Alfred Brehm: Der Haussperling als Kulturfolger - Biologie.
Publié le 09/06/2013
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Alfred Brehm: Der Haussperling als Kulturfolger - Biologie. Nur wenige einheimische Tiere haben in der Öffentlichkeit einen ähnlichen Bekanntheitsgrad wie Sperlinge oder ,,Spatzen". Alfred Brehm widmet dem Haussperling daher ein ausführliches Kapitel. Obwohl für ,,Tiervater Brehm" bei der Darstellung von Tieren deren unmittelbarer Nutzen für den Menschen stets ein wichtiger Gesichtspunkt ist, kann er seine Sympathie für den ,,unerträglichen Schwätzer" und ,,erbärmlichen Sänger" nicht verhehlen. Alfred Brehm: Der Haussperling als Kulturfolger Auch den Haussperling lehrt uns W. M a r s h a l l als ,,Kulturfolger" kennen. ,,Der populärste deutsche wilde Vogel", schreibt unser Gewährsmann, ,,ist für unser Vaterland eine verhältnismäßig neue Errungenschaft. Der Haussperling gehört zum Getreidebau in dem Grade fast wie der Hamster: in Sibirien zeigte er sich erst im vorigen Jahrhundert, nachdem die Russen die Kulturgräser eingeführt hatten; in Norwegen geht er mit dem Baue der Feldfrüchte bis zum 66. Grade, in Archangel kommt er noch nicht vor; erst in diesem Jahrhundert fing er an, in einige Dörfer des Thüringer Waldes einzuwandern, ist aber noch nicht in allen seßhaft, und gerade so verhält es sich mit ihm auch in den Hebriden; 1864 hatte er noch nicht alle hochgelegenen Ortschaften des Schwarzwaldes erreicht. Aber er versucht es, dem Menschen überallhin zu folgen. - - Es ist so, wie der prächtige M'G i l l i v r a y sagt: Ein Städtchen ohne Sperlinge macht einen so traurigen Eindruck wie ein Haus ohne Kinder, und viele Spatzen in einer Ortschaft sind ein Beweis ihres Wohlstandes, denn wo es wenig zu brocken gibt, da gibt es auch wenig zu betteln. (...) Bezeichnend für den Sperling ist, daß er überall, wo er vorkommt, in innigster Gemeinschaft mit dem Menschen lebt. Er bewohnt die volksbewegte Hauptstadt wie das einsame Dorf, vorausgesetzt, daß es von Getreidefeldern umgeben ist, fehlt nur einzelnen Walddörfern, folgt dem vordringenden Ansiedler durch alle Länder Asiens, welche er früher nicht bevölkerte, siedelt sich, von Schiffen ausfliegend, auf Inseln an, woselbst er früher unbekannt war, und verbleibt den Trümmern zerstörter Ortschaften als lebender Zeuge vergangener glücklicherer Tage. Standvogel im vollsten Sinne des Wortes, entfernt er sich kaum über das Weichbild der Stadt oder die Flurgrenze der Ortschaft, in welcher er geboren wurde, besiedelt aber ein neugegründetes Dorf oder Haus sofort und unternimmt zuweilen Versuchsreisen nach Gegenden, welche außerhalb seines Verbreitungsgebietes liegen. So erscheinen am Varanger Fjord fast alljährlich Sperlingspaare, durchstreifen die Gegend, besuchen alle Wohnungen, verschwinden aber spurlos wieder, weil sie das Land nicht wirtlich finden. Äußerst gesellig, trennt er sich bloß während der Brutzeit in Paare, ohne jedoch deshalb aus dem Gemeinverbande zu scheiden. Oft brütet ein Paar dicht neben dem anderen, und die Männchen suchen, so eifersüchtig sie sonst sind, auch wenn ihr Weibchen brütend auf den Eiern sitzt, immer die Gesellschaft von ihresgleichen auf. Die Jungen schlagen sich sofort nach ihrem Ausfliegen mit anderen in Trupps zusammen, welche bald zu Flügen anwachsen. Sobald die Alten ihr Brutgeschäft hinter sich haben, finden auch sie sich wieder bei diesen Flügen ein und teilen nunmehr mit ihnen Freud und Leid. Solange es Getreide auf den Feldern gibt oder überhaupt solange es draußen grün ist, fliegen die Schwärme vom Dorfe aus alltäglich oder mehrmals nach der Flur