandte
Trinkglas: wie der Wein von altersher eine mächtige Stütze der Naturphilosophie
gewesen, indem er den Trinkenden begeistert und also
beweist, »daß Geist in der Natur ist«, so demonstriere auch dies Glas
das geistvolle Phänomen des Lichts. Er wolle daran seinen Glauben
bewähren an die Transsubstantiation »des Gedankens in das Phänomen
und des Phänomens in den Gedanken«. Auch in dem Brief vom
25
24.11. 1821 schreibt Hegel, er habe aus den vielen Machinationen der
andern Farbentheoretiker »nichts verstanden«, bei ihm gehe aber das
Verstehen über alles und das »trockene Phänomen« sei für ihn nichts
weiter als eine erweckte Begierde es zu verstehen, d. h. es geistig zu
begreifen. Eben dies habe aber Goethe (sc. mehr als ihm selber bewußt
sei) durch seinen »geistigen Natursinn« zustande gebracht, indem er
der Natur einen »geistigen Othem« eingeblasen habe und nur dieser
sei überhaupt des Besprechens wert.33 »Das Einfache und Abstrakte,
was Sie sehr treffend das Urphänomen nennen, stellen Sie an die
Spitze, zeigen dann die konkreten Erscheinungen auf, als entstehend
durch das Hinzukommen weiterer Einwirkungsweisen und Umstände
und regieren den ganzen Verlauf so, daß die Reihenfolge von den einfachen
Bedingungen zu den zusammengesetzteren fortschreitet, und,
so rangiert, das Verwickelte nun, durch diese Dekomposition, in seiner
Klarheit erscheint. Das Urphänomen auszuspüren, es von den andern,
ihm selbst zufälligen Umgebungen zu befreien, - es abstrakt, wie wir
dies heißen, aufzufassen, dies halte ich für eine Sache des großen geistigen
Natursinns, sowie jenen Gang überhaupt für das wahrhaft Wissenschaftliche
der Erkenntnis in diesem Felde.« 34 Hegel deutet sich
Goethes Urphänomene unter dem Gesichtspunkt des »Wesens«. Das
Interesse, welches sie für den Philosophen haben können, bestehe darin,
daß sich ein solches »Präparat«, d. i. durch den Geist Herausgehobenes,
geradezu in philosophischem Nutzen verwenden lasse. »Haben
wir nämlich endlich unser zunächst austernhaftes, graues oder
ganz schwarzes — wie Sie wollen — Absolutes, doch gegen Luft und
Licht hingearbeitet, daß es desselben begehrlich geworden, so brauchen
wir Fensterstellen, um es vollends an das Licht des Tages herauszuführen;
unsere Schemen würden zu Dunst verschweben, wenn wir sie
so geradezu in die bunte verworrene Gesellschaft der widerhältigen
Welt versetzen wollten. Hier kommen uns nun E. E. Urphänomene
vortrefflich zustatten; in diesem Zwielichte, geistig und begreiflich
durch seine Einfachheit, sichtlich oder greiflich durch seine Sinnlichkeit,
begrüßen sich die beiden Welten - unser Abstruses und das erscheinende
Dasein einander.« 35 Goethes Urphänomene bedeuten also
für Hegel nicht etwa schon eine Idee, sondern ein geistig-sinnliches
Zwischenwesen, vermittelnd zwischen den reinen Wesensbegriffen und
den zufälligen Erscheinungen der sinnlichen Welt. Noch deutlicher
wird Hegel aber in den darauffolgenden Sätzen, wo er seine Differenz
zu Goethe nicht mehr verhüllt, sondern geradezu ausspricht:
»Wenn ich nun wohl auch finde, daß E. E. das Gebiet eines Uner-
26
forschlichen und Unbegreiflichen ungefähr eben dahin verlegen, wo
wir hausen..., von wo heraus wir Ihre Ansichten und Urphänomene
rechtfertigen, begreifen - ja wie man es heißt, beweisen, deduzieren,
konstruieren usf. — wollen, so weiß ich zugleich, daß E. E., wenn Sie
uns eben keinen Dank dafür wissen können, ja Ihre Ansichten selbst
das Stichelwort: Naturphilosophisch dadurch ankriegen könnten, uns
doch toleranterweise mit dem Ihrigen so nach unserer unschuldigen
Art gebaren lassen, — es ist doch immer noch nicht das Schlimmste, was
Ihnen widerfahren ist, und ich kann mich darauf verlassen, daß E. E.
die Art der Menschennatur, daß wo einer etwas Tüchtiges gemacht,
die anderen herbeirennen und dabei auch etwas von dem ihrigen wollen
getan haben, erkennen. - Ohnehin aber haben wir Philosophen
bereits einen mit E. E. gemeinschaftlichen Feind - nämlich an der Metaphysik.
