Sujet 4 ♦ Sujet national, juin 2005, L, LVI Literatur und Kritik Marcel Reich-Ranicki war lange Zeit verantwortlich für die...
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Sujet 4
♦ Sujet national, juin 2005, L, LVI
Literatur und Kritik
Marcel Reich-Ranicki war lange Zeit verantwortlich für die Literaturseiten der ,,Frankfurter Allgemeinen Zeitung':
Ich wolte, wie jeder Kritiker, erziehen, doch nicht die Schriftsteller.
Ich hatte vielmehr das Publikum im Auge.
Um es· ganz einfach zu sagen: Ich wolte den Leser~ erklaren, warum die Bücher, die
ich für gut und schon halte, gut und schon sind, ich wolte sie dazu bringen, diese Bücher zu lesen.
lm Sommer 1987 besuchten mich zwei Herren vom Zweiten Deutschen Fernsehen.
Ob ich Lust
s hatte, für das ZDF eine regelma.Bige Literatursendung zu machen? Ich sagte mit Entschiedenheit:
Nein.
Aber die Herren überhorten meine Antwort.
Hingegen wollten sie wissen, ob und wie ich
mir eine solche Sendung vorstelle.
lch dachte mir: Ich werde verschiedene Bedingungen stellen,
bis die Herren resigniert aufgeben.
Es solle, sagte ich provozierend, jede Sendung mindestens 60
Minuten dauern, besser 75.
In dieser Sendung, sagte ich, dürfe es weder Bild- noch Filmeinblen10 dungen 1 geben, keine Lieder oder Chansons, keine Szenen aus Romanen, keine Schriftsteller, die
aus ihren Werken vorlasen oder, in einem Park spazieren gehend, diese Werke erklarten.
Auf dem
Bildschirm sollten nur die vier Personen zu sehen sein, die ihre Meinung über Bücher auBern und,
wie zu erwarten, sich auch streiten würden.
lch hatte es gewagt, gegen das Gesetz 2 des Fernsehens,
gegen die Dominanz des Visuellen zu rebellieren.
Es war klar: Dies würden die beiden Herren
1s nicht akzeptieren.
Gespannt wartete ich auf ihre Reaktion.
Die zwei Herren atmeten durch die
Nase tief ein, und erklarten leise: ,,Einverstanden."
Am 25.
Marz 1988 wurde ,,Das literarische Quartett" zum ersten Mal ausgestrahlt.
Was wollte ich mit dieser Sendung erreichen? Das ,,Quartett" sollte vermitteln 3 zwischen den
Schriftstellern und den Lesern, der Kunst und der Gesellschaft, der Literatur und dem Leben.
20 War es eine Unterhaltungssendung 4 über Literatur, die ich geplant hatte? Nein, das war nicht
mein Ziel, aber wenn das ,,Quartett" viele Zuschauer amüsiert, dann freut mich das.
In der Tat,
wir wollen auch unterhalten.
Es ist nicht unsere Aufgabe, Bücher zu behandeln, weil sie im Gesprach sind.
Aber wir sehen es gern, wenn die Bücher, die wir behandeln, ins Gesprach kommen.
Wir folgen nicht den Bestsellerlisten.
Aber wir sind zufrieden, wenn die Bücher, die wir empzs fehlen,auf den Bestsellerlisten e;scheinen.
Zum Publikum des ,,Literarischen Quartetts" gehoren
neben Lesern und Kennern der Literatur auch Menschen, die von Literatur nichts wissen wollen.
Manchmal sehen sie uns dennoch zu, wohl deshalb, weil sie SpaB an unseren Gesprachen haben
und vielleicht auch an unserem Streit.
Anscheinend lesen diese Zuschauer - oft selber von ihrem
1.
die Einblendung, cf einblenden : insérer.
2.
das Gesetz: la loi.
3.
vermitteln: servir de médiateur.
4.
die Unterhaltungssendung, cf unterhalten: divertir.
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plotzlich erwachten Interesse überrascht - das eine oder andere Buch, das wir besprochen haben.
Ich will nicht verheimlichen 5 , da.E mir gerade diese Zuschauer besonders wichtig sind.
Viel wird dem ,,Quartett" vorgeworfen.
Am haufigsten hort man, die Sendung sei banal, populistisch, nichts werde hier wirklich begründet, dagegen werde alles vereinfacht.
Solche Vorwürfe
und noch vide andere sind nur sehr berechtigt.