hinaus, um dort sich Futter zu suchen, kehren aber nach jedem Ausfluge ins Dorf zurück. Hier halten sie ihre Mittagsruhe in dichten Baumkronen oder noch lieber in den Hecken, und hier versammeln sie sich abends unter großem Geschreie, Gelärme und Gezänke, entweder auf dicht belaubten Bäumen oder später in Scheunen, Schuppen und anderen Gebäuden, die Orte ihnen zur Nachtherberge werden müssen. Im Winter bereiten sie sich förmliche Betten, weich und warm ausgefütterte Nester nämlich, in die sie sich verkriechen, um sich gegen die Kälte zu schützen. Zu gleichem Zwecke wählen sich andere Schornsteine zur Nachtherberge, ganz unbekümmert darum, daß der Rauch ihr Gefieder berußt und schwärzt. So plump der Sperling auf den ersten Blick erscheinen mag, so wohlbegabt ist er. Er hüpft schwerfällig, immerhin jedoch noch schnell genug, fliegt mit Anstrengung, unter schwirrender Bewegung seiner Flügel, durch weite Strecken in flachen Bogenlinien, sonst geradeaus, beim Niedersitzen etwas schwebend, steigt, so sehr er erhabene Wohnsitze liebt, ungern hoch, weiß sich aber trotz seiner anscheinenden Ungeschicklichkeit vortrefflich zu helfen. Geistig wohlveranlagt, hat er sich nach und nach eine Kenntnis des Menschen und seiner Gewohnheiten erworben, die erstaunlich, für jeden schärferen Beobachter erheiternd ist. Überall und unter allen Umständen richtet er sein Thun auf das genaueste nach dem Wesen seines Brotherrn, ist daher in der Stadt ein ganz anderer als auf dem Dorfe, wo er geschont wird, zutraulich und selbst zudringlich, wo er Verfolgungen erleiden mußte, überaus vorsichtig und scheu, verschlagen immer. Seinem scharfen Blick entgeht nichts, was ihm nützen, nichts, was ihm schaden könnte; sein Erfahrungsschatz bereichert sich von Jahr zu Jahr und läßt zwischen Alten und Jungen seiner Art Unterschiede erkennen, wie zwischen Weisen und Thoren. Ebenso, wie mit dem Menschen, tritt er auch mit anderen Geschöpfen in ein mehr oder minder freundliches Verhältnis, vertraut oder mißtraut dem Hunde, drängt sich dem Pferde auf, warnt seinesgleichen und andere Vögel vor der Katze, stiehlt dem Huhne, unbekümmert um die ihm drohenden Hiebe, das Korn vor dem Schnabel weg, frißt, falls er es thun darf, mit den verschiedenartigsten Tieren aus einer Schüssel. Ungeachtet seiner Geselligkeit liegt er doch beständig mit anderen gleichstrebenden im Streite, und wenn die Liebe, die sich bei ihm zur heftigsten Brunst steigert, sein Wesen beherrscht, kämpft er mit Nebenbuhlern so ingrimmig, daß man glaubt, ein Streit auf Leben und Tod solle ausgefochten werden, obschon höchstens einige Federn zum Opfer fallen. Nur in einer Beziehung vermag der uns anziehende Vogel nicht zu fesseln. Er ist ein unerträglicher Schwätzer und ein erbärmlicher Sänger. (...) Über Nutzen und Schaden des Sperlings herrschen sehr verschiedene Ansichten; doch einigt man sich neuerdings mehr und mehr zu der Meinung, daß der auf Kosten des Menschen lebende Schmarotzer dessen Schutz nicht verdiene. In den Straßen der Städte und Dörfer verursacht er allerdings keinen Schaden, weil er sich hier wesentlich vom Abfalle ernährt; auf großen Gütern, Kornspeichern, Getreidefeldern und in Gärten dagegen kann er empfindlich schädlich werden, indem er dem Hausgeflügel die Körnernahrung wegfrißt, das gelagerte Getreide brandschatzt und beschmutzt, in den Gärten endlich die Knospen der Obstbäume abbeißt und später auch die Früchte verzehrt. In Gärten und Weinbergen ist er daher nicht zu dulden. Brehms Tierleben. Allgemeine Kunde des Tierreichs. Vögel, Band 2. Leipzig 1893, S. 263-267. 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