Claudio Monteverdi - Musik. 1 EINLEITUNG Claudio Monteverdi (1567-1643), italienischer Komponist. Mit seinen Leistungen auf dem Gebiet der neuen Gattung Oper und seinen kompositorischen Neuerungen, die einen Paradigmenwechsel in der Geschichte der abendländischen Musik einleiteten, ist er die bedeutendste Persönlichkeit an der Epochenschwelle von der Musik der Renaissance zur Barockmusik. 2 FRÜHWERK Monteverdi wurde am 15. Mai 1567 in Cremona getauft. Er entstammte einer angesehenen Familie und war bis 1590 Schüler des Domkapellmeisters Marco Antonio Ingegneri aus Verona. Im Alter von 15 Jahren veröffentlichte er sein erstes Werk, die Sacrae cantiunculae (1582); danach erschienen in rascher Folge die Madrigali spirituali (1583) und die Canzonette a tre (1584). In der Folgezeit absolvierte Monteverdi eine Ausbildung in Gesang und auf mehreren Instrumenten. Bis 1605 hatte er fünf Bücher seiner Madrigale komponiert. In diesen zeigt sich der musikgeschichtlich revolutionäre Übergang von der polyphonen A-cappella-Tradition des 16. Jahrhunderts in den ersten beiden Büchern (1587 und 1590), die deutlich von Luca Marenzio beeinflusst waren, zu den neuen Prinzipien der Florentiner Camerata im dritten und vierten Buch (1592 und 1603). Diese stehen unter dem Einfluss des großen niederländischen Komponisten Giaches de Wert, mit dem Monteverdi in Kontakt kam, als er 1590 als Violaspieler in den Dienst des Herzogs von Mantua trat, dessen Hofkapelle de Wert leitete. Mit einem bis dahin nicht gekannten Reichtum kompositorischer Mittel in Melodik, Harmonik, Verwendung des ,,stile recitativo", Chorbehandlung und Einsatz der Instrumente schuf Monteverdi in seinen fünf Madrigalbüchern eine neue, eigenständige Musiksprache (in ihrer Vollendung im fünften Buch, 1605), die die europäische Musik bis in die Anfänge des 18. Jahrhunderts entscheidend prägte. 1595 begleitete Monteverdi seinen Herrn Vincenzo Gonzaga als provisorischer ,,maestro di cappella" auf einem Feldzug gegen die Türken nach Ungarn. In gleicher Funktion folgte er 1599 Vincenzo Gonzaga in die Schweiz und nach Belgien, wo er die neueste französische Musik kennen lernte. 1601 wurde Monteverdi endlich offiziell zum Hofkapellmeister in Mantua ernannt. 3 DIE ERSTE OPER DER MUSIKGESCHICHTE 1607 schrieb Monteverdi in Mantua mit L'Orfeo sein erstes musiktheatralisches Werk (Text von Alessandro Striggio). Diese Oper, die alle früheren musikdramatischen Versuche hinter sich ließ, war einer der wichtigsten Entwicklungsschritte in der Geschichte dieser Gattung: In L'Orfeo gelang es dem Komponisten, die Oper als eine ernsthafte Form des musikalischen und theatralischen Ausdrucks zu etablieren. Monteverdi hatte erst verhältnismäßig spät zur dramatischen Form gefunden, nachdem er in seinen fünfstimmigen Madrigalen alle neuen Elemente der vokalen und instrumentalen Formen herausgebildet hatte. Das Publikum nahm L'Orfeo begeistert auf. Sein nächstes Bühnenwerk, L'Arianna (1608, Text von Ottavio Rinuccini), festigte Monteverdis Bedeutung als Opernkomponist. Die Musik der Arianna ist jedoch bis auf das Lamento der Arianna (Lasciatemi morire) nicht erhalten. Für Hochzeitsfeierlichkeiten am Hof von Mantua schrieb Monteverdi mit Il Ballo delle Ingrate (1608; Der Tanz der Spröden, Text von Ottavio Rinuccini) ein ,,Ballet de cour" nach französischem Vorbild, bei dem die kurze Handlung nur als Aufhänger für einen Zyklus von Tänzen dient. 4 SECONDA PRATICA Schon im Jahr 1600 hatte Giovanni Artusi die neue Harmoniesprache Monteverdis in einer Abhandlung heftig kritisiert, da sie die Grenzen des polyphonen Gleichmaßes überschritten habe. 1607 rechtfertigte sich Monteverdi gegen Artusi und definierte seine neue, dramatisch expressive Musik gegenüber dem alten Stil der prima pratica als seconda pratica, in der ,,das Wort die Herrin der Harmonie, nicht ihr Diener" sei. Zugleich betonte er sein musikdramatisches Ziel, den affektiven Gehalt eines Textes musikalisch möglichst präzise und charakteristisch zu übermitteln - nicht als trockene Deklamation, sondern in intensiver dramatischer Belebung. Monteverdis bedeutendste Leistungen als Opernkomponist liegen zum einen in der Verbindung der für die seconda pratica typischen Chromatik mit dem monodischen Stil des Vokalsatzes, der von Iacopo Peri und Giulio Caccini entwickelt worden war. Zum anderen setzte er das Prinzip einer von sorgsam ausgewählten Texten ausgehenden, dramatisch gesteigerten musikalischen Affektdarstellung durch, die er auf eine neue, bislang unbekannte Höhe führte. Wo die Möglichkeit menschlicher Affekte nicht gegeben war, verzichtete er lieber auf eine Vertonung. So lehnte er 1616 einen Auftrag aus Mantua ab, Scipione Agnellis Le nozze di Teti e Peleo zu vertonen, weil in diesem Text die Winde als handelnde Personen aufträten: ,,Wie kann ich die Sprache der Winde imitieren, wenn sie nicht sprechen?" 