Da jedes Mal von fünf Büchern die Rede ist,
stehen für jedes vierzehn bis fünfzehn Minuten zur Verfügung, und so für jeden der vier Teilnehmer etwa dreieinhalb Minuten pro Titel.
In diesen dreieinhalb Minuten soll etwas über den
Autor gesagt werden, über das Thema und die problematik seines neuen Buches, über dessen Motive und Personen, über die künstlerischen Mittel und manchmal auch über bestimmte aktuelle
Apekte.
Wir konnen nur kurz sagen, welchen Eindruck die Bücher auf uns gemacht haben, und
was unserer Ansicht nach an ihnen gut oder schlecht ist.
Lohnt sich das? Wie man hort, hat es in
der Geschichte des deutschen Fernsehens noch keine Sendung gegeben, die auf den Verkauf von
literarischen Werken einen so direkten und so starken EinflùB gehabt hatwie das ,,Quartett".
Aber
gehort denn dies zu den Aufgaben oder sogar Pflichten der Kritik?
Nach Marcel Reich-Ranicki, Mein Leben, 1999.
1.
Compréhension et expression
1.
Schreiben Sie jeweils die richtige Antwort ab.
a) Der Autor ist / Dichter / Nachrichtensprecher / Literaturkritiker / Reporter.
b) 1987 bot man ihm an, / ein Buch zu schreiben / eine Fernsehsendung zu leiten / die Kritik
einer Sendung zu machen / eine Literaturzeitschrift zu gründen.
2.
Richtig oder falsch? Rechtfertigen Sie jeweils Ihre Antwort mit einem Zitat aus dem Text.
Beispiel: 1987 bekam der Erzahler ein Angebot von der ,,Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Falsch.
Zitat: ,,Ob ich Lust hatte, für das ZDF, eine regelmafüge Literatursendung zu machen?"
a) Der Erzahler wünschte schon lange, eine regelmafüge literarische Sendung zu machen.
b) Der Erzahler war sii:;her, dass er Dinge verlangte, die nicht zu realisieren waren.
c) Typisch für ,,Das literarische Quartett" ist, dass die Autoren selber nicht eingeladen werden.
d) Die Diskussionen werden oft durch Bilder oder Musik unterbrochen.
e) Über jedes Buch kann stundenlang diskutiert werden.
f) ,,Das literarische Quartett" wendet sich nur an eine interessierte Minderheit.
g) Das Publikum genieBt den immer harmonischen und ruhigen Ton der Diskussionen.
h) Auch Leute, die sonst nicht so gern lesen, lassen sich von dieser Sendung beeinflussen.
3.
Wie sind folgende Satze zu verstehen? Schreiben Sie jeweils die richtige Antwort ab.
a) ,,Aber die Herren überhorten meine Antwort."
5.
verheimlichen: cacher.
- Die Herren verstanden die Antwort nicht.
- Die Herren wollten die Antwort nicht hôren.
- Die Herren konnten die zu leise gesprochene Antwort nicht horen.
b) ,,Die zwei Herren atmeten durch die Nase tief ein, und erklarten leise: 'Einverstanden'."
- Die zwei Herren akzeptierten Reich-Ranickis Bedingungen, obwohl es ihnen schwer fiel.
- Die zwei Herren akzeptierten begeistert Reich-Ranickis Bedingungen.
- Die zwei Herren konnten auf keinen Fall solche Bedingungen akzeptieren.
c) ,,Es ist nicht unsere Aufgabe, Bücher zu behandeln, weil sie im Gesprach sind."
- Kritiker sollen bekannte Bücher besprechen.
- Kritiker haben nicht über Bestseller zu sprechen.
- Kritiker sollen nur Gesprache über aktuelle Themen führen.
4.
Inwiefern sind Reich-Ranickis Erklarungen als Provokation zu interpretieren? (mindestl:?ns 60
Wôrter)
S.
,,Ich will nicht verheirnlichen, daE mir gerade diese Zuschauer besonders wichtig sind." Wie
lasst sich Reich-Ranickis Interesse für dieses Publikum erklaren? (mindestens 60 Wôrter)
6.
,,Wie man hart, hat es in der Geschichte des deutschen Fernsehens noch keine Sendung gegeben, die auf den Verkauf von literarischen Werken einen so direkten und so starken EinHtill gehabt
hat wie das ,Quartett'.
Aber gehort denn dies zu den Aufgaben oder sogar Pflichten der Kritik?".
Was würden Sie auf diese Frage antworten? (mindestens 60 Worter)....
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