«
Die Gemeinsamkeit scheint sich so zuletzt auf die Abwehr eines gemeinsamen
Gegners zu reduzieren, auf die Negation jener »verdammt
schlechten Metaphysik« der Physiker (Newton), die nicht zu
einem konkreten Begriff vordringen, sondern den empirischen Fakten
abstrakte Regeln unterstellen. Daß Goethe bei aller Empfänglichkeit
für die »bedeutende Zustimmung« eines so »wichtigen Mannes« der
Vorbehalt in Hegels Anerkennung seines Wollens und Leistens nicht
einfach entgangen sein kann, das deutet sein darauf antwortender
Brief freilich nur durch die Redewendung an von Hegels »freundlichem
Gebaren« mit den Urphänomenen.
In zwei Briefen aus früherer Zeit scheint jedoch ihre methodische
Differenz eine unüberbrückbare Kluft zu sein. Hegel schreibt 1807 an
Schelling über Goethes Farbenlehre: »Ich habe einen Teil derselben
gesehen, er hält sich aus Haß gegen den Gedanken, durch den die andern
die Sache verdorben, ganz ans Empirische, statt über jenen hinaus
zu der andern Seite von diesem, zum Begriffe, überzugehen, welcher
etwa nur zum Durchschimmern kommen wird.« 36 Was Hegel hier
als ein bloßes Durchschimmern des Begriffs bezeichnet, bedeutete für
Goethe ein unverfälschtes Sichoffenbaren der Phänomene, wogegen
ihm Hegels Gottesbeweise als »nicht mehr an der Zeit« 37 und seine
dialektischen Konstruktionen als ein Unwesen erschienen. Er schreibt
1812 mit Bezug auf eine Stelle in Hegels Vorrede zur Phänomenologie,
worin Hegel die Entwicklungsphasen der Pflanze - von der Knospe
zur Blüte und Frucht - als eine Art dialektischer Aufhebung kennzeichnet:
»Es ist wohl nicht möglich, etwas Monströseres zu sagen. Die
ewige Realität der Natur durch einen schlechten sophistischen Spaß
27
vernichten zu wollen, scheint mir eines vernünftigen Mannes ganz unwürdig.
Wenn der irdisch gesinnte Empiriker gegen Ideen blind ist, so
wird man ihn bedauern und nach seiner Art gewähren lassen, ja von
seinen Bemühungen manchen Nutzen ziehen. Wenn aber ein vorzüglicher
Denker, der eine Idee penetriert und recht wohl weiß, was sie
an und für sich wert ist, und welchen höheren Wert sie erhält, wenn
sie ein ungeheures Naturverfahren ausspricht, wenn der sich einen
Spaß daraus macht, sie sophistisch zu verfratzen und sie durch künstlich
sich einander selbst aufhebende Worte und Wendungen zu verneinen
und zu vernichten, so weiß man nicht, was man sagen soll.« 38
Die perspektivische Täuschung, der Goethe in seinem Verhältnis zu
Hegel von seinem Gesichtspunkt aus unterlag, besteht darin, daß die
»Idee«, so wie sie Hegel verstand, kein »Naturverfahren« aussprechen
sollte, sondern ein Verfahren des Geistes. Darunter begriff Hegel
nicht die Vernunft der Natur — die für ihn ohnmächtig, für Goethe
dagegen allmächtig war - sondern die Vernunft der Geschichte und als
das Absolute in der Geschichte des Geistes sah Hegel den Geist des
Christentums an. Der eigentliche Dissensus zwischen Goethe und Hegel
wird daher in ihrer Stellung zum Christentum und zur Geschichte
faßbar.
Liens utiles
- Computerspiele 1 EINLEITUNG Computerspiele, Form der Videospiele, die im Unterschied zu Konsolenspielen auf einem Personal Computer (PC) gespielt werden.
- ESPRIT DE L’UTOPIE (L’), Geist der Utopie, 1918. Ernst Bloch
- VAN DER MEERSCH Maxence : sa vie et son oeuvre
- Le personnage de NATHAN le Sage [Nathan der Weise]
- ORIGINE ET SENS DE L’HISTOIRE [Ursprung und Sinn der Geschichte] de Karl Jaspers (Résumé et analyse)