5 VENEZIANISCHE ZEIT Trotz des europäischen Ruhmes, den er durch seine Kompositionen bis dahin errungen hatte, wurde Monteverdis Bedeutung durch seinen Dienstherrn in Mantua wenig gewürdigt. Nach dem Tod Vincenzo Gonzagas wurde er von dessen Nachfolger entlassen. 1613 nahm er eine Berufung zum Domkapellmeister an der Markuskirche in Venedig an, eine der bedeutendsten Stellen im damaligen italienischen Musikleben. Von dieser Zeit an schrieb er mehrere Opern (von denen jedoch viele verloren sind), Motetten, Madrigale, Magnifikats und Messen. In seinem kirchenmusikalischen Werk setzte er verschiedene Stile ein, von der Polyphonie der alten Schule in der Sanctissimae virginis missa (...) ac vesperae (...) (1610; Marienvesper) bis zur opernhaften, virtuosen Vokalmusik in antiphonischen Chorwerken, die er aus den Werken seiner Vorläufer in Venedig, Andrea und Giovanni Gabrieli, entwickelte. In seinem sechsten, siebten, achten und neunten Madrigalbuch (1614-1638) entfernte sich Monteverdi noch weiter vom Renaissance-Ideal einer Polyphonie mit gleichwertigen Stimmen und näherte sich neueren Stilrichtungen an, die eine persönliche, dramatische Deklamation betonen. Im Vorwort zum achten Madrigalbuch gab Monteverdi eine Art Quintessenz seiner Affektenlehre und musikalischen Ästhetik. Trotz der Verpflichtung zu liturgischen Kompositionen blieb Monteverdis Hauptinteresse auf das weltliche Schaffen gerichtet. 1624 entstand das szenische Oratorium Il Combattimento di Tancredi e Clorinda (nach Torquato Tasso), in dem in den Kampfszenen die Instrumentalmusik zum zentralen Träger des Ausdrucks wurde, wofür Monteverdi z. B. Spieltechniken wie tremolo und pizzicato nutzte. Die Eröffnung der von den adeligen Familien Venedigs finanzierten, öffentlichen Opernhäuser im Jahr 1637 veranlasste Monteverdi dann zur Komposition zahlreicher Opern, von denen nur Il ritorno d'Ulisse in patria (1640; Die Heimkehr des Odysseus, Text von Giacomo Badoardo) und L'incoronazione di Poppea (1642; Die Krönung der Poppea, Text von Gian Francesco Busenello) erhalten sind. Diese Opern enthalten Szenen von großer dramatischer Intensität, in denen Gesang und Orchestermusik die Gedanken, Affekte und Empfindungen der Charaktere widerspiegeln. Geschlossene Formen wechseln mit freier Monodie; das Orchester ist in der ganzen Fülle seiner Klangmöglichkeiten genutzt und steht im Dienst des Dramas. Die Personen werden so, vor allem in L'incoronazione di Poppea, zu mehrschichtigen Charakteren. Die Oper entwickelte sich durch Monteverdis musikalische Charakterisierungskunst zu einer Welt der Kontraste, des Sich-Verstellens und des Aufeinander-Einstellens. Monteverdi nahm damit weitgehend den italienischen Vokalstil des späten 17. Jahrhunderts voraus: Viele der nachfolgenden Opernkomponisten wurden durch Monteverdis Spätwerke beeinflusst, die noch heute zum Repertoire gehören. Monteverdi starb nach einer letzten Reise zu seinen alten Wirkungsstätten Mantua und Cremona als hoch angesehener, weithin berühmter Komponist am 29. November 1643 in Venedig. 6 NACHWIRKUNG Trotz seines großen Ruhms zu Lebzeiten verschwanden Monteverdis Werke schon bald nach seinem Tod aus dem Musikleben. Erst im späten 20. Jahrhundert wurde er als einer der bedeutendsten Komponisten seiner Zeit und der gesamten Operngeschichte wiederentdeckt, wobei verschiedenste Bearbeitungen seine Werke an die moderne Aufführungspraxis anzupassen versuchten (von Carl Orff über Luigi Dallapiccola bis zu Hans Werner Henze). Vor allem Nikolaus Harnoncourt leitete durch exemplarische Aufführungen der originalen Werke in den sechziger Jahren in Wien und durch einen Monteverdi-Zyklus in Zürich (zusammen mit Jean-Pierre Ponnelle) in den siebziger Jahren eine triumphale Renaissance des Musikdramatikers Monteverdi ein. Seither fanden die Opern Monteverdis wieder einen festen Platz im Repertoire der großen Opernhäuser. Auch das Madrigalschaffen rückte erst mit dem Erscheinen der 16-bändigen Gesamtausgabe ab 1926 wieder ins Bewusstsein und nimmt seither den ihm gebührenden Platz ein. Verfasst von: Krämer, Jörg und Theilacker, Jörg Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.